Scholz und Macron in Paris: Verstimmungen adieu?
Ein Mittagessen in Paris sollte sie einander wieder näher bringen: Nach dem dreistündigen Treffen von Frankreichs Präsident Macron und Bundeskanzler Scholz am Mittwoch hieß es von deutscher Seite, es sei ein sehr gutes Gespräch über steigende Preise, Energieversorgung und Rüstungsprojekte gewesen. Zu diesen Themen sollen gemeinsame Arbeitsgruppen tätig werden. Kommentatoren debattieren über die deutsch-französische Achse.
Mehrere Gründe für Verärgerung
Frankreich nimmt Deutschland einige Entscheidungen übel, analysiert Jutarnji list:
„Zuerst hatten Deutschland und Frankreich unterschiedliche Meinungen, als die EU-Staaten darüber stritten, ob die EU auch Kernkraft als grün bezeichnen soll. Danach verärgerte Deutschland Frankreich, wie auch die Mehrheit der EU, mit dem 200-Milliarden-Hilfspaket. ... Auch bei der Idee zum Bau der Iberischen Gas-Pipeline ging es nicht wirklich freundschaftlich zu. ... Doch das größte Problem für Paris scheint die Entscheidung Deutschlands zu sein, seine Verteidigungskapazitäten durch den Kauf von Technik und Waffen aus den USA zu stärken.“
Nationen sind nun mal wankelmütig und egoistisch
Die EU sollte ihren Blick auf die einzelnen Mitgliedsstaaten korrigieren, rät Le Point:
„Sie muss damit rechnen, dass ihre Mitglieder nicht immer die gleiche Agenda haben. ... Dies ist nötig, um zu verhindern, dass sich Meinungsverschiedenheiten in mörderischen Formen zuspitzen. Ihre Gleichung für Paris und Berlin, deren Unbekannte sie gelöst zu haben glaubte, indem sie dauerhaften Frieden versprach, ist zur Falle geworden. Europa kann nur auf Grundlage seiner wahren Geschichte, ohne Illusionen, ohne Scheinheiligkeit errichtet werden, wobei die Nationen als das betrachtet werden müssen, was sie sind: wechselhaft, unvorhersehbar und leider auch egoistisch.“
Weniger Romantik, mehr Realismus
Einen offeneren Umgang mit unterschiedlichen Interessen fordert der Paris-Korrespondent des Handelsblatts, Gregor Waschinski:
„Für ein neues Kapitel der Partnerschaft ist ein besseres gegenseitiges Verständnis der Unterschiede nötig. Beispiel Sicherheitspolitik: Frankreich schwebt eine europäische Verteidigungsgemeinschaft vor, mit autonomen Fähigkeiten im Rüstungsbereich. Dabei hat Paris natürlich auch die Interessen seiner Rüstungsfirmen im Blick. In Deutschland hat das Sicherheitsverständnis eine transatlantische Komponente. ... Die Differenzen sind keine Katastrophe, das deutsch-französische Fundament ist weiterhin stark. Dennoch ist die Neuverortung der Beziehungen unerlässlich. Die Richtschnur muss lauten: weniger Romantik, mehr Realismus.“
Deutsch-französischer Motor wird dringend gebraucht
Paris und Berlin sollten an einem Strang ziehen, meint Financial Times:
„Trotz Unterschieden im Stil zwischen dem pragmatischen, technokratischen Scholz und dem idealistischen Macron gibt es genügend Spielraum, Gemeinsamkeiten zu finden. Eine Rede des deutschen Kanzlers im August mit dem Ruf nach einem 'geopolitischem' und 'souveränen' Europa, war ein Widerhall auf Lieblingsthemen des französischen Präsidenten, auch wenn sich die Rede eher auf institutionelle Reformen als auf große Visionen bezog. Wie die EU funktioniert, muss überdacht werden. Heute aber, während die EU vor ihrer härtesten Prüfung seit Beginn des Ukraine-Krieges steht, braucht Europa den deutsch-französischen Motor, um voll funktionsfähig zu sein.“
Findungsphase in solchen Zeiten normal
Die deutsch-französische Achse leidet unter den geopolitischen Veränderungen, analysiert Luuk van Middelaar in seiner Kolumne in NRC Handelsblad:
„Wir sollten die akuten politischen Ärgernisse nicht dramatisieren. Sie sind die Folge von unausgesprochenem Unbehagen über die großen strategischen Veränderungen. Die russische Invasion war der größte Schock für Europa seit dem Kalten Krieg. Genau wie 1989 stellt sie das kontinentale Gleichgewicht und daher auch die französisch-deutsche Beziehung auf die Probe. ... Europas Schwerpunkt verschiebt sich gen Osten, was die Bundesrepublik in den Mittelpunkt rückt. Frankreich, das sich selbst als Anführer sieht, bleibt an der atlantischen Westflanke zurück.“