EU-Kommissionschefin von der Leyen tritt erneut an
Ursula von der Leyen hat angekündigt, sich für eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin bewerben zu wollen. Das erklärte sie nach einer Sitzung des Bundesvorstandes der CDU, während der sie zur Spitzenkandidatin für die Europawahl nominiert wurde. Kommentatoren fragen sich, ob und warum die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin ein weiteres Mal die Richtige für den Posten sein könnte.
Sehr gute Kandidatin
Dagens Nyheter begrüßt die Ankündigung:
„Der Hauptgrund, warum sie eine gute Kandidatin ist, liegt darin, dass sie versteht, dass die EU in einer Welt, in der autoritäre Führer in Russland und China ihren Einfluss erweitern und die USA sich immer unberechenbarer verhalten, in der Sicherheitspolitik als Einheit agieren muss. Als die Krisen ausbrachen, war sie da und ging ans Telefon. Denn die Zeit von Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin war geprägt von der Pandemie und dem Krieg in der Ukraine. In beiden Fällen hat sie maßgeblich dazu beigetragen, dass die Union zusammengehalten und den Gang gewechselt hat.“
Nicht die Richtige
Ursula von der Leyen ist für den Geschmack von Zeit Online zu flexibel in ihren Überzeugungen:
„Dass sie auf Druck reagiert, das mag an sich nichts Schlechtes sein. Die Frage ist nur: Tut sie es, weil sie sich überzeugen lässt ... oder reagiert sie nur, weil sie ihre Macht erhalten will? ... Sie hatte etwa keinerlei Problem damit, sich mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni in Tunis zu zeigen, um dort ein schnell zusammengezimmertes Migrationsabkommen vorzustellen. ... In den nächsten Jahren wird Europa ... weiter nach rechts rücken, was in einer Schwächung der Union münden könnte. Ob von der Leyen für diese inneren Verwerfungen die Richtige ist, daran lässt sich zweifeln. Denn sie stand in der Vergangenheit ... meist da, wo die Mehrheit war.“
Luft nach oben bei der Transparenz
In einem Punkt hat die Kommissionschefin noch Verbesserungspotenzial, findet Die Presse:
„Müsste von der Leyen ein Zeugnis für ihre erste Amtszeit ausgestellt werden, würde sie ein Sehr Gut für ihre Disziplin erhalten, ein Gut für ihre Reaktionsfähigkeit in Krisen und ein Genügend für angestoßene Reformen. Ihre schlechteste Note gäbe es für Transparenz. Denn obwohl die Deutsche dem EU-Parlament und den EU-Regierungsvertretern regelmäßig Rede und Antwort steht, bleibt sie im Umgang mit der Öffentlichkeit mehr als nur zurückhaltend. Möglicherweise mag das Teil ihrer Machtpolitik sein, sich einen uneinsehbaren Hinterhof zu schaffen, in dem sie möglichst frei handeln kann.“
Sie hat Europa ein Gesicht gegeben
El País ist beeindruckt:
„Von der Leyen wurde in den letzten fünf Jahren zu einer wichtigen Akteurin auf der europäischen und sogar der Weltbühne. Vielleicht zum ersten Mal gibt ein großer Teil der Öffentlichkeit Brüssel ein Gesicht. ... Ihr Mandat war von Anfang an von unvorhergesehenen Ereignissen enormen Ausmaßes geprägt: Der Pandemie, dem Krieg in der Ukraine, der Energiekrise und der galoppierenden Inflation. Ihre starke politische Persönlichkeit und ihre energischen Reaktionen auf viele dieser Krisen haben der ehemaligen deutschen Verteidigungsministerin zu politischem, medialem und gesellschaftlichem Ansehen verholfen. “
Mangelnde Unterstützung aus den eigenen Reihen
Die französische Mitgliedspartei der EVP, Les Républicains, scheint wenig begeistert, beobachtet Mediapart:
„Sie sind nicht nur mit der politischen Linie nicht einverstanden (bezüglich der Freihandelsabkommen, der Atomkraft, der EU-Erweiterung um die Ukraine oder dem landwirtschaftlichen Teil des Green Deals), sondern finden auch, dass Ursula von der Leyen ihre Meinung während der gesamten Amtszeit wenig beachtet hat. ... Wenn von der Leyen ihre Beziehung zu Sánchez oder Macron stärker gepflegt hat als zu einigen EVP-Delegationen, dann auch mit einem gewissen Interesse: Sie weiß, dass nach den Wahlen im Juni die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedsländer am Ratstisch entscheiden werden, ob sie sie für eine zweite Amtszeit zulassen oder nicht.“
Neue politische Prioritäten
Von der Leyen wappnet sich schon für ein Erstarken nationalistisch-populistischer Gruppen bei den EU-Wahlen, analysiert Lidové noviny:
„Aus der Mitte besagter Gruppen stieß von der Leyen bereits auf Kritik, vor allem wegen der Pläne der Kommission, die EU mit dem Green Deal bis 2050 klimaneutral zu machen. ... Auch deshalb kann ihr Vorschlag zur Ernennung eines Verteidigungskommissars oder ihre Unterstützung für die Entwicklung der europäischen Verteidigungsindustrie als Ausdruck neuer politischer Prioritäten verstanden werden, um sich an eine mögliche neue Kräfteverteilung im Europäischen Parlament anzupassen.“