Cop26: Arm gegen Reich?
China und Russland sind der 26. Weltklimakonferenz in Glasgow ferngeblieben. Indien verkündete, erst 2070 Klimaneutralität erreichen zu können. Von den Folgen des Klimawandels sind oft eher Länder betroffen, die historisch gesehen für weniger Emissionen verantwortlich sind. Von der grünen Wende profitieren können hingegen eher die Industrienationen und globalen Unternehmen. Gegensätze, die Europas Presse umtreiben.
Globale Verantwortung der reichen Staaten
El País erinnert an bestehende Vereinbarungen:
„Die UN-Konvention hat zwei Mechanismen zur Unterstützung der Entwicklungsländer geschaffen. Im Jahr 2011 wurde der Grüne Klimafonds eingerichtet. ... Zwei Jahre später wurde der Warschauer Mechanismus für Verluste und Schäden in Entwicklungsländern durch den Klimawandel ins Leben gerufen. Beide Instrumente müssen verstärkt und vervollständigt werden. ... Genauso müssen Klimaflüchtlinge einen besseren Rechtsschutz erhalten. ... Sie sind Opfer einer Krise, die in den internationalen Übereinkommen nicht vorgesehen ist, die aber unaufhaltsam voranschreitet. Um die Geschwindigkeit der Auswirkungen des Klimawandels aufzuhalten, ist dies zentral: Die Verantwortung der Staaten, insbesondere der reichsten, endet nicht an ihren Grenzen.“
Alles nur Geschäft
Mit dem Klimanotstand lässt sich hervorragend Geld verdienen, rügt der Soziologe Tomaž Mastnak in Dnevnik:
„Eine große Lüge ist zum Beispiel, die umfassende Umweltkrise auf das Klima zu verengen. Dahinter stecken große Wirtschaftsinteressen, die die Klimakrise als eine Geschäftschance sehen, die aus der Zerstörung Gewinn zieht. ... Das sind diejenigen, die mit CO2-Emissionen handeln, in vermeintlich saubere Energiequellen investieren, die die bestehenden Fahrzeuge durch Elektrofahrzeuge ersetzen wollen (die schreckliche Zerstörung, die durch die Gewinnung von Lithium entsteht, versteckt sich an weniger glücklichen Orten). Es ist auch eine große Lüge, dass Staaten über die globale Umweltpolitik entscheiden. Was machen sonst die verschiedenen Milliardäre, Adligen und andere selbsternannte 'Weltführer' in Glasgow?“
Wirtschaft ist einen Schritt voraus
La Tribune de Genève wertet die ökologische Wende in Finanzwelt und Industrie hingegen als positiv:
„Wer hätte vor fünf Jahren gedacht, dass die Kapitalisierung von Tesla im Jahr 2021 den Börsenwert der 21 größten Energieunternehmen übersteigen würde, darunter die Giganten Chevron oder ExxonMobil? Niemand. Aber genau das ist gerade passiert, während die COP26 in vollem Gange ist, und es ist eine Warnung. Auch wenn die Welt noch zu 80 Prozent von fossilen Brennstoffen abhängig ist, hat sich die Finanzwelt, die - ihrem Wesen nach - auf zukünftige Gewinne setzt, bereits entschieden und sich auf die erste Automarke gestürzt, deren ganze Flotte elektrisch betrieben ist.“
Viele Menschen leben von Tag zu Tag
Wer den Armen vorwirft, zu wenig für den Umweltschutz zu tun, verhindert eine Lösung des Problems, warnt der Journalist Costi Rogozanu in Libertatea:
„In ihrer ultraliberalen Ausprägung wird die Öko-Moral langsam zu einer neuen Form der Verachtung für umweltverpestende Arme, die gerade mal mit Diesel fahren und mit Holz heizen können. ... Wenn dir einzig und allein Maßnahmen einfallen, die die verschwenderischen Armen bestrafen, kannst du dich von der Rettung des Planeten getrost verabschieden. Da bringst du Völker gegen dich auf, die dir sagen: Lieber brennt die Erde morgen, als dass ich heute verhungere. ... Wenn die Ökologie nicht sozial wird, wenn du Politik nicht von unten nach oben zu gestalten beginnst, dann schlummert alles ein, wie Biden in Glasgow.“
Der Süden kann sich Widerstand nicht leisten
Der Aufstand der armen und vom Klimawandel besonders betroffenen Länder wird wohl ausbleiben, meint der Deutschlandfunk:
„[D]enn sie wissen genau, dass sie am kürzeren Hebel sitzen. Wenn sie bei der Konferenz am Ende nicht klein beigeben, wird überhaupt nichts zustande kommen und das können sich viele Staaten nicht leisten. Die Finanzkrise und die Corona-Pandemie haben gezeigt, dass bei gutem Willen in ganz kurzer Zeit enorm viel Geld mobilisiert werden kann. Beim Klima mauern die reichen Länder noch immer - völlig zu Recht sehen sich arme Länder im Süden an den Rand gedrückt.“
Chinas und Russlands Fehlen ist demotivierend
Gegensätzliche Prioritäten und wechselseitige Vorwürfe werden wohl verhindern, dass die Schwellenländer mehr Geld für ihre Klimaanstrengungen bekommen, konstatiert Lidové noviny:
„Die reichen Länder versprachen den ärmeren Staaten schon im Jahr 2009 100 Milliarden Dollar Klimasubventionen. Gezahlt wurden die nicht. Die Steuerzahler der reichen Länder werden ähnliche Versprechen jetzt ablehnen, wenn sie sehen, dass Chinas und Russlands Staatschefs in Glasgow fehlen. Für China genießt der wirtschaftliche Aufschwung höhere Priorität als der Kampf gegen den Klimawandel. Und Putin weiß, dass die Nachfrage nach seinem Gas weiter wachsen wird - und damit sein geopolitischer Einfluss.“
Arme Länder brauchen mehr Zeit
Dass Indien erst 2070 klimaneutral sein will, hält die Financial Times für gerechtfertigt:
„Viele westliche Länder haben sich das Jahr 2050 als Frist gesetzt. Doch die indische Regierung weist zu Recht darauf hin, dass diese seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten, fossile Brennstoffe genutzt haben, um den Lebensstandard zu heben. Das ist etwas, von dem Millionen arme Landbewohner in Indien, die oft auf Dieselgeneratoren angewiesen sind, gerade erst zu profitieren beginnen. Indien hat historisch gesehen bisher viel weniger zum globalen Schadstoffausstoß beigetragen als andere Länder. Dass es nun im Staatenvergleich relativ weit oben rangiert, liegt am Bevölkerungsreichtum. Pro Kopf liegen die Emissionen in Indien wegen der relativen Armut am unteren Ende der Tabelle.“
Ausgerechnet dort, wo alles begann
Dass die internationale Staatengemeinschaft gerade in Glasgow zusammentrifft, ist eine Ironie der Geschichte, stellt Tportal fest:
„Da die britische Regierung nach dem Brexit-Chaos nach einer neuen Rolle Großbritanniens in der Welt sucht, setzt sie große Hoffnungen auf die Konferenz. Sie findet symbolträchtig gerade in Glasgow statt, also jener Stadt, in der James Watt die Dampfmaschine (kohlebetrieben) erfand und damit vor zweieinhalb Jahrhunderten die Industrielle Revolution begann. ... Doch nach dem Ausbleiben eines Durchbruchs beim G20-Treffen am Wochenende ist nicht ganz klar, was für ein Durchbruch während des Cop26-Treffens möglich wäre.“