Schweden: Nato-Beitritt in greifbarer Nähe?
Monatelang hatte der türkische Präsident Erdoğan den Nato-Beitritt Schwedens blockiert. Nun hat er dem Parlament das von ihm unterschriebene Protokoll zum Nato-Beitritt zur Ratifizierung vorgelegt. Nato-Generalsekretär Stoltenberg will das Land schon Ende November beim Außenministertreffen offiziell zum neuen Mitglied des Verteidigungsbündnisses werden lassen. Kommentatoren beleuchten Hintergründe und sehen noch Hürden.
Nun haben die Abgeordneten das Wort
Daran, dass die Entscheidung im Parlament noch nicht gefallen ist, erinnert die regierungsnahe Daily Sabah:
„Ob sich das türkische Parlament sofort mit dem Beitrittsprotokoll für Schweden befassen wird, bleibt unklar. Nichtsdestotrotz stellt die Einleitung des parlamentarischen Verfahrens durch Präsident Erdoğan eine neue Entwicklung dar. Es sei daran erinnert, dass die Türkei ihre Unterstützung für die Nato-Erweiterung bekräftigt hat, indem sie letztes Jahr das Beitrittsprotokoll Finnlands genehmigte. Diesmal wird das Parlament prüfen, ob Schweden alle notwendigen Schritte zur Bekämpfung des Terrorismus unternommen hat, und seine Entscheidung treffen.“
Erdoğans Kalkül ist aufgegangen
Die kremltreue Iswestija sieht den türkischen Widerstand rückblickend als innen- wie außenpolitisches Pokern:
„Von Anfang an sah diese türkische 'Meuterei an Bord' nach einer vorübergehenden Maßnahme aus, die einerseits darauf abzielte, vor den Präsidentschaftswahlen antiwestlich eingestellte Wähler im Land zu mobilisieren, und andererseits die Position der Türkei in den Beziehungen zu Brüssel und Washington zu stärken. Erdoğan ist beides gelungen - ein souveräner Wahlsieg und ein Rückgang der Kritik seitens der europäischen und amerikanischen Partner. .... Ankara gibt nun freiwillig die Rolle des Unruhestifters in der Nato auf, erwartet aber eine Sonderbehandlung. Das betrifft auch seine Positionierung in der Nahost-Krise.“
Finnland und baltische Staaten profitieren
Schwedens Nato-Mitgliedschaft ist enorm wichtig für die Verteidigung der nordischen Länder, betont Kaleva:
„Der endgültige Beitritt Schwedens zur Nato wäre eine großartige Sache für Finnland und die gesamte nordische Region sowie für die baltischen Staaten, die dann über eine robustere Verteidigung verfügen würden. Schweden würde vollständig in die Verteidigungsplanung der Nato einbezogen werden. Es würde seine eigenen Stärken einbringen, um die Stabilität der nördlichen Regionen und des Ostseeraums zu sichern. Im nordischen Raum gäbe es bei der westlichen Verteidigungszusammenarbeit keine Lücke mehr. Obwohl Schweden seine Verteidigungskapazitäten in den letzten Jahren stark reduziert hat, verfügt es immer noch über eine leistungsfähige Rüstungsindustrie. Sie steht nun dem gesamten Militärbündnis zur Verfügung.“
Noch nicht in trockenen Tüchern
Sowohl für den Nato-Beitritt als auch für das Funktionieren der Nato selbst sieht Dagens Nyheter noch gefährliche Klippen zu umschiffen:
„Wo Erdoğan die Papiere abgelegt hat, spielt keine Rolle, solange sie nicht ratifiziert und an den Nato-Chef geschickt werden. ... In dem Fall [dass Trump zum US-Präsidenten gewählt wird] besteht die Gefahr, dass die europäische Sicherheit grundlegend erschüttert wird. Die Unterstützung für die Ukraine stagniert. ... Aus seiner letzten Präsidentschaft wissen wir, dass Trump die Nato nicht als heilig ansieht. Dass wir eines Tages dem Verteidigungspakt beitreten werden, steht außer Zweifel. ... Hoffentlich wird die Mitgliedschaft im November oder zumindest vor Jahresende fertig sein.“
Mehr war für Erdoğan nicht zu holen
Die Türkei kann mit einer fortdauernden Blockade nichts mehr gewinnen, meint Turun Sanomat:
„Mit der Ankündigung Erdoğans war derzeit nicht zu rechnen. Dafür, dass der Prozess nun vorankommt, gibt es mehrere mögliche Gründe. Der Kauf von Kampfflugzeugen aus den USA könnte an einem Punkt angelangt sein, an dem die Türkei alle Hindernisse aus dem Weg räumen will. Es wird auch vermutet, dass die Türkei im Gaza-Krieg vermitteln will, und Erdoğan zeigt dem Westen jetzt, dass er ein zuverlässiger Partner ist. … Die einfache Erklärung ist, dass man nicht unbegrenzt Zugeständnisse herauspressen kann. Die Türkei hat bereits alles aus dem schwedischen Nato-Prozess herausgeholt, was sie konnte, und es hat keinen Sinn, ihn noch länger zu blockieren.“
Artikel 5 allein reicht nicht
Neben den Nato-Sicherheitsgarantien muss es auch bilaterale Abkommen geben, meint Helsingin Sanomat:
„Die Sicherheitsgarantien des Nato-Artikels 5 dürfen zwar nicht unterschätzt werden, aber es müssen auch andere Sicherheitslösungen gefunden werden. Die bilateralen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten gewinnen an Bedeutung. In den kommenden Tagen wird Schweden die Verhandlungen über ein bilaterales Abkommen über die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich mit den Vereinigten Staaten abschließen. Finnland befindet sich ebenfalls in der Endphase der Verhandlungen, bei denen man sich auf Regeln für die US-Militärpräsenz in den nordischen Ländern verständigen will. Die nordeuropäischen Länder haben andere Sicherheitsinteressen als die anderen Nato-Länder.“
Peinlich für Ungarn
Die Fidesz-Mehrheit im ungarischen Parlament lehnte am Dienstag einen Antrag der Opposition ab, den schwedischen Nato-Beitritt auf die Tagesordnung zu setzen. Ungarn wird zum Schlusslicht, befürchtet hvg:
„Nachdem Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Montag unerwartet die Abstimmung bei dem Parlament in Ankara angeregt hat, ist es nicht einmal ausgeschlossen, dass Ungarn als letzter Mitgliedstaat den Schweden grünes Licht geben wird. ... Für Ungarn wird es auf jeden Fall peinlich sein, das zu erklären. Früher hatten regierungsnahe Quellen der hvg erklärt, Orbán habe es nicht eilig eine Entscheidung zu treffen, da dies weder das Ansehen des Landes innerhalb der Nato noch seine Beziehungen zu den USA verbessern würde.“