Sanktionspolitik: Wer gibt zuerst nach?
Laut Wissenschaftlern der Universität Yale haben die Sanktionen der russischen Wirtschaft einen massiven Schaden zugesetzt. Gleichzeitig drohen der EU und insbesondere Deutschland im kommenden Winter Engpässe bei der Gasversorgung - mit wohl deutlichen wirtschaftlichen und sozialen Folgen. Der Blick in Europas Presse spiegelt wider, dass noch nicht ausgemacht ist, wer am Ende verliert.
Kooperation oder Katastrophe
Die regierungsnahe Tageszeitung Iswestija sieht zwei mögliche Szenarien für die kommenden Monate:
„Entweder wir stellen die Kooperation beim Erdgas wieder vollständig her, einschließlich der Inbetriebnahme der voll einsatzbereiten Pipeline Nord Stream 2. Davon würden Russland wie auch die EU profitieren. Oder ganze Industriebranchen in der EU bleiben ohne den für sie kritischen Rohstoff und die Bevölkerung wird auf Energie-Diät gesetzt. Für Russland würde das ernsthafte Schwierigkeiten bedeuten, aber für die EU eine soziale und wirtschaftliche Katastrophe. Selbstverständlich wollen wir die zweite Variante bis zuletzt vermeiden, aber auszuschließen ist sie auch nicht.“
Die Alternativen stehen schon bereit
Europa ist auf Russlands Gas gar nicht angewiesen, ist Nowaja Gaseta Ewropa überzeugt:
„Norwegen als größter europäischer Öl- und Gasexporteur ist bereits bemüht, Russland in der gesamteuropäischen Energie-Balance zu ersetzen. ... Auch andere Energieträger, die bei der Produktion ökologisch sauberen Stroms eine Alternative zu Erdgas sind, dürfen nicht außer Acht bleiben. In einem unlängst zwischen Deutschlands Vizekanzler und Wirtschaftsminister Habeck und dem norwegischen Premier Støre unterzeichneten Protokoll wird auf den Beginn des Exports eines relativ neuen Energieträgers gesetzt: Wasserstoff. Habeck sagte bei der Unterzeichnung, dass derartige Lieferungen den Anfang der Entwicklung einer gesamteuropäischen Wasserstoff-Infrastruktur bedeuten.“
Total kontraproduktiv
Sašo Ornik äußert in seinem Blog Jinov svet seine Verwunderung über die Sanktionen:
„Dieser Sanktionskrieg ist seltsam und man kann die westlichen Politiker und Geschäftsleute schwer verstehen. Was machen sie eigentlich? Bisher haben sie sich selbst mehr Schaden zugefügt als dem Gegner. Dies ähnelt sehr der Verfolgung russischer Oligarchen. In den letzten dreißig Jahren haben diese Oligarchen fröhlich ihre Heimat ausgelaugt und Geld in die Zentren im Westen und im Nahen Osten gebracht, aber jetzt ziehen sie es vor, dieses Geld aus Angst vor einer Beschlagnahmung zu behalten und in Russland zu investieren.“
Ein pragmatisches Deutschland wird es schaffen
Deutschland hat in der Krise Kompromissfähigkeit bewiesen, lobt Le Monde:
„Falls die Entscheidung fällt, AKWs länger zu betreiben, könnte das heftige Debatten auslösen, insbesondere bei den Grünen. Mehrere Parteifunktionäre haben jedoch bereits angedeutet, dass sie nicht grundsätzlich dagegen sind. Wie bei den zusätzlichen 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr könnte die Regierung auch hier wieder auf die Unterstützung der Konservativen zählen. Bei Energie und Verteidigung zahlt Deutschland einen hohen Preis für seine Fehler der Vergangenheit. … Doch dank des Pragmatismus der Politiker und der soliden Kultur des Kompromisses konnten auch schwierige Entscheidungen getroffen werden - ohne ein Abrutschen in demagogische Rhetorik.“