Polen baut Mauer an der Grenze zu Belarus
Warschau macht ernst: Nachdem zwölf Staaten mehr "physische Barrieren" an den EU-Außengrenzen gefordert hatten, hat Polens Parlament nun 366 Millionen Euro für die Verstärkung der Grenze zu Belarus bewilligt. Dem dortigen Machthaber Lukaschenka wird vorgeworfen, gezielt Migranten an die EU-Ostgrenze zu schleusen. Kommentatoren diskutieren, was das für Polen, Belarus und die EU bedeutet.
Lukaschenka hat sich verkalkuliert
Der Mauerbau bringt niemandem was, schreibt Gazeta Wyborcza:
„Die Flüchtlingskrise an der polnisch-belarusischen Grenze wird so lange andauern, wie Lukaschenka es für nützlich hält, Druck auf den Westen auszuüben. ... Im Moment sieht der Diktator, dass seine Maßnahmen nicht wirken. Die Sanktionen werden nicht gelockert, und die Belarusen sind wütend darüber, dass die Schließung der Grenzen (auch zu Litauen und Lettland) ihre Möglichkeiten zur Ausreise, zum Handel und zu geschäftlichen Aktivitäten einschränkt. ... Die Grenzkrise wird mit Sicherheit nicht zur Unterstützung des Regimes beitragen, sondern im Gegenteil die Opposition stärken und den Bankrott des Diktators beschleunigen. Kein Regime währt ewig. Lukaschenko wird schließlich gehen, doch die Mauer an der Grenze wird bleiben.“
Die Mauer rettet Leben
Unüberwindbare Grenzen können Teil einer menschlichen Politik sein, findet DoRzeczy:
„Die Mauer rettet Leben. ... Vor allem hält eine geschlossene Grenze, die nicht 'wild' überquert werden kann, potenzielle Immigranten davon ab, den Versuch zu unternehmen, sie zu überschreiten. ... Das Regime, die Schmuggler, die belarusische Fluggesellschaft Belavia und der Flughafen Minsk werden kein Geld mehr verdienen. Das Ende der Gewinne aus dem Schmuggel bedeutet, dass weniger Menschen entlang der Route zu Schaden kommen. ... Ist es unmenschlich, sich mit einer Mauer von Belarus abzugrenzen? Wird Polen damit zu einem inhumanen Land? Nein. Solche Anschuldigungen gehören zu dem in Minsk skizzierten Szenario.“
Internationales Recht respektieren
Ta Nea kritisiert die Haltung von Athen und Nikosia:
„Natürlich werden die irrationalen Forderungen der zwölf Länder nicht akzeptiert, wie die zuständige Kommissarin Johansson klarstellte, wobei anzumerken ist, dass kein Mainstream-Land der EU das Schreiben unterzeichnet hat. Zypern dagegen, das zu den Unterzeichnern gehört, will eine Mauer an der Grünen Linie (die die freien Gebiete der Republik Zypern vom türkisch besetzten Norden trennt) errichten, was völlig irrational ist. Und Griechenland steht an der Seite der Länder, die sich gegen das System stellen statt an der Seite der Mainstream-Ländern. Die Außengrenzen der EU müssen wirksam geschützt werden und sollten auch garantiert werden, aber nicht mit Maßnahmen, die die Identität der Union zerstören und gegen das Völkerrecht verstoßen.“
Hier ist europäische Solidarität gefragt
Das Flüchtlingsdrama illustriert erneut, dass kein Staat allein die Menschheitsaufgabe Migration lösen kann, kommentiert die Süddeutsche Zeitung:
„Natürlich ist Lukaschenkos Verhalten zynisch und zielt auf die Radikalisierung der Menschen jenseits der Grenze. Aber Polen allein ist nicht stark genug, humanitäre Pflicht und politische Härte gleichermaßen zu zeigen. Das Land braucht die Hilfe der anderen Europäer - die etwa geschlossen die als Schlepper fungierenden Fluglinien sanktionieren oder Lukaschenko einen neuen Tort antun könnten. Warum nimmt man nicht eingefrorene belarussische Konten und finanziert damit demonstrativ syrische Flüchtlingslager in der Türkei? Solange die polnische Regierung mit ihrem Flüchtlingsproblem alleine bleibt, radikalisiert sie sich auf Kosten der Europäischen Union.“
Vom Gefängniskomplex zum Festungskomplex
So manch ein Staat leidet unter einem kurzen Gedächtnis, wettert La Stampa:
„Die Migranten finden immer neue Wege. Dadurch wird der konditionierte Mauerreflex ausgelöst. Dabei ist es noch nicht einmal ein Vierteljahrhundert [sic] her, dass die Mauer niedergerissen wurde, die Deutschland auf barbarische Weise zertrennte und Europa in zwei Hälften teilte, der Eiserne Vorhang. Das Gedächtnis ist sehr kurz: Jetzt wollen gerade die Länder, die hinter ihr gefangen gehalten wurden, hinter einer neuen Mauer sein. Vom Gefängniskomplex zum Festungskomplex.“
Litauen schneidet sich ins eigene Fleisch
Litauens Regierung, die den Brief ebenfalls unterzeichnete, hat nicht verstanden, dass die Gemeinschaft der EU nicht nur aus Nehmen, sondern auch aus Geben besteht, schimpft der Politologe Kęstutis Girnius in Delfi:
„Es sollte doch unangenehm sein, um Hilfe zu bitten, wenn man selbst nicht bereit ist, Hilfe zu leisten. Die Frage ist, wieso Länder wie Spanien, Italien oder Griechenland für Litauen günstige Veränderungen und Ausgaben unterstützen sollten, wenn Litauen sonst den Problemen der anderen gegenüber gleichgültig ist. Vielleicht werden sie sowohl großzügig als auch pragmatisch Litauens Anfragen befürworten, aber sie werden die Gleichgültigkeit Litauens wohl nicht vergessen und auch nicht glauben, dass Litauen immer die Wertepolitik in den Vordergrund stellt.“
Krimineller Grenzschutz
Für The Press Project befindet sich die EU in einer absurden Situation:
„EU-Kommissarin Johansson prangert Griechenland öffentlich an, weil es sich weigert, die Erkenntnisse aus der Recherche von zehn europäischen Medien zu prüfen. Wir sprechen natürlich über die gleiche EU, die mit Millionen Euro die Zäune und die neuen geschlossenen Lager-Gefängnisse finanziert. ... Der angeprangerte Modus Operandi ist kein 'Grenzschutz' [wie es die griechische Regierung nennt]. Er ähnelt 'kriminellen Handlungen', wie die zehn Medien unter Berufung auf einen Beamten schrieben.“