Frankreich: Pakt gegen rechts im zweiten Wahlgang?

Aus der ersten Runde der Parlamentswahl in Frankreich sind der rechtspopulistische Rassemblement National (RN) und seine Verbündeten mit rund 33 Prozent der Stimmen als stärkste Kraft hervorgegangen. Im Hinblick auf die Stichwahl am Sonntag zogen das zweitplatzierte Linksbündnis Nouveau Front Populaire (NFP) sowie das drittplatzierte Macron-Lager bereits über 150 Kandidaten zurück, um die Chancen des jeweils anderen gegen den RN zu erhöhen.

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Krytyka Polityczna (PL) /

Zwist im republikanischen Lager hilft Le Pen

Laut Krytyka Polityczna schadet Macrons bisheriger Kurs aktuell dem Aufbau einer Front gegen den RN:

„Die Wahlstrategie der Macronisten bestand von Anfang an darin, das Linksbündnis zu dämonisieren und die Wähler davon zu überzeugen, dass es genauso schlimm sei wie die Partei von Le Pen. ... Der Effekt solcher Aktionen war eine teilweise Demobilisierung der linken Wählerschaft, eine leichte Stärkung der Mitte sowie eine weitere Schwächung der republikanischen Front, also der traditionellen Allianz der demokratischen Parteien gegen die radikale Rechte. Aus diesem Grund ist es schwierig, die Dreierduelle zu entscheiden, an denen in der Regel neben dem RN-Kandidaten auch NFP-Politiker und Macronisten oder Republikaner beteiligt sind.“

Jornal de Notícias (PT) /

Mélenchon verprellt die moderaten Rechten

Jornal de Notícias sieht das Problem beim Aufbau einer Anti-RN-Front eher auf der linken Seite:

„In dieser republikanischen Front gibt es viele Wähler der Mitte und der gemäßigten Rechten, die eher versucht sein könnten, für die extreme Rechte zu stimmen als für die linke Koalition. Mélenchon, der Führer von La France Insoumise (LFI), dominiert derzeit die Linke, was den Konservativen nicht gefällt. Angesichts einer Wahl zwischen Mélenchon und Le Pen ziehen sie es daher vor, ihre Kandidaten nicht zurückzuziehen. Der drittplatzierte Präsident Macron rief zu einer 'breiten und eindeutig demokratischen und republikanischen Union' auf. Es stimmt aber auch, dass Mélenchon mit seiner destruktiven Opposition die gemäßigteren Wähler verprellt hat.“

Les Echos (FR) /

Front bilden durch Dialog und Programm

Damit Frankreich wieder regierbar wird, braucht es mehr als eine Brandmauer gegen den RN, betont das Wirtschaftsblatt Les Echos:

„Um eine Wählerschaft zu mobilisieren, die der wiederholten Aufrufe zur Bildung einer republikanischen Front überdrüssig ist, müssen auch Perspektiven vorgebracht werden – durch die Eröffnung eines Dialogs zwischen Politikern 'von der sozialdemokratischen, ökologischen und kommunistischen Linken bis zur liberalen und konservativen Rechten', wie [Ex-Premier] Edouard Philippe rät. Hervorbringen kann diese jedoch nicht Emmanuel Macron. ... Will er den von ihm ersehnten Zusammenschluss begünstigen, muss der Präsident anfangen, hinter den Regierungsparteien zurückzutreten, die er seit 2017 in den Hintergrund zu drängen versucht.“

La Repubblica (IT) /

Demokratischer Notstand

Der Widerstand gegen den Rechtsruck formiert sich, doch bleibt der Ausgang ungewiss, befürchtet La Repubblica:

„Der demokratische Notstand geht direkt von Europa nach Frankreich. Der Sieg der extrem rechten Partei von Marine Le Pen in der ersten Runde der Parlamentswahl veranlasste die Linke und die Zentrumsdemokraten von Macron, zu einer 'republikanische Front' des Widerstands aufzurufen. ... Ziel ist es zu verhindern, dass bei der Stichwahl die EU-feindlichen und Putin-freundlichen Souveränisten eine absolute Mehrheit der Sitze erhalten. Es ist schwer zu sagen, ob das Vorhaben gelingen wird. Nach ersten Hochrechnungen erreichen die Mitte-Links-Kräfte zusammen fünfzig Prozent der Stimmen. Aber die Mechanismen der Stichwahl machen eine Vorhersage schwierig.“

Le Figaro (FR) /

Politisches und moralisches Dilemma

Frankreich befindet sich in einer Zwangslage, klagt Le Figaro:

„Bei einer Wahl mit zwei Durchgängen ist am Abend der ersten Runde noch nicht alles gesagt. Es kann noch viel passieren, und die Phase zwischen den beiden Wahlgängen wird entscheidend sein. Alles deutet jedoch darauf hin, dass der Rahmen nun feststeht: Die Polarisierung, die sich durch die schwindelerregende Zunahme der Duelle zwischen RN und LFI [La France insoumise vom Linksbündnis NFP] oder ihre Konfrontation bei einer Dreier-Stichwahl zeigt, zeichnet wie mit der Axt eine radikal neue politische Landschaft. Sie stürzt die öffentlichen Verantwortungsträger, aber auch die Wähler in die Qualen eines politischen und moralischen Dilemmas. … Es ist im wahrsten Sinne eine Tragödie, bei der das Schicksal nur schlechte Lösungen anbietet.“

El País (ES) /

Extreme Rechte schlagen, egal aus welcher Richtung

El País fordert eine breite Koalition gegen den RN:

„Der Sieg des RN nimmt die Parteien des so genannten 'republikanischen Bogens' in die Verantwortung. Entweder sie schließen sich zusammen, oder sie riskieren, dass eine extrem rechte Regierung antritt. ... Glücklicherweise scheinen sie alle Differenzen überbrücken zu wollen. Präsident Emmanuel Macron rief zu einer 'breiten, klar demokratischen und republikanischen Union' auf. ... Die Sozialistische Partei hat versprochen, die Anti-Le Pen-Stimmen zu bündeln. ... Mélenchon und andere Parteien äußerten sich ähnlich. ... Was auf dem Spiel steht, verlangt von Zentristen und gemäßigten Konservativen, ihre Differenzen auszublenden und denjenigen zu unterstützen, der die extreme Rechte schlagen kann, egal aus welcher Richtung.“

The Spectator (GB) /

Macrons große Niederlage

Für The Spectator ist Macron am Ende:

„Nicht nur, weil er sich mit seiner rücksichtslosen Wette auf vorgezogene Neuwahlen komplett verzockt, sondern damit auch seine politische Karriere verspielt hat. Macron kam 2017 allein in das Präsidentenamt und er wird es auch allein verlassen. Die Partei, die er damals hastig und brillant zusammengeschustert hat, ist zerbrochen. Er zahlt nun die gerechte Strafe für seine Arroganz und Verachtung gegenüber Bürgern aller Schichten. Indem er 2017 behauptete, Frankreich von den Gründen zu befreien, die 'extreme Rechten' zu wählen, hat er diese letztlich nur gestärkt, ebenso wie die radikale Linke.“

Le Monde (FR) /

Parallelen zur britischen Krise

Le Monde fühlt sich an Großbritannien im Kontext des Brexit-Votums erinnert:

„Die Feindseligkeit gegenüber der Zuwanderung, die als durch die EU-Zugehörigkeit begünstigt betrachtet wurde, war einer der mächtigsten Faktoren der britischen Stimmabgabe, ebenso wie das Gefühl der Vernachlässigung, das mit dem Staatsabbau und der Prekarisierung der Arbeit verknüpft ist. … Alles spielt sich ab, als hätten die vergangenen acht Jahre in Großbritannien in abgemilderter Form das erahnen lassen, was die Franzosen nach dem 7. Juli erwartet: ein zerrissenes Land, das am Rande eines Nervenzusammenbruchs steht und dessen internationales Ansehen Schaden genommen hat, sowie ein giftiges Kräftemessen mit der EU, eine gefährliche Instrumentalisierung der Zuwanderung und ungehaltene Versprechen, die die Wut nähren.“