Was bedeutet das Verbot des UN-Palästina-Hilfswerks?
Israel hat dem Palästinenserhilfswerk UNRWA seine Arbeit auf israelischem Territorium ab dem nächsten Jahr verboten. Der Beschluss der Knesset könnte das Leben in den Palästinensergebieten erheblich erschweren, da Israel die Grenzen dorthin kontrolliert. Kommentatoren hinterfragen die Terrorvorwürfe gegen die Organisation und beleuchten Hintergründe.
Frontal gegen die UN-Charta
Israel vollzieht einen radikalen Bruch mit der internationalen Gemeinschaft, urteilt Le Temps:
„Das ist der Höhepunkt einer Kriegserklärung, die sich nicht nur gegen die Palästinenser richtet, von denen Millionen von der UN-Organisation abhängen, sondern auch gegen das internationale System. Ihre Umsetzung lässt Israel die UN-Charta frontal brechen. ... Die USA, aber auch die meisten westlichen Länder, darunter Frankreich und Deutschland, hatten die israelischen Behörden vor der Versuchung gewarnt, diesen Schritt zu tun, der Israel noch stärker in den Status eines Pariastaats hinsichtlich des internationalen Rechts treibt. Vergeblich.“
Populismus auf dem Rücken der Schwächsten
Der Standard hält nichts von dem Vorhaben der Knesset:
„Die von Israel erhobenen Terrorvorwürfe rund um den 7. Oktober 2023 betreffen einen verschwindend geringen Teil der Mitarbeiter, die UN haben vor Monaten deshalb Entlassungen durchgeführt. Andere Vorwürfe können Grund für Kritik und Ermittlungen sein, rechtfertigen aber kein Verbot, das nun die gesamte humanitäre Hilfe für den Gazastreifen gefährdet. … Das UNRWA-Verbot ist Populismus auf dem Rücken der Schwächsten. Und es passt in ein Bild, das Israel von der Welt, von internationalen Institutionen zeichnet: Die UN, Hilfsorganisationen, Gerichte – sie alle sollen sich angeblich gegen Israel verschworen haben und dessen Kampf gegen den Terror behindern.“
Kritikwürdig, aber unverzichtbar
Expressen wägt ab:
„Das UNRWA wurde 1949 als Sofortmaßnahme zur Bewältigung der palästinensischen Flüchtlingskrise gegründet. … Es wurde direkt beschlossen, dass der Flüchtlingsstatus der Palästinenser vererbt werden sollte. … Das hat dazu geführt, dass die Nachbarländer die Palästinenser nicht in ihre Gesellschaft integriert, ihnen nicht die Staatsbürgerschaft und gleiche Rechte zuerkannt haben. .... Stattdessen leben sie seit 75 Jahren als Staatenlose in immer größer werdenden, vom UNRWA betriebenen Flüchtlingslagern. Eine Politik, die weder den Palästinensern noch den Chancen auf eine friedliche Zweistaatenlösung zugutegekommen ist. Eine Reform des UNRWA oder die Verlagerung der Verantwortung auf das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR ist jedoch nicht realistisch, solange der Krieg wütet. … Das UNRWA ist nicht perfekt, nicht einmal gut, aber es ist das Beste, was uns zur Verfügung steht.“
Könnte am Ende "Groß-Israel" stehen?
Für die Süddeutsche Zeitung liegt der Gedanke nahe, dass zumindest Teile der israelischen Führung ein weitreichendes Ziel verfolgen:
„Palästinensisches Leben in den besetzten Gebieten – also in Gaza, dem Westjordanland und in Ostjerusalem – soll unerträglich gemacht werden. Wer dies zusammen mit der fast völligen Zerstörung des Gazastreifens im Kampf gegen die Hamas und mit der von der Regierung Benjamin Netanjahu immer rascher vorangetriebenen Siedlungsbewegung im Westjordanland betrachtet, muss den Verdacht hegen, dass am Ende all dessen die Vision eines Groß-Israel steht. ... Dass das Anti-UNRWA-Gesetz nun Zuspruch von Regierungsparteien und Opposition bekommen hat, zeigt, dass dies nicht mehr völlig undenkbar ist.“
Westen muss nun eingreifen
Die internationale Gemeinschaft darf nicht weiter passiv zuschauen, fordert De Volkskrant:
„Die legitime Selbstverteidigung Israels gegen die Hamas ist schon längst zu einer kollektiven Bestrafung der Palästinenser in Gaza geworden, zum Verstoß gegen das internationale Recht. ... Die USA und Europa müssen mit Sanktionen deutlich machen, dass sie die immer weiter zunehmende Radikalisierung der israelischen Politik gegen die Palästinenser nicht länger tolerieren. Die internationale Gemeinschaft kann nicht länger passiv zuschauen, wie sich die Lage im Gazastreifen weiter verschlechtert.“