Zu Besuch bei Freunden: Joe Biden in Irland
Nach seinem Besuch in Belfast zum Jahrestag des Karfreitagsabkommens hat US-Präsident Joe Biden drei Tage in der Republik Irland verbracht. In einer Rede vor dem Parlament in Dublin betonte er die historischen Verbindungen zwischen den USA und Irland und seine irischen Vorfahren. Wie die Geschichte und die Herausforderungen der Gegenwart zusammenhängen, beschäftigt auch Kommentatoren.
Nicht mehr das Land seiner Vorfahren
Das moderne Irland ist völlig anders, als es vom US-Präsidenten dargestellt wird, erklärt Kolumnist Mark Piggott in The Times:
„Irlands Regierungschef ist homosexuell und indischer Abstammung. Religion, zumindest die katholische, steht nach Jahrzehnten der Skandale vor dem Ende. Vergangenes Wochenende besuchten wir im südwestirischen Cork den multiethnischen Marina Market. Wir aßen mexikanische Fajitas, tranken US-amerikanisches Bier und sahen englischen Fußball auf einem japanischen Fernseher. Ob es einem gefällt oder nicht, das ist das neue Irland. Wenn Biden darüber scherzt, dass die Iren stets betrunken seien, und wenn er Dinge sagt wie 'Ich bin vielleicht Ire, aber nicht dumm', ist schwer zu sagen, ob er überhaupt etwas von diesem Land versteht.“
Hauptsache, wir profitieren
Dass sich so viele US-Amerikaner zu Irland hingezogen fühlen, kann den Iren nur recht sein, entgegnet Kolumnist Ian O'Doherty in Irish Independent:
„Die Schätzungen variieren, aber etwa 35 Millionen US-Amerikaner beanspruchen eine irische Abstammung für sich. Ob es tatsächlich so viele sind, ist umstritten, letztlich jedoch irrelevant. Wenn sich diese Menschen mit unserem Land und seinen Menschen verbunden fühlen, soll uns das recht sein. Wenn es zu zusätzlichem Tourismus und mehr ausländischen Direktinvestitionen führt, auf die wir angewiesen sind, muss das eine gute Sache sein. Wir sollten uns auch an das diplomatische Gewicht erinnern, das die USA immer wieder für uns eingesetzt haben.“
Würdigung der Iren, aber auch der EU
Bidens dreitägiger Besuch hatte mehrere Botschaften, analysiert Le Monde:
„Die eine wendet sich an die US-Wähler - von denen 30 Millionen ebenso wie er für sich in Anspruch nehmen, irischer Abstammung zu sein - indem der Präsident stolz seine bescheidene Herkunft in Erinnerung ruft und 'Mut' sowie 'Zuversicht' als gemeinsame Eigenschaften von Iren und Amerikanern präsentiert. Die andere ist an die Europäer gerichtet und betont die Bedeutung der EU. Bevor der Frieden in Irland durch den Brexit bedroht wurde, war dieser durch die Mitgliedschaft der beiden Inselteile in der Gemeinschaft deutlich erleichtert worden. Die Europäer müssen weiterhin alles tun, um ihn zu erhalten.“
Diplomatische Errungenschaft ohne solides Fundament
Die Bilanz des Karfreitagsabkommens ist im Grunde ernüchternd, wie der Besuch Bidens einmal mehr zeigt, klagt El Mundo:
„Um die Gewalt zu beenden, mussten 3.700 IRA-Opfer auf Gerechtigkeit verzichten, und die Täter gingen straffrei aus. ... Ein hoher Preis, um dieses große historische Trauma zu beenden. ... Joe Bidens Reise wurde davon getrübt, dass er auf einen Dialog zwischen Republikanern und Loyalisten drängen musste. Sie sind dazu verurteilt, einander zu verstehen und eine gemeinsame Regierung zu bilden, kehren sich aber den Rücken zu. ... Nach 25 Jahren hat der Frieden keine Integration, sondern eine kalte Koexistenz gebracht: London hat gerade die Anti-Terror-Warnung für das Gebiet erhöht.“