Ukraine-Konferenz: Ein Schritt Richtung Frieden?
In der Abschlusserklärung der Friedenskonferenz im schweizerischen Luxusresort Bürgenstock bekennen sich die Teilnehmer mehrheitlich zur territorialen Unversehrtheit der Ukraine: 84 von 92 anwesenden Staatsvertretern unterschrieben. Umrissen wurden auch Maßnahmen zur Ernährungs- und Energiesicherheit des Landes. Über eine Folgeveranstaltung, möglicherweise in Saudi-Arabien oder der Türkei, wird noch verhandelt.
Keine Eile für einen neuen Gipfel
Den nächsten Friedensgipfel schon im Herbst abzuhalten, wäre verfrüht, schreibt Politologe Wolodymyr Fessenko in NV:
„Die Idee der Schweizer Präsidentin, das nächste Gipfeltreffen noch vor den US-Wahlen zu veranstalten, finde ich verfehlt. In diesem Zeitraum können keine greifbaren Ergebnisse erzielt werden. Im Herbst wird die US-Führung keine Zeit für einen Friedensgipfel haben. ... Die militärische Lage in der Ukraine und die internationale Situation rund um den Krieg zwischen Russland und der Ukraine werden sich bis dahin kaum wesentlich ändern. ... Deshalb sollten wir uns jetzt darauf konzentrieren, die Strategie und Taktik des weiteren Friedensprozesses festzulegen.“
Es geht ums Völkerrecht
Die Neue Zürcher Zeitung findet die Enthaltung einiger Staaten bei der Abschlusserklärung erschreckend:
„Viele frühere Kolonien, die sonst durchaus sensibel bei neokolonialen Anwandlungen sind, lassen dem Kreml heute seine imperiale Politik durchgehen. … Es geht im Ukraine-Konflikt nicht darum, zwischen Russland und dem Westen zu wählen. Im Zentrum steht die Achtung der elementaren Prinzipien des Völkerrechts, deren Verteidigung im Interesse aller friedliebenden Staaten ist. Es ist bedauerlich, dass es auf dem Bürgenstock nicht gelungen ist, davon auch Indien, Mexiko, Südafrika, Saudiarabien und andere Staaten des sogenannten globalen Südens zu überzeugen.“
Schweiz auf der richtigen Seite
Dass die Eidgenossenschaft aus russischer Sicht ihre Neutralität aufgegeben hat, bereitet der Aargauer Zeitung keine Bauchschmerzen:
„Für eine entscheidende Folgekonferenz, in der die Ukraine mit Russland selbst über einen Frieden verhandelt, hat sich die Schweiz aus dem Spiel genommen. Die Sanktionen gegen Russland und die Bürgenstock-Konferenz an der Seite des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski hat die Schweiz definitiv im westlichen Lager verortet. Für Russland ist die Schweiz damit kein Partner mehr für Gute Dienste. Das lässt sich aber verschmerzen. Wer Demokratie, Menschenrechte und Rechtssicherheit hochhält, muss in diesem Krieg Position beziehen.“
Der Westen gibt nicht auf
Tygodnik Powszechny ist optimistisch:
„Zweifellos sehen wir eine Konsolidierung des Westens, während bis vor Kurzem noch die Rede von seiner Ermüdung war. Und die Verpflichtung: Wir werden nicht locker lassen und ein gerechter Frieden bleibt das Ziel. Es ist auch ein Signal an die Welt (insbesondere an den von Russland bedrohten Teil der Welt), dass der Westen den Frieden will, was aber nicht bedeuten darf, dass die Ukraine aufgibt und von der Landkarte verschwindet.“
Zum Scheitern verurteilt
Der ehemalige sozialistische Politiker Gyula Hegyi kritisiert die Botschaft der Konferenz in Index als widersprüchlich:
„Die ukrainische 'Friedenskonferenz' in der Schweiz ist eine zweifach absurde Veranstaltung. Zum einen, weil die russische Seite nicht eingeladen wurde, sodass die Organisatoren bereits mit der Ankündigung der Einladungen öffentlich gemacht haben, dass sie die Idee eines Friedens durch Verhandlungen aufgegeben haben. ... Absurd ist sie aber auch, weil die Ukraine und die westlichen Teilnehmer keinen Frieden wollen, sondern sich deklariert auf eine Fortsetzung des Krieges, weitere Aufrüstung und Eskalation gegen Russland vorbereiten.“
Erst das Blutvergießen stoppen
Der liberale russische Oppositionspolitiker Boris Vishnevskyj plädiert in einem von Echo übernommenen Telegram-Post für einen sofortiges Ende der Kampfhandlungen:
„Solange es keinen Waffenstillstand gibt, solange Menschen sterben, sind Verhandlungen nicht möglich. Dieses Abkommen muss ohne Vorbedingungen geschlossen werden. Hört einfach auf und fangt an zu reden - für Wochen, Monate, vielleicht Jahre. Ausgehend von - wie schon klar ist - diametral entgegengesetzten Positionen. ... Das Blutvergießen muss jetzt aufhören, seine Beendigung ist nicht das Ergebnis langwieriger künftiger Verhandlungen, sondern deren Ausgangspunkt.“
Hybride Lösungen endlich abgelehnt
Die Politologin Olessja Jachno begrüßt auf Facebook den westlichen Ansatz:
„Erst im dritten Jahr der groß angelegten Invasion Russlands scheint der Westen aufzuwachen und seinen Ansatz für den Frieden zu formulieren. Den Ansatz, der auf einer deutlichen Stärkung der militärischen Komponente der Ukraine und der Notwendigkeit einer Rückkehr zu den Grundsätzen des Völkerrechts beruht. Alles 'Hybride' wird endlich abgelehnt, und man kommt zur Einsicht: Entweder besiegt die Menschheit den Krieg durch gemeinsames Handeln oder der Krieg wird die Menschheit besiegen.“
Jetzt braucht Kyjiw Fakten an der Front
Selenskyj kann zufrieden sein, findet El País:
„Auf drei Gipfeltreffen in der vergangenen Woche, dem Berliner Wiederaufbaugipfel, dem G-7-Gipfel bei Bari und dem in der Schweiz, hat die Ukraine wesentliche politische Ergebnisse erzielt. ... Die Botschaft an Putin ist eindeutig. Mit Nuancen im Engagement der einzelnen Länder macht die internationale Gemeinschaft ihm klar, dass sie nicht zulassen wird, dass die Ukraine wegen fehlender militärischer und diplomatischer Unterstützung untergeht. ... Jetzt braucht Kyjiw Fakten an der Front. ... Unter diesen Voraussetzungen sind Waffenstillstandsverhandlungen möglich, ohne Vorbedingungen.“
Es ist ein Anfang
Der Standard überlegt, wie es weitergehen könnte:
„Bei den Erklärungen dutzender Regierungschefs konnte man große Übereinstimmung hören, dass es so nicht weitergehen kann. Die Golfstaaten, möglicherweise die Türkei, könnten eine aktive Rolle einnehmen, Indien ist erstmals dabei. Es ist schon die Rede von einer Folgekonferenz. Der Anfang für ein Ende des Krieges und, über Umwege, eine spätere Friedenskonferenz könnte nun also gemacht sein. Mit Russland soll jetzt zunächst über Ernährungssicherheit, Sicherheit von Atomkraftwerken in der Ukraine und den Austausch von Kriegsgefangenen und entführten Kindern gesprochen werden. Ein Start.“
Die Schweiz hat sich positioniert
Für Corriere del Ticino war die Sache trotz mehrerer Makel richtig:
„Eine Friedenskonferenz, bei der der Aggressor nicht am Verhandlungstisch sitzt, eine Erklärung, die von einigen der anwesenden Länder nicht unterzeichnet wurde, und eine zweitägige Schweizer Konferenz, bei der der ukrainische Staatschef den Gastgeber spielte. Elemente, die einen dazu veranlassen müssten, von einer verpassten Gelegenheit, wenn nicht gar einer gescheiterten Konferenz zu sprechen. Aber so ist es nicht. ... Unsere Schweiz hat in einem Kontext, in dem es leichter ist, einen falschen Zug zu machen als einen richtigen, eine Antwort gegeben: 'anwesend '. Natürlich hätten wir uns entscheiden können zu schweigen, aber diese Haltung passt nicht zu uns und wir sind stolz darauf.“
Mehr Geheimdiplomatie wagen
Für eine Lösung des Ukraine-Krieges brauchte es andere Schritte, schreibt der Politologe Pedro Ponte e Sousa in Público:
„Das Umfeld des Kalten Krieges 2.0, die Logik einer nicht kooperativen, sondern konfrontativen Sicherheit, die Zunahme militaristischer Rhetorik und Investitionen, eine Eskalation bei der Aufrüstung, die die Bedrohung eher erhöht als verringert, schließen jede Seite in Echokammern ein, in denen das Unausweichliche unvermeidlich erscheint. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, sind zunehmend Diplomatie und Verhandlungen gefragt. Keine öffentliche Diplomatie mit großen Reden zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung, sondern echte Verhandlungen hinter verschlossenen Türen, mit Gewinnen und Verlusten für jede Seite, die aber immer zu einer besseren Situation führen als die grausame Gewalt des laufenden Krieges.“
Putin zu taktischem Fehler verleitet
Jutarnji list bewertet Wladimir Putins Aussagen vor der Konferenz, Kyjiw müsse, um Frieden zu ermöglichen, die vier umkämpften Gebiete Cherson, Saporischschja, Donezk und Luhansk räumen und auf einen Nato-Beitritt verzichten:
„Vielleicht hat er diesmal doch einen taktischen Fehler begangen, da er zum ersten Mal offiziell spezifische Ziele im Krieg genannt hat: die Kontrolle über vier Regionen und einen neutralen Status der Ukraine. Putin hat es bisher vermieden, derart spezifisch zu sein, was ihm viel Spielraum ließ. Einen Ausgang, der die Erhaltung russischer Kontrolle über die besetzten Gebiete miteinschloss, konnte er bisher als seinen Sieg darstellen, aber nun hat er sich selbst diese Möglichkeit genommen.“