Viktor Orbán auf "Friedensmission" in Peking

Nach seinen Reisen in die Ukraine und Russland hat der ungarische Premier und derzeitige EU-Ratspräsident Orbán China besucht. Bei seiner von ihm als "Friedensmission 3.0" bezeichneten Tour traf er sich mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping. Xi sprach sich für einen Waffenstillstand in der Ukraine und anschließende Verhandlungen aus. Kommentatoren befassen sich mit der Frage, wie man mit Orbáns Vorgehen umgehen sollte.

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Gazeta Wyborcza (PL) /

Konstruktive Politik ist das einzige Gegenmittel

Hier geht es um mehr, meint Gazeta Wyborcza:

„Den größten Einfluss auf die EU hat Orbán nicht durch die Institutionen (die EU-Ratspräsidentschaft), nicht einmal durch seine Erpressungspolitik. Vielmehr ist er das Resultat seiner Anti-EU-Vision und -Rhetorik, die bei Nationalisten in ganz Europa Anklang und Unterstützung findet. Das wahre Gegenmittel ist nicht (nur) Strafe und Empörung, sondern eine Politik, die die Achtung der europäischen Werte mit der Berücksichtigung der Bürgersorgen bezüglich Migration, der Klimapolitik und den Perspektiven des Kriegs gegen die Ukraine in Einklang bringt. Daran wird sich der Erfolg in der Auseinandersetzung mit Orbán und anderen Populisten messen, nicht am Umgang mit der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft.“

Dagens Nyheter (SE) /

Der Mann muss gestoppt werden

Die EU-Ratspräsidentschaft Ungarns sollte stark begrenzt werden, fordert Dagens Nyheter:

„Unter dem Deckmantel des 'Dialogs' versucht Orbán den Eindruck zu erwecken, Europa sei an Friedensverhandlungen mit Russland interessiert, die EU in der Ukraine-Frage gespalten. … Dass Viktor Orbán während seiner sechsmonatigen Amtszeit als Vorsitzender des Ministerrats die Tagesordnung festlegt - und damit die Diskussionen über die Ukraine verschieben kann - ist schon schlimm genug. Seine Reisen zu Despoten können nicht akzeptiert werden. Es ist an der Zeit, die Möglichkeit zu prüfen, die noch in den Kinderschuhen steckende ungarische Ratspräsidentschaft zu stoppen oder zumindest den Handlungsspielraum deutlich einzuschränken.“

Spotmedia (RO) /

Ungarns Premier nicht in die Opferrolle bringen

Spotmedia warnt:

„Es gäbe auch eine harte Option: Ungarn vorzeitig von der EU-Ratspräsidentschaft zu entbinden. Doch ist das ein zweischneidiges Schwert. Denn wenn Viktor Orbán sich nicht als Vertreter der EU vor der Tür des Kreml aufspielen kann, wird er ein Narrativ konstruieren, Opfer einer Doppelmoral geworden zu sein. Dieses Narrativ könnte die EU noch teurer zu stehen kommen.“

Ouest-France (FR) /

Offensiv Schadensbegrenzung betreiben

Orbáns Bedeutungslosigkeit muss international klar kommuniziert werden, fordert Cyrille Bret, Politologe am Jacques Delors Institute, in Ouest-France:

„Einige Wochen lang wird Viktor Orbán das Bild Europas und seiner Positionen auf internationaler Bühne verändern. Wenn man ihn gewähren lässt. … Wir alle müssen in Erinnerung rufen, dass der ungarische Premier nicht der Präsident Europas ist, wie etwa Joe Biden Präsident der USA ist; dass er weder die Aufgabe noch die Macht hat, den Krieg in der Ukraine zu beenden; dass er nicht bevollmächtigt ist, die EU ins Eurasische zu integrieren; und dass seine Strömung überall in Europa klar in der Minderheit ist. Der 'Orbán-Moment' muss politisch eine optische Täuschung und institutionell ein widriger Umstand bleiben.“

Polityka (PL) /

Ein krankhafter Einzelkämpfer

Die Reisen des ungarischen Premiers dienen nur seiner Selbstdarstellung, meint Polityka:

„Orbáns antiwestliche Pilgerfahrt geht mit einem weiteren massiven Angriff auf die Ukraine einher. Am Montag, als der ungarische Premier in Peking landete, beschossen die Russen Krywyj Rih, die Heimatstadt von Wolodymyr Selenskyj. Sie bombardierten Ochmatdyt, ein sehr bekanntes Gesundheitszentrum für Kinder in Kyjiw. Hier wurden unter anderem die jüngsten Krebspatienten behandelt. Bilder von den zerstörten Krankenstationen gehen um die Welt. ... Es besteht kein Zweifel daran, dass sich Viktor Orbán nicht im Geringsten darum kümmert. Er, ein krankhafter Solist, verfolgt nur seine eigenen Interessen. Man muss ganz offen fragen, wie lange der Westen das noch tolerieren will.“

G4Media.ro (RO) /

Orbán überschätzt seine Rolle

Verzerrte Selbstwahrnehmung diagnostiziert G4Media.ro:

„Der ungarische Premier überschätzt seine Position und Macht auf internationaler Ebene. Viktor Orbáns Wunsch, ein Bindeglied zwischen Ost und West, zwischen den USA – China – Russland zu sein, hat in der Realität keine Basis. Er ist kein distanzierter Akteur und kann es auch nicht sein. Als Teil der EU und der Nato und angesichts der ungarischen Außenpolitik, die Orbán seit seinem Amtsantritt 2010 fährt, kann er auch gar kein Bindeglied zwischen West und Ost sein. Mit seiner jüngsten außenpolitischen Aktion hat Ungarns Premier die rotierende EU-Präsidentschaft, die sein Land gerade innehat, bloßgestellt und die Isolation Budapests im Ausland noch verschärft.“

Seznam Zprávy (CZ) /

Eine schädliche PR-Aktion

Seznam Zprávy rechnet so mit Orbán ab:

„Seine Eskapaden mit den führenden Diktatoren der Welt hatten keine Wirkung und werden keine zeigen. Sie werden weder der Ukraine noch Europa insgesamt helfen, und sie werden nicht einmal die von Russland auserkorene Form des Friedens näher bringen. Orbán hat einfach keinen formellen oder informellen Einfluss darauf in Brüssel, Kyjiw oder Moskau. ... Was bleibt: der langfristige bittere Nachgeschmack, dass die Einheit der Europäischen Union durch eine PR-Aktion, bei der Orbán die Präsidentschaft im Rat der EU missbraucht hat, unnötig erschüttert wurde. Das spielt Diktatoren in die Hände, die ein starkes Europa zerstören wollen.“

Welt (DE) /

Er hat eine Chance verdient

Die Welt springt Orbán zu Seite:

„Man kann diese Bemühungen verurteilen als nicht abgesprochen mit Brüssel oder als Ego-Trip eines Gernegroß. Aber so falsch ist Orbáns Solonummer nicht. Der Ungar hat eine Chance verdient. Orbán ist neben dem türkischen Präsidenten Erdoğan der einzige Europäer und Regierungschef in der Nato, der gute Kontakte nach China und Russland besitzt. Natürlich besteht die Gefahr, dass der Waffenstillstand, den Orbán mitbefördern will, letztlich zu einem Verhandlungsergebnis führt, das den russischen Diktator Putin durch territoriale Gewinne und eine Amputation der Ukraine belohnt. Wer das aber Orbán vorwirft – wie Washington, Berlin und Brüssel – der sollte endlich selbst mehr tun.“

Törökgáborelemez (HU) /

Spießrutenlaufen ausgefallen

Die letzten Tage waren eine Erfolgsstory für Viktor Orbán, meint der Politologe Gábor Török in seinem Blog auf Facebook:

„Ich habe es nie für klug gehalten, die Analyse von unserem politischen Geschmack und unserer Hoffnung leiten zu lassen. ... Was jetzt passiert, ist für Viktor Orbán bei Weitem kein Spießrutenlaufen, sondern seine erste wirklich spektakuläre internationale Erfolgsstory. Er nutzt die Aufmerksamkeit und die Bedeutung, die die rotierende EU-Ratspräsidentschaft bietet, um der ganzen Welt in drei Blitztreffen mitzuteilen, was für ihn politisch wichtig ist. Die kalkulierten und pünktlich eintreffenden Angriffe stärken ihn nur noch, während seine europäischen Rivalen augenscheinlich nichts mit Orbán anfangen können.“