35 Jahre Mauerfall: Ist die Welt wieder geteilt?
Am Abend des 9. November 1989 öffneten die DDR-Behörden die Grenzübergänge zur Bundesrepublik und nach West-Berlin. Weniger als ein Jahr später war Deutschland Teilung überwunden und der Ost-West-Konflikt schien Vergangenheit. Das historische Datum veranlasst Europas Presse zur kritischen Betrachtung alter und neuer Trennlinien.
Tiefer Graben bei Werten und Mentalität
Die kremltreue Iswestija betont, wie viel die Deutschen in Ost und West noch trennt:
„Gerade im Osten des Landes wächst die Unzufriedenheit mit der Migrationspolitik der Bundesregierung. Interessanterweise stößt deutschen Medien zufolge auch die Idee, die Waffenlieferungen an Kyjiw zu erhöhen, im Osten Deutschlands auf deutliche Ablehnung. ... Dreieinhalb Jahrzehnte Integration der ostdeutschen Bundesländer ohne Berücksichtigung der Werte- und Mentalitätsspezifika ihrer Bevölkerung haben die Spaltung zwischen Ost und West vertieft. ... Die noch regierende Koalition hat dieses Problem nur verschärft. Die mentale Spaltung dürfte zu einer langfristigen innenpolitischen Herausforderung für die BRD werden – unabhängig davon, welche Regierung die jetzige ablöst.“
Die Feinde der Freiheit ruhen nicht
Die Demokratie, die in einst mit dem Fall der Mauer triumphierte, steht heute weltweit erneut unter Druck, betont Jyllands-Posten:
„Russlands mörderischer und amoralischer Krieg in der Ukraine wird geführt, um den Ukrainern jene demokratischen Rechte und jene Möglichkeit nationaler Selbstbestimmung zu nehmen, die die DDR-Bürger vor 35 Jahren mit einem Schlag gewannen. Chinas totalitäres System, heute mit Xi Jinping an der Spitze, sorgte mit dem Massaker des Platzes des himmlischen Friedens im Frühsommer 1989 dafür, dass Chinas Mauer gegen politische Veränderungen intakt blieb. Heute stehen die Chinesen und Russen gemeinsam mit dem Iran und Nordkorea für eine rückwärtsgewandte Internationale, die auch auf Populisten in Europa Anziehungskraft ausübt.“
Die Angst vor dem Atomkrieg ist wieder da
Der Optimismus nach dem Mauerfall ist verflogen, beobachtet La Tribune de Genève:
„Die Logik der beiden feindlichen Blöcke war damals überwunden. Das Konzept des Atomkriegs wurde in die Fiktion oder in Geschichtsbücher verbannt und die EU dehnte sich unaufhaltsam nach Osten aus und versprach einen dauerhaften Frieden auf dem Kontinent. … Letztendlich, 35 Jahre später, und noch vor Trumps Rückkehr an die Macht, ist die Welt so polarisiert wie seit dem Ende des Eisernen Vorhangs nicht mehr. Der Krieg mit Wladimir Putins hegemonialem Russland steht vor den Toren der Schweiz und die nukleare Bedrohung lastet erneut auf der Welt. Die optimistische Phase nach dem Fall der Berliner Mauer ist vorbei und die Zeit der Sorglosigkeit scheint nun in weite Ferne gerückt.“
Durchbruch zur Globalisierung
Der 9. November 1989 markiert für RFI România eine globale Zäsur – zumindest auf Zeit:
„Der Fall der Berliner Mauer war der Beginn einer Welt der Offenheit und Freiheiten, mit einem Amerika als Leuchtturm der Demokratie und der Menschenrechte. Eine Welt, in der das Völkerrecht Vorrang vor roher Gewalt haben sollte – und zwar unter der Aufsicht Amerikas. Eine Welt, in der Waren und Ideen frei zirkulieren. Wir haben dieses Phänomen 'Globalisierung' genannt. Es war nicht perfekt, doch hat es Milliarden von Menschen aus Armut und Unterdrückung befreit. Heute sind Demokratie und Menschenrechte auf dem Rückzug. Die Tyrannei breitet sich aus. Der Populismus ist auf dem Vormarsch. Das Wort 'Globalisierung' ist zum Schimpfwort geworden.“