Griechenland: Klarer Sieger - und doch bald Neuwahl?
Der amtierende Premier Kyriakos Mitsotakis und seine liberal-konservative Nea Dimokratia haben die griechische Parlamentswahl mit 40,8 Prozent der Stimmen klar gewonnen. Die linke Syriza erreichte nur noch 20,1 Prozent. Für eine Alleinregierung fehlen Mitsotakis wenige Sitze, eine Koalition schloss er aber aus. Stattdessen setzt er auf eine Neuwahl, bei der die stärkste Partei dann einen Bonus von mindestens 20 Sitzen erhielte.
Sparpolitik hat die Linke gebrochen
El País sucht nach Erklärungen für das schlechte Abschneiden der linken Oppositon:
„Weder die hohen Lebenshaltungskosten noch die große Skandale haben zu einer Abstrafung des Premiers geführt. ... Von der griechischen Linken, Symbol einer politischen Erneuerung in ganz Europa, ist heute nicht mehr viel übrig. ... Sie zahlt noch immer einen hohen Preis dafür, dass sie nach dem Bankrott von 2008 die von Europa geforderten, harten Sparmaßnahmen umsetzen musste, die das Land in eine Situation der Vormundschaft brachten, die erst 2022 beendet wurde. ... Niemand im [linken] Spektrum war in der Lage, dies mit einem überzeugenden Narrativ zu erklären.“
Politik gegen die Armen
Wie wichtig es aber wäre, dass die Opposition ihre Stimme wiederfindet, erklärt The Guardian:
„Die marktfreundlichen Reformen von Mitsotakis dürften vor allem Banken und Investoren erfreut und die gehobene Mittelschicht beruhigt haben. Aber die weniger Wohlhabenden leiden weiterhin unter den fürchterlichen Folgen des anhaltenden und strafenden Sparkurses. Die griechische Wirtschaft ist nach wie vor etwa ein Fünftel kleiner als vor 2008. Armut und soziale Ausgrenzung gehören zu den höchsten innerhalb Europas. Finanzelle Stabilität und Schuldentilgung wurden auf Kosten des Lebensstandards durchgesetzt. Mitsotakis wird so weitermachen und die Märkte werden ihn dafür bejubeln. Nach einer trostlosen Wahlnacht müssen progressive Kräfte nun endlich zurück ins Gespräch finden.“
Dieselbe Strategie wie Erdoğan
Parallelen zwischen der Türkei und Griechenland erkennt Le Temps:
„Erdoğan und Mitsotakis, zwei 'starke Männer', die von einer zersplitterten oder an Glaubwürdigkeit mangelnden Opposition zu profitieren wussten und die einen ständigen Sicherheitswahn hinter sich haben: 'Terroristen' jeglicher Art bei Erdoğan und 'Invasion von Migranten' bei Mitsotakis. Ob von innen, außen oder einfach ausgedacht, die Bedrohung stärkt die Macht. Und das vor allem, wenn diese Bedrohung vom Nachbarn kommt. ... Die türkisch-griechischen Streitigkeiten sind historisch, aber sie werden stark von der politischen Agenda der beiden Männer beeinflusst, die sich im Wahlkampf befinden. Denn was gibt es Schöneres, als sich zu bekämpfen, um zu regieren?“
Enthaltung als Warnung begreifen und handeln
Die niedrige Wahlbeteiligung sorgt HuffPost Greece:
„Die Stimmenthaltung erhielt den gleichen Prozentsatz wie die meistgewählte Partei: 40 Prozent. ... Die erschreckend vielen, die dem Wahlprozess den Rücken kehrten, sendeten zum x-ten Mal eine laute, fast ohrenbetäubende Botschaft. Warum dann so viel Schweigen zu so einer lärmenden Enthaltung? Fast die Hälfte der Bürger Griechenlands teilt mit, dass sie seit langem enttäuscht sind, dass das politische System völlig diskreditiert ist, dass es ihnen egal ist, wer über den Staat und ihr Leben bestimmt. ... Wer ist gleichgültiger? Die Nichtwähler oder diejenigen, die nichts dafür tun, um die Nichtwähler wieder an die Urnen zu bringen?“
Wunsch nach Stabilität
Die Verschiebung der Wahlen hat sich für Mitsotakis ausgezahlt, analysiert De Standaard:
„Ende Februar wurden bei einem Zugunglück bei Larissa 57 Menschen getötet, darunter viele Studenten. Das Drama brachte viele griechische Missstände ans Licht und widersprach Mitsotakis' Darstellung, dass er das Land modernisiert hätte. Der Premier ging in die Knie und verschob sogar die Wahlen in der Hoffnung, dass die Wut über die Katastrophe sich langsam legen würde. Das funktionierte. Die Griechen wählten eindeutig Stabilität und belohnten den Premier für eine Reihe makroökonomischer Erfolge wie den Rückgang der Staatsverschuldung und der Arbeitslosigkeit.“
Das Trauma der nicht eingehaltenen Versprechen
Die Wähler sehen in Syriza keine glaubwürdige Alternative mehr, analysiert die konservative Kathimerini:
„Wie sich herausstellt, sind das Trauma der leichtsinnigen Versprechen von 2015, das Abenteuer des [Reform-] Referendums, als ein Nein zu einem Ja wurde, und der negative Eindruck der 'erstmals linken' Regierung Wunden, die noch nicht verheilt sind. ... Die Niederlage kommt nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel. In den letzten vier Jahren hat die Oppositionspartei nicht nur den Stimmenanteil der Regierung, sondern auch den Anteil, den sie bei den Wahlen 2019 gewonnen hatte, immer wieder verfehlt. … Syriza ist in den Köpfen der Menschen zu einer Partei des Systems geworden. Ihre Führung hat jedoch weiterhin stark in einen Anti-System-Kurs investiert.“
Das Pendel schwingt global nach rechts
Auf nationale Entwicklungen kann das Ergebnis nicht zurückzuführen sein, meint die linke Efimerida ton Syntakton:
„Der ultrakonservative Wind, der in Frankreich, Italien und vielen anderen europäischen Ländern, aber auch in den USA mit dem Trumpismus weht, kommt nun auch nach Griechenland. ... Wenn Evia, das tagelang brannte, oder Larissa nach Tempi einen überwältigenden Vorsprung der Nea Dimokratia melden, dann stimmt etwas nicht mit der Demokratie in Griechenland. Das ist keine Panikmache, sondern ein europaweites Phänomen, das die Linke ernst nehmen muss: Die weltweite konservative Welle geht an keinem Land spurlos vorbei. Das Pendel scheint in die entgegengesetzte Richtung zu schwingen als in den 60er und 70er Jahren.“
Alleinregierung nach Runde Zwei so gut wie sicher
Eine Koalitionsregierung ist für Corriere della Sera äußerst unwahrscheinlich:
„Der Plan ist nun klar, und es ist der angekündigte. Mit dem geltenden Wahlgesetz gewinnt Nea Dimokratia zwischen 145 und 146 Abgeordnete, 5 bis 6 weniger als die absolute Mehrheit. Nun könnte sich Mitsotakis natürlich mit der [sozialdemokratischen] Pasok verbünden, die mit rund 12 Prozent der Stimmen zum Zünglein an der Waage geworden ist. Aber der Pasok-Vorsitzende hat abgewunken und auch Mitsotakis will nicht. Es ist besser, keine Einigung zu erzielen und in die 'zweite Runde' zu gehen. … Mit dem dann geltenden Wahlgesetz, das dem Gewinner einen dicken Bonus beschert: Wenn Mitsotakis im Juli die Stimmen von gestern bekommt, stehen ihm so viele Abgeordnete zu, dass er niemanden konsultieren muss.“