Rückkehr russischer Sportler: Viel Schelte fürs IOC
Die Empfehlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), russische und belarusische Sportlerinnen und Sportler bei Wettkämpfen wieder antreten zu lassen, hat heftige Kritik ausgelöst. Von "einem Tag der Schande für das IOC" sprach der polnische Staatssekretär Piotr Wawrzyk. Ukrainische Athleten diskutieren einen Boykott von Wettkämpfen. Kommentatoren beleuchten mögliche Motive und Folgen.
Sport ist keine Friedenstaube
De Morgen erkennt beim IOC-Präsidenten eine gewisse Naivität:
„Bach glaubt offenbar an die vom IOC selbst kultivierte Idee von tiefen olympischen Werten, die den normalen Sport übersteigen: Die Idee, dass die Sportorganisation eine Art Friedenstaube ist in einer grausamen Welt. Mit dem 'olympischen Frieden', einem globalen Waffenstillstand während der Spiele, als Höhepunkt. Aber Sport verbrüdert selten wirklich, und von einer Trennung von Sport und Politik kann genauso wenig die Rede sein. Gerade Russland hat, was das angeht, eine zweifelhafte Vergangenheit.“
Verbände von russischem Geld abhängig
Für Kommentator Viljar Voog von Eesti Päevaleht ist klar, was wirklich hinter den Entscheidungen steckt:
„Hier gibt es eine Blindheit, die dazu führt, dass der wahre Hintergrund dieser Entscheidungen nicht wahrgenommen wird. So hat der Internationale Fechtverband (FIE) die Russen gerade mit einer Mehrheit von fast zwei Dritteln im Kongress wieder in seine Familie aufgenommen. Hat die Demokratie gesiegt? Ich wage zu vermuten, dass die Abstimmung nicht aus sportlichen Erwägungen erfolgte, sondern aufgrund der Tatsache, dass die Finanzierung des FIE im Wesentlichen vom Mammon des russischen Oligarchen Alischer Usmanow [langjähriger FIE-Präsident bis zum Kriegsausbruch] abhängt.“
Olympia-Boykott der Ukraine? Nein danke
Mit den möglichen Folgen für ukrainische Sportler beschäftigt sich Sportarena.com:
„Die ukrainische Leichtathletin Jaroslawa Mahuchich [Bronzemedaillengewinnerin im Hochsprung bei den Spielen von Tokio] hat sich zu einem möglichen Boykott der Olympischen Spiele 2024 geäußert, sollten Russen und Belarusen an diesen internationalen Wettkämpfen teilnehmen dürfen: 'Ich denke, es ist eine sehr schwache Position, die Olympischen Spiele zu boykottieren. Wir müssen alles tun, um zu verhindern, dass dies geschieht. ... Das ist der größte aller Wettbewerbe, jeder sieht ihn sich an. Wenn dort keine ukrainischen Athleten antreten, wird das ein Fiasko, ganz ehrlich.'“
Den gleichen Maßstab anlegen
Nach Ansicht von Lidové noviny konzentriert sich die ganze Debatte fälschlicherweise nur auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine:
„Derzeit finden weltweit 36 militärische Konflikte statt, die meisten davon Bürgerkriege. Zum Beispiel starben in Äthiopien letztes Jahr offiziell 100.000 Menschen aufgrund von Kämpfen, in Afghanistan starben in den letzten fünf Jahren 130.000 Menschen und in Syrien fast 50.000. Sicher, allein in der Ukraine im letzten Jahr über 240.000. Aber das Entscheidende ist nicht die Zahl der Toten, sondern die Tatsache, dass wir alle gleich messen sollten, wenn wir Gerechtigkeit walten lassen wollen. Es geht nicht nur darum, wie bedroht wir uns fühlen.“
Ausschluss ist die einzige Lösung
Rzeczpospolita rügt die Haltung des IOC-Präsidenten:
„Bach ist der Ansicht, dass es als Strafe für Russland und Belarus ausreicht, ihnen die Ausrichtung internationaler Veranstaltungen zu verweigern sowie ihre offiziellen Delegationen, Flaggen und Hymnen auszuschließen. Im Hinblick auf die Spiele im nächsten Jahr nimmt das IOC keine verbindliche Position ein, aber es verschließt den Aggressoren auch nicht die Türen. Das bringt den demokratischen Westen - einschließlich uns - in eine sehr schwierige Lage. Was ist, wenn die so gedemütigte Ukraine die Spiele boykottiert? ... Spiele ohne Russland und Belarus sind die einzige Lösung, die sie vor dem Verlust von Ansehen und Anstand bewahren kann.“
Moralische Bankrotterklärung
Für den IOC sind Menschenrechtsfragen nicht mehr von Belang, kritisiert der Tages-Anzeiger:
„Wer redet schon von Moral? Für die Wiederwahl genügt es, wenn er [IOC-Präsident Bach] das Geld möglichst grosszügig verteilt. Wie bei der Fifa. In wichtigen Fragen wie jenen nach den Menschenrechten haben sich die grossen Verbände eher rückwärts- als vorwärtsentwickelt. Wegen der Apartheid war Südafrika bis 1991 und fast drei Jahrzehnte lang von Olympischen Spielen ausgeschlossen. Jetzt aber genügt ein Krieg nicht, um mit Russland den Aggressor und mit Weissrussland seinen wichtigsten Helfer auszuschliessen?“
Bach hält sich erfolgreich auf zwei Stühlen
Blogger Kirill Schulika erklärt auf Facebook, dass eigentlich noch gar nichts richtig entschieden ist:
„Über die Olympischen Spiele in Paris [2024] wurde noch gar nicht gesprochen. Es wurde ein Schema vorgeschlagen, wie die Sportverbände russische und belarusische Sportler zu internationalen Wettkämpfen zulassen sollen. Doch auch dieses ist noch weitgehend im Entwurfsstadium. ... Es bleiben noch einige Monate, um es zu testen und bei gewöhnlichen Wettbewerben in ein funktionierendes Format zu bringen. Erst danach werden Entscheidungen zu Olympia getroffen. Das ist ein Kompromiss, der nicht gut sein kann, aber auch schlechter hätte ausfallen können. Bach hat es mal wieder geschafft, auf zwei Stühlen zu sitzen.“
Es geht auch anders
Mehrere nationale Eishockey-Verbände wollen für die anstehende WM keine Spieler nominieren, die ihr Geld in der russischen Liga KHL verdienen. Der slowakische Verband hat sich dem jetzt angeschlossen, was Sme freut:
„Eishockeyspieler aus der KHL sind kein Vorbild, weil sie Putins Regime wissentlich unterstützen. ... Wenn die slowakische Eishockeymannschaft bei der WM nicht reüssiert, ist das vielleicht eine kleine sportliche Tragödie. Die ganz großen Tragödien finden jedoch unter den Trümmern zerbombter Häuser statt, in Kellern voller verängstigter Kinder oder in den Herzen derer, die ihre Lieben durch den Krieg in der Ukraine verloren haben - egal auf welcher Seite. Es gibt Wichtigeres auf der Welt als Eishockey.“