Nach Pager-Explosionen: Israel greift Ziele im Libanon an
Seit der Nacht auf Donnerstag fliegt Israel Luftangriffe im Südlibanon, nach eigenen Angaben gegen Einrichtungen der islamistischen Hisbollah-Miliz. Verteidigungsminister Gallant sagte, der Krieg trete nun in eine neue Phase. Europas Presse ordnet diese Entwicklungen ein, aber auch die vorangegangene massenhafte Explosion von Pagern und Funkgeräten und ihre mögliche Bedeutung als Präzedenzfall beschäftigt die Kommentatoren weiter.
Startschuss für größere Operation
Israel will mehr, schreibt die Kleine Zeitung:
„Die Regierung um Benjamin Netanjahu machte zuletzt klar: Die rund 100.000 Israelis an der Nordgrenze zum Libanon, die wegen der ständigen Raketenangriffe abgesiedelt werden mussten, sollen wieder in ihre Dörfer zurückkehren können. Dazu ist es notwendig, die Hisbollah aus dem Grenzgebiet zu vertreiben, was weder die dort stationierten UN-Truppen ... noch die libanesische Regierung bisher geschafft haben. Israel dürfte nach Angaben von Militärexperten die Vorbereitungen für eine Bodenoffensive inzwischen abgeschlossen haben. Die Pager-Aktion, durch die die Kommunikation der Hisbollah zumindest vorübergehend stark geschwächt sein dürfte, wäre dann so etwas wie der Startschuss dazu.“
Es droht ein Pyrrhussieg
Glavkom analysiert, was fortgesetzte Angriffe Israels auf die Hisbollah bedeuten würden:
„Nun wird höchstwahrscheinlich der dritte Krieg zwischen Israel und dem Libanon ausbrechen. … Israel würde den Libanon zweifellos technisch besiegen, aber es könnte ein Pyrrhussieg werden. Denn er könnte nur um den Preis einer präzedenzlosen Opferzahl unter der libanesischen Zivilbevölkerung erreicht werden. Das würde die Brücke der Abraham-Abkommen Israels mit den Golfstaaten zerstören und die Beziehungen zu Saudi-Arabien abkühlen lassen. ... Europa würde in diesem Konflikt letztlich in eine anti-israelische Haltung gedrängt, und eine aktive Unterstützung Israels durch die USA in diesem Krieg wäre nur bei einem Sieg Trumps denkbar.“
Hisbollah ist mehr als eine Terrororganisation
Israel glaubte schon mehrfach, der Hisbollah haushoch überlegen zu sein, gibt das Handelsblatt zu bedenken:
„[N]ur um jedes Mal eines Besseren belehrt zu werden. Militärisch allein lässt sich die Miliz ohnehin nicht besiegen. Denn die Hisbollah ist nicht einfach eine 'Terrororganisation', sie ist auch politische Partei, Sozialverein und ein mafiöses Geschäftskonglomerat. Im Libanon führt kein Weg an ihr vorbei.“
Datensicherheit wird zur Existenzfrage
Habertürk zieht folgende Schlüsse:
„Erstens ist die Datensicherheit wichtiger denn je, ja mittlerweile eine Frage der Existenz. Jeder Zugriff auf Daten oder Informationen macht Sie angreifbar. Wir müssen in allen Lebensbereichen Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Zweitens: Die weite Verbreitung der bei den Angriffen verwendeten Software und Technologie und die Tatsache, welche Organisationen Zugang dazu haben, wird das Ausmaß dieser Bedrohung in außerordentlichem Maße erhöhen. ... Drittens ist gegenwärtig nicht vorstellbar, dass die Welt einen gemeinsamen Willen zur Bekämpfung dieser Cyber-Bullys zeigt. Wie auch, wenn doch jeder danach strebt, dem Feind einen Schritt voraus zu sein.“
Batterien als globales Sicherheitsproblem
Diena analysiert:
„Die moderne Zivilisation könnte auch als Lithiumbatterie-Zivilisation bezeichnet werden. ... Seit diese Energiespeicher erstmals auf den Markt kamen (1991), hat ihre Zahl Milliarden erreicht und sie werden in einer Vielzahl von Geräten verwendet. ... Inzwischen werden bereits die Webseiten islamistischer Radikaler mit Aufrufen überschwemmt, sich in analoger Weise 'an den Ungläubigen zu rächen', mit der Herstellung explosiver Nachbildungen zu beginnen und sie in den Westen zu schaffen. ... Dementsprechend wird die Explosionsserie im Libanon nicht nur erhebliche Auswirkungen auf die Lage im Nahen Osten haben, sondern auch zu einer großen Sicherheitsherausforderung auf globaler Ebene werden.“
Das könnte ein "schwarzer Schwan" gewesen sein
Die Ereignisse verdeutlichen die Gefahren, die beim Kauf von Technologie aus nicht wohlgesonnenen Staaten lauern, warnt Expressen:
„Auch ohne Dinge in die Luft fliegen zu lassen, lässt sich großer Schaden anrichten - zum Beispiel durch den Einbau von 'Hintertüren', mit denen man die Kontrolle übernehmen kann, sodass Kommunikationsgeräte gerade dann nicht funktionieren, wenn sie am dringendsten gebraucht werden. ... Doch die Kontrolle über Technologie zurückzugewinnen, ist nicht einfach. ... Die Ökonomie der westlichen Länder ganz von der chinesischen abzukoppeln, würde das weltweite BNP laut einer IWF-Berechnung um sieben Prozent verringern. ... Manchmal tauchen schwarze Schwäne auf - völlig unerwartete Ereignisse mit enormer Wirkung. Die gesprengten Pager in Nahost könnten sich als ein solcher schwarzer Schwan erweisen.“
Es droht ein Flächenbrand
Das könnte erst der Anfang eines Kriegs gegen die Hisbollah sein, fürchtet France Inter:
„Was und wie viel folgt jetzt und wie werden die Hauptakteure reagieren? Wenn Israel beschließt, eine Offensive gegen die Hisbollah zu starten – die ein weitaus gefährlicherer Gegner als die palästinensische Hamas ist, auch wenn die Sache mit den Pagern ihre Verwundbarkeit zeigt, könnte Teheran nicht tatenlos zusehen. … Und was werden die USA tun, die einen Waffenstillstand in Gaza fordern, sich aber, ob sie wollen oder nicht, in diesen regionalen Konflikt verstrickt sehen würden? Noch ist es nicht so weit, aber all diese Fragen drängen sich mit der Beschleunigung der Ereignisse auf. ... Das drohende Szenario lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Krieg.“
Eskalation wenig wahrscheinlich
Weder die Hisbollah noch Israel haben ein Interesse an der Ausweitung des Konflikts, meint dagegen die Kleine Zeitung:
„In der Strategie von Teheran soll die Hisbollah eine ständige Bedrohung für Israel darstellen, das israelische Militär teilweise binden und im Ernstfall bei der Verteidigung des Iran gegen Israel und die USA helfen. Truppen und Raketen der Hisbollah jetzt in einen Krieg zu schicken, der ihr von Israel aufgezwungen wird, widerspricht dem. ... Eine Bodenoffensive tief nach Libanon hinein wäre für Israel ein Risiko – vor allem, solange seine Armee weiter in Gaza kämpft. Daher dürfte es vorerst dabei bleiben, dass Israel und die Hisbollah sich entlang der libanesischen Grenze Gefechte mit Artillerie, Drohnen und Raketen liefern werden.“
Ein Präzisionsschlag war das nicht
Hämeen Sanomat kritisiert, dass zivile Opfer in Kauf genommen wurden:
„In einem hybriden Krieg ist alles möglich. Wenn es genug böse Absichten und Rücksichtslosigkeit gibt, können andere dem Beispiel Israels folgen. ... Das Entsetzlichste an dem Attentat war, dass es ohne Rücksicht auf Unbeteiligte verübt wurde. Er traf nicht nur die Hisbollah-Mitglieder, sondern alle, die sich zum Zeitpunkt der Explosion in der Nähe befanden. Das trägt zur Verbitterung der Opfer bei.“
Entscheidend ist die Angemessenheit
Wenn sich bestätigt, dass die Attacke auf Israels Konto geht, bleiben nach Ansicht von Dagens Nyheter viele Fragen offen:
„War es eine angemessene, völkerrechtlich akzeptable Operation? Klar ist, dass Zivilisten unschuldige Opfer wurden – gleichwohl ist eine Attacke dieser Art der besinnungslosen Gewalt in Gaza wie auch den ständigen Raketenattacken der Hisbollah vorzuziehen. ... Ebenso wie die Hamas ist die Hisbollah eine islamistische Terrororganisation, die sich im Krieg mit Israel befindet und das Land vernichten will. Israel hat das Recht, sich zu verteidigen. Doch die Art und Weise dieser Verteidigung muss einer Nation angemessen sein, die sich selbst als die einzige Demokratie in Nahost bezeichnet. Diese Wahrheit galt vor dem Oktober 2023, und sie gilt auch heute.“
Selbst aus strategischer Sicht ein Fiasko
De Standaard hält den Angriff für einen großen Fehler:
„Die Pager-Offensive kann Menschenrechtsexperten zufolge nur als Verletzung des Kriegsrechts und eine Art des Terrorismus bezeichnet werden. ... Für Israels traditionelle Verbündete in Europa und den USA ist es nicht mehr zu erklären, warum die privilegierte Partnerschaft mit der Regierung von Benjamin Netanjahu noch länger gepflegt werden muss. ... Auch aus militärisch-strategischer Sicht ist der Pager-Krieg ein Fiasko. ... Die Emotionen werden nicht zu Friedensbemühungen führen, sondern zu bewaffneter Vergeltung und Eskalation. “