Cop26: Der Countdown läuft
In Glasgow läuft die zweite Woche des Klimagipfels: die Zeit, in der die Absichtserklärungen der Politprominenz konkret ausgestaltet werden müssen, damit sie Wirkung entfalten können. Am Samstag hatten noch rund Hunderttausend Menschen demonstriert, die von den bisherigen Ergebnissen frustriert sind. Auch die Presse bleibt skeptisch.
Zumindest denken Ökonomen jetzt mit
Laut Cumhuriyet besteht wenig Aussicht auf große Veränderungen:
„Kaum jemand glaubt, dass der Cop26-Klimagipfel praktische Konsequenzen mit sich bringen wird. ... Selbst die Queen hat gesagt, sie sei 'genervt' von denen, die 'reden, aber nicht handeln'. Natürlich ist politischer Opportunismus mit ein Faktor, aber das eigentliche Problem ist struktureller Natur. Denn realistische Maßnahmen gegen die Klimakrise prallen auf die Gegensätze der Zivilisation. Doch zumindest hat Cop26 dazu beigetragen, Ökonomen dazu zu bringen, auch die Ökologie in ihren Berechnungen mit zu berücksichtigen.“
Entfremdete Propaganda-Veranstaltung
Delo bedauert:
„Die Lösung der Klimakrise wird von denen gemanagt, die am meisten für die beschleunigte und leider irreversible Erwärmung des Planeten verantwortlich sind. Von denjenigen, die am weitesten von der Realität und den Problemen der Menschen in den am stärksten von den Klimaveränderungen betroffenen Gebieten entfremdet sind. Die Teilnehmer in Glasgow - oder anderswo - führen einen innenpolitischen Kampf. Oder nicht einmal das. Sie beteiligen sich nur an einer schlecht geführten Propagandakampagne für die Öffentlichkeit, die in vielen Teilen der Welt, was die Umwelt betrifft, viel aufgeklärter ist als ihre politischen 'Eliten'.“
Klimaschutz und Kaufrausch passen nicht zusammen
Die Forderungen in Glasgow stehen im krassen Widerspruch zur Konsumgesellschaft, kritisiert Jornal i:
„Wie werden wir in den reicheren Ländern akzeptieren, Status Quo, Komfort und Konsumverhalten zu runterzuschrauben? Wie werden wir unseren Umgang mit der Umwelt korrigieren, ohne die Ärmeren zu bestrafen, ohne das soziale Ungleichgewicht zu verschärfen? Während Glasgow den entscheidenden Moment erreicht, läuft im Fernsehen die Black-Friday-Werbung und die Supermärkte sind im Weihnachtsfieber. Die Wirtschaft 'muss' wachsen.“
Geopolitik steht im Wege
Laut Diena kann eine Einigung auf gemeinsame Standards und Maßnahmen gar nicht entstehen:
„Die Länder, nach deren Prinzipien der Kampf gegen die Klimaveränderungen abläuft, können auf bedeutende ökonomische Vorteile und geopolitische Führerschaft hoffen. Deswegen ist es nicht realistisch, dass alle ihre Ressourcen bündeln und einen gemeinsamen Plan entwickeln. Dies erkennt man auch daran, dass die chinesischen und russischen Staatschefs nicht am G20-Gipfel in Italien teilgenommen haben, der sich auch mit Klimafragen beschäftigte. ... In gewisser Weise wiederholt sich die Situation mit den Covid-19-Impfstoffen, als geopolitische Kämpfe zur Priorität wurden, anstatt eines Zusammenschlusses. Doch der Klimawandel ebenso wie die Pandemie warten nicht, bis die Großmächte ihre Beziehungen geklärt haben.“
Wie die Lobby Klimaschutz verhindert
Als größtes Hindernis sieht Pravda, dass Energiekonzerne Misstrauen gegenüber der Wissenschaft gesät haben:
„Sie haben erfolgreich das Vorgehen der Tabakindustrie nachgeahmt. Die ersten Studien britischer Ärzte über den Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs wurden an der Wende der 1940er und 1950er Jahre veröffentlicht. Die Tabaklobby reagierte sehr schnell: Sie stellte die Forschung infrage, forderte mehr Beweise, finanzierte eigene Forschungen, auch in ganz anderen Bereichen, um die Aufmerksamkeit vom Eigentlichen abzulenken. Eines der internen Dokumente der Tabakindustrie aus dem Jahr 1969 fasste die Taktik mit den Worten zusammen: Unser Ziel ist es, Zweifel zu säen.“
Wer verschmutzt, muss zahlen
So lange die Kosten auf die Allgemeinheit abgewälzt werden, ist echter Wandel unmöglich, stellt Die Presse klar:
„Bei der Behebung der Umweltschäden wird häufig die Gemeinschaft aller in die Pflicht gerufen. Ökonomen bezeichnen dies als Sozialisierung der Folgekosten. … Während sich die Verursacher zurücklehnen, wird auf Konferenzen um zusätzliche Milliarden gejammert, damit die Misere bewältigt werden kann. Dieser Zugang ist falsch. Es geht nicht um ein Bitten und Betteln ..., damit wir danach weitermachen wie bisher, nur vielleicht nicht mehr ganz so arg. Wir müssen die Spielregeln ändern. Und die erste und wichtigste Regel heißt: Kostenwahrheit! Die besteht nur, wenn der Verursacher für die Folgen seiner Technologie geradestehen muss - ob das ein Auto ist, Kunststoff oder ein Kohlekraftwerk.“
Wer kann sich das leisten?
Die Regierenden müssen im Blick haben, dass viele Menschen sich den Klimaschutz nicht leisten können, mahnt Jurnalul National:
„Die Gelbwesten-Revolte, die Frankreich in ein Chaos stürzte, ist einst durch die Einführung der Ökosteuer auf Kraftstoffe ausgelöst worden. Betrachten wir die Lage in Rumänien, sehen wir, dass der Öko-Wandel im Energiebereich zu einer sozialen Tragödie in Valea Jiului geführt hat, wo der Bergbau eingestellt wurde. … Hinzu kommt die düstere Perspektive, dass der gesamte Fahrzeugbestand verändert werden muss, der größtenteils aus Gebrauchtwagen aus Westeuropa besteht, die laut Umweltnormen schnellstens ausgemustert werden sollten. Wer finanziert die Umstellung auf E-Mobilität in einer Wirtschaft, in der schon die Bewilligung eines Heizkostenzuschusses zu einer politischen Krise führt?“
Gipfel gut und recht - aber bitte demokratischer
Wenn es bei internationalen Treffen gerechter zuginge, könnte man auch verbindliche Entscheidungen treffen, stellt Kommunikationswissenschaftler Albin Wagener in seinem Blog bei Mediapart fest:
„Die eifrigsten Folterknechte [der Umwelt] halten Reden, als ob ihre Worte allein genügten, um sämtliche Probleme zu lösen, während die vom Klimawandel am stärksten betroffenen Länder und Aktivistenvertreter zu Handlangern und Nebendarstellern abgestempelt werden. Das ist zynisch und skandalös, denn eine demokratische Organisation solch eines Gipfels könnte es erlauben, offene und ausgewogene demokratische Abstimmungen anzubieten, um Resolutionen zu verabschieden, zu tragen und zu verteidigen, durch die alle Länder der Welt dauerhaft in die Pflicht genommen würden.“
Aktivisten erzwingen den Wandel
Das Engagement junger Menschen ist entscheidend, findet La Repubblica:
„Dass der konservative Premierminister Boris Johnson bei der Cop26-Eröffnung Greta Thunbergs Kritik 'bla, bla, bla' zitierte, ist sicherlich Koketterie, paternalistische Schmeichelei, und opportunistisches Augenzwinkern, aber auch eine obligatorische Anerkennung. Gretas Aktivismus wurde in Italien durch die Brille zweier unterschiedlicher Stereotype betrachtet. Zum einen in einem kindlichen und mythischen Sinne als Anspruch auf eine naturalistische Unschuld; zum anderen als eine katastrophale und nihilistische, antimoderne und antiindustrielle Ideologie. Eine politikwissenschaftliche Analyse würde jedoch zeigen, dass die Mobilisierung durch Fridays for Future einen wichtigen Faktor für die Innovation des öffentlichen Handelns und einiger Kategorien der Politik darstellt.“
Markt und Technologie werden es richten
Nur die Innovationen fördernde freie Marktwirtschaft kann den Umschwung bringen, meint Eco:
„Politiker machen das, was ihnen am meisten Stimmen einbringt. Sie werden auf Impulse reagieren. Im Gegensatz zu dem in den Medien vorherrschenden Narrativ ist es nicht die Rückkehr in die Vergangenheit, die Probleme lösen kann. Die radikalen Umweltaktivisten wollen die (tatsächlich dringende) Debatte über den Klimawandel nutzen, um mit der Marktwirtschaft zu brechen. Aber nur diese kann mit Technologie und Innovation helfen, die Ziele von Paris zu erreichen. Der Markt fördert Effizienz, und Effizienz heißt, mit weniger mehr produzieren und weniger verschwenden.“
Konkurrenz sorgt für rettende Eigendynamik
Sobald umweltfreundliche Lösungen den Marktvorteil bringen, besorgt der Wettbewerb den Rest, ist sich Rzeczpospolita sicher:
„Wirtschaft und Umwelt werden dadurch gerettet, was die Ökonomie am besten kann: den Wettbewerb. Wenn der Wettbewerb Unternehmen und Verbraucher dazu zwingt, Maßnahmen zum Schutz der Umwelt zu ergreifen und Produkte zu entwickeln, die der Umwelt dienen, wird das Geschäftsprinzip des 'First Mover Advantage' zum Tragen kommen: Wenn wir nicht nach umweltfreundlichen Produkten suchen und sie einführen, werden unsere Konkurrenten uns überholen und uns aus dem Markt drängen.“