Ölpreis-Deckel: Was kann er bewirken?
Seit Montag gilt der von EU und G7-Staaten beschlossene Preisdeckel für russisches Öl, der bei 60 Dollar (57 Euro) pro Barrel liegt. Damit und mit dem ebenfalls in Kraft getretenen Teil-Embargo für Öl-Importe in die EU soll Russland die Finanzierung seines Krieges gegen die Ukraine erschwert werden. Ein Kreml-Sprecher erklärte, man habe sich vorbereitet. Die Presse ist uneins in ihrer Bewertung.
Besser, er bleibt Symbolpolitik
Der Westen wird mit seiner Strafaktion scheitern, meint die taz:
„Der Kreml darf sein 'schwarzes Gold' ruhig exportieren, soll dabei aber möglichst wenig Gewinn machen. Diese Idee verkennt die Macht der Russen. Sie können jederzeit beschließen, ihr Öl gar nicht mehr zu liefern, was sofort zu enormen Preissprüngen auf den Energiemärkten führen würde. So bizarr es ist: Der Westen muss hoffen, dass seine Preisbremse reine Symbolpolitik bleibt und sich viele Schlupflöcher finden. Sonst wird das Öl richtig teuer. Der Westen kann sich das vielleicht leisten – der Globale Süden nicht.“
Begrüßenswerte politische Einigkeit
El País findet, EU und G7 machen alles richtig:
„Insgesamt ist die Begrenzung der Ausfuhrpreise ein Schritt in die richtige Richtung. Die bereits gegen Russland verhängten Sanktionen haben der russischen Wirtschaft zwar erheblichen Schaden zugefügt, aber keinen Zusammenbruch bewirkt. Das zeigen die Stärke des Rubels und die Tatsache, dass Moskaus Öleinnahmen im Oktober 17,3 Milliarden Dollar betrugen, mehr als der Monatsdurchschnitt für 2021. Der Kreml führt einen immer brutaleren Krieg und bestraft die Zivilbevölkerung. Die demokratischen Länder müssen reagieren, und eine Möglichkeit, dies zu tun, besteht darin, Wladimir Putin die Mittel für die Finanzierung seiner Offensive zu entziehen. ... Es hat wieder politische Einigkeit geherrscht, und das ist gut.“
Zu viele Ausnahmen und Schlupflöcher
Der Wirtschaftsprofessor und Blogger Jože P. Damijan glaubt nicht an einen Erfolg des eingeführten Preisdeckels:
„Der Preisdeckel wurde eingeführt, weil er eben eingeführt werden musste, und in einigen Monaten werden wir sehr wahrscheinlich wieder feststellen, dass diese Maßnahme weder auf die Preise noch auf die Einnahmen des russischen Haushalts nennenswerte Auswirkungen hatte. Und dass Länder, obwohl der Preisdeckel bereits zahlreiche Ausnahmen vorsieht, viele weitere Umwege für den Import von russischem Öl gefunden haben.“
Ein fauler Kompromiss
Wprost hält nicht viel vom Preisdeckel:
„Dem Herrgott eine Kerze, dem Teufel zumindest einen Kerzenstummel. So ist die Entscheidung der EU zu bewerten, Erdöl zu einem Preis von 60 Dollar pro Barrel auf dem Landweg zu kaufen, während das Embargo für die Einfuhr auf dem Seeweg heute in Kraft tritt. ... Der Westen klopft Selenskyj mit der einen Hand auf die Schulter und bewundert sein Heldentum, gibt aber die andere Hand Putin, um bei 19 Grad zu Hause im Winter nicht zu frieren.“
Auswirkungen sind schwer abschätzbar
Über die Wirksamkeit des Ölpreisdeckels lässt sich derzeit nur mutmaßen, meint Der Standard:
„Ob das Unterfangen, um das monatelang gerungen wurde, erfolgreich sein wird, hängt von Schwellenländern wie China und Indien ab, aber auch von der Türkei, also Staaten, die dem Kreml auf unterschiedliche Weise dienstbar sind. Riskant ist die Operation allemal, denn wirkungsvoll ist die Maßnahme vorerst nur in der Theorie. Welche Kollateralschäden die klug und logisch klingende Sanktion nach sich zieht, ist kaum abzuschätzen.“
Es könnte funktionieren
Laut Radio Kommersant FM hat der Preisdeckel schon gewirkt, bevor er überhaupt in Kraft trat:
„Allein die Diskussion darüber hat sich bereits auf den Preis für russisches Rohöl ausgewirkt. Bis Ende November wuchs der Abschlag, mit dem Urals-Öl verkauft wird, deutlich. Nach Bloomberg-Angaben konnte das Barrell für 52 Dollar gehandelt werden, mehr als 30 Dollar billiger als die Referenzsorte Brent. Ironischerweise ist der Grenzwert 60 also sogar höher als der aktuelle Urals-Preis. Aber das ist nicht der springende Punkt: sondern, dass eine solche Maßnahme des Westens tatsächlich funktionieren kann.“
Vorsichtiger Deckel findet mehr Akzeptanz
Warum eine radikalere Obergrenze von 30 Dollar keine gute Idee ist, erklärt die Süddeutsche Zeitung:
„Die Gefahr wäre groß, dass Putin dann seine Drohung wahr macht und die Exporte nach Asien und Afrika herunterfährt. Das würde die Ölpreise weltweit hochschnellen lassen und gerade arme Länder heftig belasten. ... Ein sehr niedriger Preisdeckel würde zudem die Gefahr erhöhen, dass ihn bedeutende Abnehmer wie Indien und China ignorieren. Die Regelung verbietet westlichen Reedern und Schiffsversicherern, sich am Transport teuer verkauften Öls zu beteiligen. Russland, China und Indien könnten allerdings eigene Tankerflotten und eigene Assekuranzen einspannen. Sie könnten so den Boykott nicht komplett auffangen, doch zumindest teilweise. Es ist daher besser, eine vorsichtige Obergrenze zu wählen, die eher akzeptiert wird.“
Auf dem Finanzmarkt wird es eng
Die Entscheidung betrifft auch den Export in Länder, die weder zur EU noch zur G7 gehören, erklärt Polityka:
„Die Obergrenze der G7 ist von großer Bedeutung, da sie Unternehmen aus der EU und Großbritannien untersagt, Finanzdienstleistungen (Versicherungen, Kredite) und Transportdienstleistungen für den Transport von russischem Öl (zum Beispiel nach Asien oder Afrika) zu einem höheren als dem vereinbarten Preis anzubieten. Die EU und Großbritannien dominieren den Markt für Finanzdienstleistungen, sodass die Notwendigkeit, auf weniger zuverlässige Gläubiger und Kreditgeber auszuweichen, die Kosten des Handels mit russischem Öl vervielfachen würde.“
Die Händler suchen nach Schlupflöchern
Wirtschaftprofessor Jewgeni Smirnow geht in Iswestija davon aus, dass der Preisdeckel umgangen wird:
„Die russischen Ölexporte sind seit Jahren eingespielt, und es ist unwahrscheinlich, dass die Marktteilnehmer die neuen Bedingungen sofort akzeptieren. ... Die Händler werden daher nach Schlupflöchern suchen, um die EU-Forderungen zu umgehen. Zudem wird Russland versuchen, seine Exporte in die asiatischen Länder weiter zu steigern, und daher die Dienste von Reedereien und Versicherungen in Indien und China in Anspruch nehmen. Darüber hinaus könnten große Kapazitäten einer 'Schattentankerflotte' am russischen Ölexport beteiligt werden. Letztlich wird das Verhalten der Marktteilnehmer dazu führen, dass Preisobergrenzen nicht so bedeutsam sein werden wie derzeit erwartet.“