Macron reist zu Orbán - wozu eigentlich?
Frankreichs Präsident Macron hat Ungarns Premier Orbán in Budapest getroffen. Beide betonten ihren Willen zur Zusammenarbeit trotz Differenzen, und Macron deutete ein Entgegenkommen in der Migrationspolitik an. In Sachen Rechtsstaatlichkeit zeige sich Ungarn aber zu unbeweglich, als dass die EU Gelder aus dem Corona-Wiederaufbaufonds auszahlen könne. Kommentatoren analysieren Sinn und Zweck des Treffens.
Abnabelung von Deutschland
Möglicherweise sehen beide Seiten in solchen Treffen eine Chance, sich von Berlin zu emanzipieren, analysiert Contrepoints:
„Für Mittelosteuropa und vor allem Polen und Ungarn bietet dies ein Gegengewicht zu ihren Beziehungen mit Deutschland. Die neue Bundesregierung, die Rechtsstaat und LGBT-Themen betont, könnte ihnen feindlicher gesinnt sein als Merkels CDU. … Für Frankreich geht es selbstverständlich um die Vorbereitung der EU-Ratspräsidentschaft. Die Gespräche deuten aber auch weitere Ambitionen an. ... Versucht Frankreich etwa die diplomatischen Annäherungen zu vervielfachen, um mehr Gewicht gegenüber Deutschland zu haben? Der Fokus auf Länder in Deutschlands wirtschaftlichem Einflussgebiet, die mit Berlin politisch manchmal divergieren, verstärkt diesen Eindruck.“
Die rote Linie wird bleiben
Macrons Bekenntnis zur Kooperation mit Budapest sollte man nicht als Kompromissbereitschaft in Sachen Rechtsstaatlichkeit deuten, ist Népszava überzeugt:
„Es ist nichts Merkwürdiges daran, dass führende europäische Politiker manchmal auch mit denjenigen Kompromisse schließen, die eine völlig unterschiedliche Ideologie vertreten. Macron hofft jetzt auf eine erfolgreiche EU-Ratspräsidentschaft - auch, um die Präsidentschaftswahl im April zu gewinnen. Doch es muss eine 'rote Linie' geben: die Rechtsstaatlichkeit. ... Macron ist bewusst: Man kann zwar verhandeln und man kann sogar Kompromisse schließen, aber es ist tabu, diese rote Linie zu überschreiten. Damit würde er den eigenen Nimbus zerstören.“
Alles nur Show fürs innenpolitische Publikum
Nicht zum ersten Mal inszenieren Macron und Orbán ihre Differenzen, erinnert Ungarn-Korrespondent Joël Le Pavous in Slate:
„Im Wahlkampf zur Europawahl im Mai 2019 nahmen sich Macron und Orbán wie in einem Western unter Beschuss. Anfang Juli 2018 urteilte der französische Präsident, 'die echte Grenze Europas' sei die, die 'Fortschrittliche' und 'Nationalisten' von Orbáns Kaliber trenne. Drei Wochen später erklärte der Ungar in der Bild-Zeitung, er wolle keine EU 'unter französischer Führung'. … Am 26. Oktober [2018] verriss Macron bei einer Bürgersprechstunde in Bratislava die 'Verrückten' an der Macht in Ungarn und Polen, die 'ihr Volk anlügen'. Heute instrumentalisieren Emmanuel Macron und Viktor Orbán ihre Differenzen weiter, um ihre Wiederwahl im kommenden Frühjahr zu befördern.“
Nach Le Pen und Zemmour kam auch der Präsident
Macron musste mit dem Besuch innenpolitisch nachziehen, beobachtet die regierungsnahe Magyar Hírlap:
„Dass zwei relevante rechte Präsidentschaftskandidaten, Eric Zemmour und Marine Le Pen, bereits bei Viktor Orbán zu Besuch waren, ist offensichtlich auch dem Elysée-Palast nicht entgangen. Der ungarische Ministerpräsident ist ein Bezugspunkt in der französischen Politik. ... Soviel dazu, dass der ungarische Regierungschef angeblich isoliert ist.“