Der Ukraine-Konflikt und die Weltwirtschaft
In der Ukraine-Krise richten sich die Blicke zurzeit vor allem auf die Truppenbewegungen im Grenzgebiet. Europas Presse analysiert aber auch die wirtschaftlichen Aspekte der Auseinandersetzung, die bereits viel früher begann und noch jahrelange Auswirkungen haben wird.
Russland in jedem Fall bestrafen
Selbst im Falle einer Deeskalation muss Moskau Konsequenzen zu spüren bekommen, schreibt Zeit-Online-Kolumnist Matthias Naß:
„Putin hat einen ganzen Kontinent in Furcht und Schrecken versetzt und mit kriegerischer Gewalt bedroht. Er hat mit seinem Truppenaufmarsch versucht, die Ukraine und die Nato zu erpressen. ... Hat Putin nicht schon längst die Grenzen des zivilisierten Umgangs zwischen den Nationen überschritten? Ja, das hat er. Und deshalb sollten die Sanktionspläne - natürlich nicht in vollem Umfang, aber in gebührendem Maß - umgesetzt werden. ... Eine Rückkehr zur Tagesordnung jedenfalls kann es nicht geben.“
Oligarchen fürchten um ihren Besitz
Die Verhandlungsbereitschaft des Kremls liegt auch darin begründet, dass russische Oligarchen um ihre persönlichen Geschäfte bangen, meint Wprost:
„Die Ankündigung des britischen Premierministers Boris Johnson, russische Geldwäschegeschäfte in London zu beenden, und ähnliche Schritte seitens der Vereinigten Staaten haben mindestens ebenso zur Abkühlung der kriegerischen Stimmung im Kreml beigetragen wie die Waffenlieferungen an die Ukrainer und die Mobilisierung der Streitkräfte an der Ostflanke der Nato. Die Macht der russischen Kleptokratie, die im Ruf steht, über eine außergewöhnliche strategische Entscheidungsfreiheit zu verfügen, reicht nicht so weit, wie sie scheint. Hochtrabende Geopolitik wird zurückgesteckt, wenn man schlicht Angst um den eigenen Hintern hat.“
Ungarn würde Sanktionen blockieren
Putin hat die Achillesferse der EU genau im Blick, schreibt Politologe Valentin Naumescu in Spotmedia:
„Putin weiß sehr wohl, worin die Anfälligkeit der EU besteht, und wird sie maximal nutzen. Zumindest Ungarn, und wenn nicht sogar ältere EU-Staaten, werden die Einstimmigkeit blockieren, die zur Einführung von wirklich harten Sanktionen nötig wäre.. ... Im (unwahrscheinlichen) Falle eines russischen Angriffs auf Mittel- und Osteuropa wäre das Orbansche Ungarn das erste Land, das sich auf die Seite Russlands schlagen würde, in der Hoffnung, den Vertrag von Trianon kündigen zu können [in dem das Königreich Ungarn zum Ende des Ersten Weltkriegs großen Gebietsverlusten zustimmen musste].“
Russland treibt Weizenpreise in die Höhe
Während die USA und die EU über mögliche Sanktionen berieten, schuf Russland auf wirtschaftlicher Ebene bereits Fakten, hebt Corriere della Sera hervor:
„Insbesondere eine Entscheidung des Kremls ist eine Warnung an den Westen mitten in der Ukraine-Krise: Am 2. Februar verbot Moskau für mindestens zwei Monate die Ausfuhr von Ammoniumphosphat und anderen Stickstoffdüngern, bei denen Russland den Weltmarkt beherrscht. ... Da Düngemittel 20 bis 25 Prozent der Kosten für die Weizenproduktion ausmachen, wird sich der Preisanstieg (220 Prozent seit Mitte November) auch in Zukunft noch stärker auswirken. ... Wenn diese Krise vorbei ist, werden Italien und Europa entscheiden müssen, inwieweit es klug ist, sich weiterhin auf so einen Handelspartner zu verlassen.“
Putin kämpft gegen die Anziehungskraft der EU
Russlands Gegner ist in diesem Konflikt nicht die Nato, erinnert Dnevnik:
„Zur Erinnerung: Die Russland-Ukraine-Krise wurde im Jahr 2013 durch den Versuch des Kremls ausgelöst, die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens zwischen Kyjiw und Brüssel zu torpedieren. ... Der Machtkampf tobte zwischen Russland und der Anziehungskraft der EU. Im Zentrum von Kyjiw kam es zum Euro-Maidan, nicht zum Nato-Maidan. ... Die ukrainische Wirtschaft und Gesellschaft ist nach Westen orientiert. Die EU ist Kyjiws führender Handelspartner mit etwa 40 Prozent des Handels. Das Freihandelsabkommen von 2016 funktioniert. Das Gleiche gilt für die Abschaffung der Visa im Jahr 2017. Die Ukrainer suchen ihre Verwirklichung im Westen, auch im benachbarten Polen, nicht in Russland.“
Das Energieproblem bleibt
Die Abhängigkeit von russischem Gas hätte man vor Jahren angehen müssen, ärgert sich Corriere del Ticino:
„Die EU arbeitet seit Wochen daran, alternative Energiequellen zu finden. Man sucht nach Lösungen in Afrika und Katar und sogar in Übersee. Aber man hat den Eindruck, dass wir wieder einmal das Pferd besänftigen wollen, wenn es längst durchgegangen ist. Die Energiepolitik eines Landes oder eines Staatenbündnisses muss Jahre im Voraus geplant werden und nicht erst dann, wenn eine Krise ausbricht und man feststellt, dass die Abhängigkeit von einem einzigen Lieferanten zu groß ist.“