Wie groß ist der Antisemitismus in Europa?
Nach dem Angriff der radikal-islamischen Hamas auf Israel und der Reaktion des israelischen Militärs im Gazastreifen ist die Stimmung in den europäischen Gesellschaften aufgeheizt. Bei pro-palästinensischen Demonstrationen kommt es auch immer wieder zu Sympathiebekundungen mit der Hamas sowie zu antisemitischen Parolen. In Berlin wurde eine Synagoge angegriffen. Europas Presse ist besorgt.
Gegen den Hamas-Terror wird kaum demonstriert
Berlingske vermisst Großdemonstrationen gegen Terror und Antisemitismus:
„Sind Sie automatisch ein Hamas-Anhänger oder ein Antisemit, wenn Sie sich mit der bedrängten Zivilbevölkerung im Gazastreifen solidarisieren oder gegen den Umgang des israelischen Staates mit den palästinensischen Gebieten protestieren? Die Antwort ist nein. ... Allerdings sucht man in Europa vergeblich nach breiten Volkskundgebungen, an denen sich sowohl Linke als auch europäische Muslime beteiligen, die Nein zum Antisemitismus sagen und die endgültige Befreiung Gazas von der Terrorbewegung fordern.“
Deutschland stark betroffen
Corriere della Sera richtet den Blick auf die deutsche Gesellschaft:
„Mit Schrecken und Entsetzen hat Deutschland zur Kenntnis nehmen müssen, dass es in seinem Inneren eine bedeutende antisemitische Minderheit gibt. Wir sprechen hier nicht von der extremen Rechten, die bundesweit die zweitstärkste Partei ist und auch im reichen und beschaulichen Bayern gewählt wird. Es musste erkennen, dass auch viele Flüchtlinge eine anti-israelische Ideologie mit sich bringen. ... In Deutschland leben sechs Millionen Muslime, von denen zwei Millionen seit 2015, dem Jahr der großen Öffnung, zugewandert sind. … Deutschland steht vor einer tiefgreifenden Veränderung. Das Merkelsche Gutmenschentum ist vorbei.“
Antisemiten sind laut, aber wenige
Für die Berliner Zeitung verbietet es sich, allen Muslimen pauschal Antisemitismus zu unterstellen:
„Das ist nicht so, und seien die Stimmen aus dem Nahen Osten noch so schrill, wenn es um Israel, die USA, den Westen insgesamt geht. Und bei allem Kopfschütteln über die propalästinensischen und antisemitischen – was bitte soll 'Free Palestine' bedeuten, wenn nicht die Ausradierung Israels als jüdischer Staat und sicherer Hafen aller Juden weltweit? – Demonstrationen in Neukölln und anderswo hilft auch hier die Differenzierung: Es sind wenige, die demonstrieren. Sie sind laut, aber es sind wenige.“
Forderungen erhebt man nur gegen Israel
Hinter Solidaritätsbekundungen mit Palästinensern steht oft versteckter Antisemitismus, kommentiert Leonid Gosman auf Facebook:
„Ich bin mir sicher, dass hinter den meisten der öffentlich geäußerten Ängste um die Menschen in Gaza anti-israelische und antisemitische Haltungen stecken. ... Ich denke das, weil die Forderungen nach Maßnahmen zur Verhinderung oder Überwindung der humanitären Katastrophe in Gaza nur an Israel gerichtet sind: ... Ich sehe keine Forderungen an Ägypten, die Flüchtlinge durchzulassen. Ich sehe keine Forderungen an die arabischen Länder, Evakuierungen zu organisieren oder Kranke aufzunehmen. Und vor allem sehe ich keine Forderungen an die Hamas, die als Regierung von Gaza für Sicherheit und Wohlergehen der Bevölkerung verantwortlich ist.“
Was geht in den Köpfen der Menschen vor?
Der aus einer jüdischen Familie stammende Philosoph Jan Hartman zeigt sich in Polityka entsetzt:
„Wir wussten, dass die Juden fast überall gehasst werden. Aber so sehr? Und das zu einem Zeitpunkt wie diesem? Das hat es noch nie gegeben. Jeder Jude und jede Jüdin, gläubig und ungläubig, rechts und links, stellt sich heute dieselbe Frage: Was geht in den Köpfen der Menschen vor, die es für einen guten Zeitpunkt halten, gegen Israel zu protestieren, wenn an einem einzigen Tag jeder zehntausendste Jude auf grausame Weise von Mördern abgeschlachtet wurde, die seit Jahren laut und schamlos in der Welt verkünden, dass es das Ziel ihrer Organisation sei, so viele Juden wie möglich zu töten?“