Ukraine: Was bringen neue Verhandlungen?
Während die russischen Angriffe auf ukrainische Städte immer heftiger werden, wollen Delegationen beider Länder sich zu weiteren Verhandlungen online treffen. Präsident Selenskyj erhofft sich von der Gesprächsrunde die Vorbereitung eines Treffens mit seinem Amtskollegen Putin. Europas Presse ist skeptisch, ob Fortschritte erreicht werden können.
Selenskyj vor einem harten Dilemma
Der Politologe José Pedro Teixeira Fernandes beschreibt in Público die schwierige Situation des ukrainischen Präsidenten:
„Die Fortsetzung eines Verteidigungskampfes, der ihn bereits zum Helden gemacht hat, ist zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich der einzig mögliche Weg. Ein langer Widerstandskrieg bringt jedoch eine hohe moralische und politische Verantwortung mit sich. Das menschliche Leid und die materielle Zerstörung steigen drastisch, ohne dass ein Sieg garantiert werden kann. ... Akzeptiert Selenskyj hingegen irgendwann die Bedingungen Russlands, wenn auch in einer abgeschwächten Form, bringt das politische Zugeständnisse mit sich, die die Ukraine vor dem Krieg vehement abgelehnt hat. Als Folge sind ernsthafte innenpolitische Probleme zu erwarten.“
Putin einen Ausweg bieten
Dem russischen Präsidenten sollte eine annehmbare Alternative zum Krieg gegen die Ukraine aufgezeigt werden, mahnt The Irish Independent:
„Wir können nur dann darauf hoffen, dass Wladimir Putin eine Beendigung des Krieges in Erwägung zieht, wenn ihm klar ist, wohin diese alternative Option ihn führt – und das kann nicht der Internationale Gerichtshof sein. Auf Seiten der Ukraine kann nur Wolodymyr Selenskyj Zugeständnisse machen, aber der Westen kann Russland zumindest einen klaren Pfad zum schrittweisen Abbau der Sanktionen aufzeigen. Schon das schiere Vorhaben, Putin einen diplomatischen Ausweg bieten zu wollen, mag vielen anstößig erscheinen. Doch ohne einen solchen besteht die reale Gefahr, dass Putin uns in eine Katastrophe führt.“
Die Türkei investiert in die Zukunft
Die Vermittlungsversuche der Türkei werden sich auf der nächsten Verhandlungsstufe auszahlen, verspricht Daily Sabah:
„Dies ist der Beginn der dritten Kriegsstufe - dem schnellen Vorpreschen Russlands (der ersten Stufe) und dem ukrainischen Widerstand mit einer Zunahme der westlichen Unterstützung folgend. Derzeit zielen die Russen darauf ab, die Zivilisten aus den ukrainischen Städten zu vertreiben, um den Krieg zu intensivieren, während der Westen seine Wirtschaftssanktionen auf das Höchstniveau treibt. Die Aussicht auf ein Kriegsende durch Diplomatie vor Ende dieser dritten Phase bleibt gering. Dennoch sind die maßgebenden Bemühungen der Türkei, die Diplomatie zu fördern und in Gesprächen zu vermitteln extrem wertvoll. Sie werden sich im vierten Kriegskapitel auszahlen - wann immer dieses beginnt. “
Gipfel mit Biden wäre sinnvoller
Der Tagesspiegel erwartet nichts von den Gesprächen und hat einen anderen Vorschlag:
„Putin will respektiert werden, er denkt in alten Machtverhältnissen. Deshalb müsste versucht werden, ihn zu einem bilateralen Treffen mit US-Präsident Joe Biden zu bewegen. Wie früher, eins gegen eins, ein Gipfel der Supermächte. Ein solcher Rahmen entspräche Putins Selbstwahrnehmung. ... Es wäre unklug, Ziele und Grenzen eines solchen Gipfeldialogs im Vorfeld festzulegen. Das schafft nur Vorwände, ihn scheitern zu lassen. Was haben der Westen, Joe Biden, die USA zu verlieren? Nicht viel. Und wenn der Gipfel ergebnislos platzt? Dann hätten sie es wenigstens versucht.“
Finnland als Vorbild
Ein Ende wie im sowjetisch-finnischen Krieg 1939-40 ist nach Ansicht von Göteborgs-Posten auch für den Ukraine-Krieg denkbar:
„Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die ukrainische Seite den Krieg ebenso wenig 'gewinnen' kann, wie Finnland den finnischen Winterkrieg 'gewonnen' hat. Nach Monaten erbitterten Widerstands gelang es Helsinki allerdings, einen Friedensvertrag abzuschließen, der die Invasion im März 1940 beendete und Finnlands Verteidigung und Unabhängigkeit rettete. Es muss trotz einiger Zugeständnisse im Friedensabkommen als fantastischer Erfolg für das kleine Finnland gewertet werden. Dasselbe wäre der Fall, wenn die Ukraine dank ihres hartnäckigen Widerstands zu einer solchen Lösung kommt. “
Peking wäre ein passender Vermittler
Das kremlnahe Portal Wsgljad plädiert dafür, China bei der Suche nach einer Friedenslösung einzuschalten:
„Ein Garant und Vermittler muss am Konflikt unbeteiligt, objektiv und unparteiisch sein. Das alles ist China. China hat Russland als Konfliktpartei nicht unterstützt. Es hat nur erklärt, dass Russland ein Recht hat, auf seinen Interessen zu beharren. China verhält sich gegenüber der Ukraine, wie auch der [Separatisten-Republiken] DNR und LNR, ausgeglichen. Es hat Investitionsinteressen in der Ukraine, und nach einer internationalen Anerkennung der Republiken würde China wohl auch mit dem Donbass kooperieren. China ist ehrlich daran interessiert, dass der Konflikt schnell beigelegt wird, dass neue Grenzen gezogen und anerkannt werden und der friedliche Aufbau der Wirtschaft beginnt.“
Frieden hängt von Putins Strategie ab
Der Frieden hängt davon ab, was Putin wirklich will, schreibt Público:
„Es gibt mindestens zwei mögliche Szenarien für diesen Krieg: Das erste besagt, dass Putin auf die Nato-Erweiterung [seit 1991] reagiert. ... Dieses Szenario öffnet die Tür für eine Verständigung. Das zweite Szenario ist, dass Putin, von Natur aus Stratege, einen Plan hat. Wenn dem so ist, sind das schlechte Nachrichten. Putins Plan scheint das Ende des Friedens in Europa und der imperialistische Versuch zu sein, zunächst auf ukrainisches Territorium vorzudringen - aber es muss klar sein, dass es dabei nicht bleiben wird. Dieses Szenario lässt das Schlimmste befürchten. ... Europa hat bereits die Erfahrung gemacht, welche Folgen es hat, einen Führer mit einem Plan und militärischer Macht zu haben.“
Pazifismus à la carte
Der Kolumnist und Schriftsteller Christoforos Kasdaglis findet es im Webportal Politicus falsch, nur Russland für den Krieg verantwortlich zu machen:
„Die Menschen scheinen mehr am Sieg als am Frieden interessiert zu sein. An der Zerschlagung Russlands und nicht der Rettung der Ukraine. Sie sprechen hauptsächlich über Rüstung und sehr wenig über Diplomatie. Und, was vielleicht am wichtigsten ist, sie konzentrieren sich ausschließlich auf die aktuellen Verantwortlichkeiten für den Krieg und lassen die Ursachen, die ihn ermöglicht haben, außer Acht, ganz zu schweigen von den tieferen Folgen. Um es etwas vereinfacht auszudrücken: Ich sehe Menschen um mich herum und höre Stimmen in den Medien, die einen Pazifismus à la carte betreiben.“