Ukraine-Krieg: Will Russland verhandeln?

Während die Ukraine Gebietsgewinne im Süden meldet, greift Russland weiterhin ukrainische Ziele an. Verhandlungen scheinen in weiter Ferne zu liegen. Bisherige Vorschläge zur Befriedung, beispielsweise aus China, fanden kaum Resonanz - etwa, weil sie vorsahen, dass die Ukraine Gebiete abgibt, was diese ablehnt. Nun gibt es Signale für ein verstärktes Interesse an Verhandlungen aus Moskau. Kommentatoren debattieren, was auf dem Spiel steht.

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Ria Nowosti (RU) /

Realistisch sein

Die russische Staatsagentur Ria Nowosti argumentiert für eine Verhandlungslösung:

„Unsere Feinde sehen, dass ein Friedensabkommen für Russland vorteilhaft ist, und lehnen daher alle Pläne ab - den chinesischen, den indonesischen und den afrikanischen. Und unsere selbsternannten Patrioten sind sich sicher, dass ein Friedensabkommen zwangsläufig ein hinterlistiger 'Deal' ist. Auch sie kritisieren pauschal alle Vorschläge im Voraus. Unsere Feinde versuchen, den Ukraine-Konflikt in die Länge zu ziehen, um Russland zu erschöpfen, denn auch der Große Vaterländische Krieg hat uns ruiniert. ... Unsere Patrioten fordern in etwa das Gleiche - zu kämpfen ohne Ende, bis die Grenze zu Polen erreicht ist. Aber seien wir doch realistisch.“

Nikolai Mitrochin (RU) /

Kreml erwägt offenbar, Gebiete abzukaufen

Politologe Nikolai Mitrochin interpretiert die Äußerungen von Ria Nowosti auf seiner Facebook-Seite als Indiz für eine Kursänderung in Russlands Führungskreisen:

„Vor einigen Monaten wurde auch von [RT-Chefin Margarita] Simonjan die Idee eines 'Abkaufs' geäußert. Das heißt, in der russischen Führung gibt es die Idee, den Krieg mit einem Vertrag zu beenden, bei dem der Ukraine alle Gebietserwerbungen bezahlt würden. ... Wie aus dem Text hervorgeht, will Putin (oder eine einflussreiche Gruppe in der politischen Führung Russlands, an der sich Simonjan und die Autorin von Ria Nowosti orientieren) keine nennenswerten neuen Verluste auf russischer Seite, ist aber auch nicht bereit, das Eroberte aufzugeben, und plant deshalb eine 'Abmachung' in der Art von 'mit Geld zuschütten'.“

Gordonua.com (UA) /

Verhandlungen nicht möglich

Michail Podoljak, Berater des Chefs der ukrainischen Präsidialadministration, schreibt auf Gordonua.com:

„Ungelernte Lektionen aus der Geschichte haben die Tendenz, sich zu wiederholen. ... Das derzeitige russische Regime ist das Ergebnis einer 20-jährigen falschen Politik des Westens gegenüber Russland. ... Es gibt nur einen Weg, diese Lektion heute zu lernen: sich zu einer einzigen Faust zu vereinen, Moskau zu besiegen, Kriegsverbrecher zu bestrafen und den Respekt vor dem internationalen Recht wiederherzustellen. Jeder Versuch, eine Aggression zu tolerieren, jeder Versuch, zur Tagesordnung überzugehen und sich an den Verhandlungstisch zu setzen, wird den Völkermord als Instrument der internationalen Beziehungen legalisieren und unseren Planeten zu einem viel gefährlicheren Ort machen.“

Spotmedia (RO) /

Die Zeit ist auf Moskaus Seite

Die Ukraine steht unter Erfolgsdruck, so Politikanalyst Valentin Naumescu auf Spotmedia:

„Durch eine Verlängerung des Konfliktes (oder durch dessen Einfrieren) könnte die Empathie des westlichen Publikums schwinden und insbesondere das Vertrauen in die Theorie eines völligen Sieges. Das könnte uns allmählich glauben lassen, dass wir Zeugen einer neuen territorialen Realität und eines neuen Status Quo sind. Die Russen haben sich stets auf die Politik der vollendeten Tatsachen verlassen und darauf, dass der Westen die Realität eines Tages akzeptiert. Und in Westeuropa gibt es viele, die gern zum 'Business as usual' zurückkehren würden, was die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit Russland angeht.“

Večernji list (HR) /

Enorme Kriegsschäden

Die exorbitanten Kosten für den Wiederaufbau der Ukraine steigen stetig weiter, betont Večernji list:

„Bei einer großen Konferenz in London versprachen Großbritannien, die USA und die Europäische Union gestern Milliarden für den Wiederaufbau der Ukraine. ... Die Ukraine braucht 40 Milliarden Dollar zur Finanzierung des ersten Teils des 'grünen Marshallplanes'. ... Ursula von der Leyen sagte, die EU werde der Ukraine 50 Milliarden Euro zwischen 2024 und 2027 geben. Die Kriegsschäden sind enorm, die Weltbank, Europäische Kommission und Vereinten Nationen schätzten sie im März auf 411 Milliarden Dollar im ersten Kriegsjahr. Doch sehr leicht könnten sie bald auf mehr als eine Billion (tausend Milliarden) Dollar ansteigen.“