Rassismus und Putin-Nähe: Ärger über Orbán-Rede
Bei einer Rede vor Vertretern der ungarischstämmigen Minderheit in Rumänien hat Ungarns Premier Viktor Orbán am Samstag die Sanktionspolitik gegen Russland sowie Waffenlieferungen an die Ukraine kritisiert und auf Friedensverhandlungen gepocht. Außerdem sorgte er mit Thesen zur vermeintlichen Reinheit der ungarischen Rasse für Aufsehen. Empört analysiert Europas Presse die möglichen Folgen für Ungarn.
Kein Geld, kein europäisches Verhalten?
Es sieht so aus, als ob Orbán die Hoffnung auf EU-Gelder verloren hätte, meint die Journalistin Katalin Juhász in Új Szó:
„Nun habe ich angefangen zu glauben, dass dem ungarischen Regierungschef jemand bereits zugeflüstert hat, dass er das Geld von Brüssel nicht erhalten wird. ... Und angesichts dieser niederschmetternden Information ist er zur Schlussfolgerung gekommen, dass er den Anschein des Europäischseins nicht mehr aufrecht erhalten muss. An seine Anhänger richtet er sich mit einer simplifizierten Sichtweise und spricht von menschenfressenden Hottentotten, die die Sauberkeit der ungarischen Rasse angreifen wollen.“
Es wird an allen Fronten schiefgehen
Der Premier bugsiert Ungarn in die Isolation, kritisiert Jutarnji list:
„Orbán trat in den letzten Monaten als Hauptbefürworter russischer Interessen in der EU auf, weshalb er die Unterstützung Polens verlor und zu einem Ausgestoßenen wurde. Nicht in der Nato, aber die USA werden sich daran erinnern, wie Ungarn sich während des Ukraine-Krieges verhalten hat. Es sind [in Ungarn] auch immer mehr unterschiedliche Interessensgruppen auf der Straße, da ihnen Orbán die Vergünstigungen streicht, mit denen er sich Stimmen erkauft hatte. Die Verkündigung, dass es keine Vermischung mit Nationen außerhalb des Karpatenbeckens geben wird, wird ihm kaum helfen, wenn das Geld in den Portemonnaies der Ungarn knapp wird.“
Wo bleibt die klare Distanzierung?
Rzeczpospolita fordert eine Reaktion von Polens Regierung:
„Sind für Orbán die Polen etwa keine Nation mehr, weil sich 'die Rassen' in unserem Land 'mischen'? Was muss der Fidesz-Politiker noch tun und sagen, damit die PiS ihn durchschaut und ihr Bündnis mit Putins Gefolgsmann in der EU bricht? Die rassistische Äußerung des ungarischen Ministerpräsidenten wurde weder vom [Chef von Polens nationalkonservativer Regierungspartei PiS] Jarosław Kaczyński noch vom [Premier] Mateusz Morawiecki kritisiert. ... Man kann nicht als Fürsprecher der Ukraine auftreten, solange man einen Freund Putins als Verbündeten hat. Man kann nicht Solidarität und Offenheit vertreten und gleichzeitig spaltende und sozial gefährliche Äußerungen durchgehen lassen.“
Europas Demokraten müssen sich wehren
Die Aargauer Zeitung warnt vor einer zu weichen Haltung gegenüber Orbán:
„[I]n vielen Ländern ist der Ungar längst zum Idol einer neuen, reaktionär-konservativen Bewegung geworden. Marine Le Pen ... ist Orban-Fan. Ebenso Giorgia Meloni, die Anführerin der postfaschistischen Fratelli d'Italia. ... Europa und mit ihr die Schweiz sollten sich aber für ihren Teil im Klaren sein: Einem Strassenkämpfer wie Orban, der Politik nicht als Konsensfindung, sondern blutigen Faustkampf begreift, kann man nur frontal begegnen. Das Schlechteste wäre es, sich der Naivität und Ignoranz gegenüber den Populisten hinzugeben oder ihnen gar hinterherzurennen. Ansonsten läuft man Gefahr, bald in einer Gesellschaft aufzuwachen, wo Liberalismus, Offenheit und individuelle Freiheitsrechte längst begraben wurden.“
Großer Zuspruch in Rumänien
Der rumänische Dienst der Deutschen Welle stutzt über die Beliebtheit des ungarischen Premiers:
„Das größte Paradox ist die Bewunderung, die viele Rumänen für Viktor Orbán haben, einen anti-europäischen Anführer, der sich selbst als illiberal bezeichnet, der die EU auf die Probe stellt, um des Bündnisses willen, dass er mit der autokratischen Achse Budapest-Moskau-Peking geschlossen hat. Einer kürzlich veröffentlichten Umfrage (vom Nézőpont-Institut) zufolge haben sechs von zehn Rumänen eine positive Meinung über Viktor Orbán. ... Praktisch genießt der ungarische Premier besseres Ansehen als jeder der [politischen] Anführer in Rumänien. Die Soziologen fanden heraus, dass die Sympathie sich vor dem Hintergrund des Krieges und der Energiekrise verdoppelt hat.“
Bitte Klartext aus Wien
Der Standard kommentiert Orbáns Haltung mit Blick auf dessen kommenden Wien-Besuch:
„Orbán zeigt ... einmal mehr Kante, wenn es um die Europäische Union geht. Das hat System. Er prangert an, dass Brüssel vorschreibe, wie Ungarn zu leben habe; er stellt sich gegen den 'Gender-Wahnsinn'; er benachteiligt gezielt ausländische Gäste durch Billigtreibstoff für die eigene Bevölkerung; und er biedert sich ziemlich unverhohlen an Russland an. ... Vielleicht sollte Bundeskanzler Karl Nehammer ja darüber offen mit Orbán reden, wenn er ihn in wenigen Tagen in Wien empfängt. Bisher unterstrich der Kanzler lieber gute bilaterale Beziehungen und Gemeinsamkeiten in Sachen Migration. Solche Vorfreude wirkt dieser Tage aber reichlich deplatziert.“
Putin darf kein Land gewinnen
Dass Orbán Europa zu Friedensgesprächen und einer neuen Strategie gegenüber Russland drängt, stößt bei Adevărul auf Unverständnis:
„Was für eine Strategie könnte das sein, wenn ein Aggressor-Staat wie Russland seinen souveränen und unabhängigen Nachbarn aus völlig absurden Gründen angreift. Die Invasion fordert tausende Tote auf beiden Seiten, viele davon sind ukrainische Zivilisten. … Und all das Leid gibt es nur, weil Putin als Held in die Geschichte eingehen will, vergleichbar mit Zar Peter dem Großen. Von welchen Verhandlungen könnte man angesichts dieser Voraussetzungen sprechen? Doch nur über Verhandlungen unter den Bedingungen, dass Russland zu den Grenzen von vor dem Überfall auf die Ukraine zurückkehrt.“
Zivilisationsgrenze überschritten
Orbán sagte, die Ungarn seien "keine gemischte Rasse". Für Magyar Hang völlig verantwortungslos:
„[Mit dieser Aussage] könnte Orbán mehrere Ziele verfolgen: das Thema aufbringen, einen Knochen werfen, um die Aufmerksamkeit abzulenken. Auch wollte er bei den rechtsextremen Wählern gut Wetter machen. ... Jedoch kann das Nachvollziehen [seiner Motive] die Empörung gutwilliger Menschen nicht dämpfen. Der Premier hat eine Zivilisationsgrenze überschritten, als er sich mit denen, die sich für den 'Schutz der weißen Rasse' einsetzen, identifiziert hat. Er hofft auf politischen Nutzen durch das Aufhetzen der dunklen Kräfte der menschlichen Seele - egal, um welchen Preis.“