Polen-Besuch: Fand Biden die richtigen Worte?
Biden hat bei seiner Rede in Polen betont, dass das westliche Militärbündnis jeden Zentimeter des Nato-Territoriums verteidigen werde. Für mehr Aufsehen sorgten jedoch zwei Randbemerkungen, in denen er Putin einen "Schlächter" nannte und erklärte, dass dieser "nicht an der Macht bleiben" dürfe. Die Folgen dieser Aussagen beschäftigen Europas Presse.
Erst einen, dann polarisieren
Bidens Verhalten ist widersprüchlich, findet Corriere della Sera:
„Diese Worte waren nicht im Originaltext enthalten und stellen eine drastische Abweichung von der Botschaft dar, die vom Weißen Haus vorbereitet wurde. Biden war erst in Brüssel und dann in Polen aufgetreten, um die Verbündeten zu vereinen, dem ukrainischen Widerstand mehr Waffen zuzusichern und den Druck der östlichen Länder zu bremsen, die eine stärkere Beteiligung der Nato am Krieg fordern. Bei seiner Abreise am Samstagabend hinterließ er aber das Gefühl der Rückkehr zu alten Zeiten: Manöver, Komplotte, die von der CIA ausgebrütet wurden, um die jeweiligen Regierungen zu stürzen, die den amerikanischen Interessen im Wege standen.“
Die bittere Wahrheit
Unklug, aber nicht falsch findet die Süddeutsche Zeitung die Aussage über den Regierungswechsel:
„Bidens Satz war keine Drohung an Putin persönlich, kein versehentliches Eingeständnis, dass die USA in Wahrheit auf den Sturz des russischen Präsidenten hinarbeiten - auch wenn putinfreundliche Verschwörungsschwurbler das nun behaupten. Wie sollte so ein Regimewechsel in der Praxis auch funktionieren? Amerikanische Interventionen wie im Irak oder Libyen hat Biden längst ausgeschlossen. Stattdessen sprach er in Warschau eine ebenso einfache wie bittere Wahrheit aus, aus der jede Regierung ihre eigenen Schlüsse ziehen muss: Solange Wladimir Putin an der Macht ist, wird Europa nicht in Frieden leben können.“
Verdacht der Einmischung besteht eh
Auch ohne den umstrittenen Satz Bidens würden die Spekulationen kochen, meint Denník N:
„Dass es für die Ukraine, Russland und die Welt das Beste wäre, wenn Putin nicht an der Macht bliebe, war niemals so klar wie heute. Darüber können aber nur die Russen in Wahlen abstimmen. Freilich kann man nicht ausschließen, dass Wahlen zu Putins Gunsten manipuliert werden. Es kann zu einem unblutigen oder blutigen Palastumsturz kommen, zu einer Revolution oder einem Attentat. Niemand weiß das. Egal was kommt, es werden sich immer Spekulationen darum ranken, ob die Amerikaner ihre Finger im Spiel hatten. Egal, was Joe Biden sagte, was er sagen sollte und was er sagen wollte.“
Es reicht nicht, den Diktator auszutauschen
Man sollte weniger auf Personen als auf Systeme schauen, mahnt republica.ro:
„Solange es keinen Regimewechsel gibt, wird Russland weiterhin eine Bedrohung für die Sicherheit und Freiheit der Welt bleiben. Eine einfache Auswechselung eines Diktators durch einen anderen löst unser Problem nicht. Putin durch einen anderen Putin zu ersetzen, wird die revisionistischen und imperalistischen Ambitionen dieses Landes, das letztlich Atomsprengköpfe als ultimatives Argument benutzt, nicht stoppen. In Russland muss nicht der Diktator ersetzt werden, sondern die Diktatur. Nur die Demokratie und die öffentliche Kontrolle können die atomare Gefahr beseitigen und nicht irgendein anderer Diktator, der etwas pazifistischer ist.“
Die neue Truman-Doktrin
Für Público bedeutet Bidens Besuch in Polen auch eine neue Gewichtung der Prioritäten von Innen- und Außenpolitk der USA:
„Der Besuch des amerikanischen Präsidenten diente dazu, den europäischen Verbündeten mitzuteilen, dass die USA weiterhin ihre Verteidigung garantieren. ... Als Joe Biden ins Weiße Haus kam, versprach er, sich von Roosevelt inspirieren zu lassen, um Amerika wieder aufzubauen. Ein neuer New Deal. Genau das hat er bislang versucht. Er wird nun auf einen anderen großen Präsidenten, auf Harry Truman, zurückgreifen müssen, der die 'Eindämmungsstrategie' definierte, um die Sowjetunion einzudämmen und zu besiegen.“