Scholz ruft Putin an: So reagiert Europas Presse

Am Freitag hat Bundeskanzler Olaf Scholz mit Wladimir Putin telefoniert. Er habe Russland dabei aufgerufen, seine Truppen zurückzuziehen und betont, der Westen stehe geeint hinter der Ukraine, erklärte Scholz. Kommentatoren aus dem europäischen Ausland kritisieren den Anruf und verknüpfen das Thema mit der Debatte um Scholz‘ Spitzenkandidatur bei der anstehenden Bundestagswahl.

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Jutarnji list (HR) /

Alles andere als ein Ruhmesblatt

Für Jutarnji list ist Scholz' Anruf im Kreml eine Schande:

„Warum war der ungarische Premier Viktor Orban Kritiksalven ausgesetzt, als er im Juli nach Moskau reiste, aber wenn der Bundeskanzler den Kreml anruft, dann ist das okay?! Orbán und Scholz haben eine gleichermaßen verbotene Sache getan - sie haben mit einem Kriegsverbrecher über die Ukraine gesprochen, ohne das Wissen der Ukraine. ... Scholz ist eine politische Leiche und der konkurrenzlos schlechteste Kanzler seit der Wiedervereinigung. Seine Vorgänger Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel waren Staatsmänner großen Formats, so wie in fernerer Vergangenheit Konrad Adenauer und Willy Brandt. Im Gegensatz zu ihnen hinterlässt er ein wirtschaftlich, aber auch geopolitisch geschwächtes Deutschland.“

Tages-Anzeiger (CH) /

Die Masche "Friedenskanzler" zieht nicht

Der Tages-Anzeiger ist skeptisch:

„Die traditionell pazifistisch gestimmte SPD möchte im Wahlkampf mit Scholz als 'Friedenskanzler' werben. Dummerweise hat das schon im Europawahlkampf nicht funktioniert. Den 'Friedensfreunden' um Wagenknecht und AfD geht es schon zu weit, dass Deutschland überhaupt Waffen an die Ukraine liefert. Scholz gilt ihnen als 'Kriegstreiber', weil er Berlin zum zweitgrössten Unterstützer Kiews gemacht hat. Aus Sicht der Ukraine-Freunde wiederum verfehlt Scholz’ zögerlicher Mittelweg das eigentliche Ziel: dass die Ukraine den Krieg gewinnen kann.“

NV (UA) /

Der Mehrheit der Deutschen gefällt das

Scholz' Telefonat mit Putin geschah aus innenpolitischem Kalkül, schreibt Politologe Wolodymyr Fessenko in NV:

„Ich denke, der deutsche Bundeskanzler war sich darüber im Klaren, dass Putin mit ihm nicht über eine Beendigung des Krieges in der Ukraine verhandeln wird. Scholz ging es allein um die innenpolitische Wirkung dieses Telefonats angesichts der bevorstehenden Wahlen. Im Vorfeld der Bundestagswahl in Deutschland positioniert er sich als 'Friedensstifter' und versucht, sich den Stimmungen eines Großteils der deutschen Wähler anzupassen. Letztendlich ist das eine gute PR-Taktik, um die Aufmerksamkeit der Medien sowohl in Deutschland als auch weltweit auf sich zu ziehen.“

Salzburger Nachrichten (AT) /

Personelle Frische gefordert

Die Salzburger Nachrichten plädieren für andere Spitzenkandidaten, nicht nur der SPD, sondern auch der CDU:

„Während Habeck innerparteilich ebenso alternativlos scheint wie Lindner bei der FDP, gäbe es einen Sozialdemokraten, der freudvolle 100 Tage Wahlkampf versprechen könnte: wenn die SPD den derzeit mit Abstand beliebtesten Politiker Boris Pistorius ins Rennen schicken würde. Und dazu statt Merz ein frisches und populäres Gesicht der CDU wie die Ministerpräsidenten Hendrik Wüst oder Daniel Günther. Mit dieser Frische bei der Union und der SPD würden auch die Ränder nicht mehr so verlockend wirken.“

Corriere della Sera (IT) /

Mann ohne Eigenschaften

So einen Kanzler kann Europa nicht gebrauchen, wettert Corriere della Sera:

„Drei Jahre haben Deutschland und damit auch Europa unter der Führung von Olaf Scholz vergeudet, einem Kanzler ohne Format, der, nachdem er mit der berühmten Zeitwende-Rede Hoffnungen geweckt hatte, zu retten versuchte, was von einem unhaltbaren Modell noch übrig geblieben ist, anstatt es neu zu erfinden. Ohne Charisma und unfähig zur Führung, die er versprochen hatte, hat Scholz eine ohnehin schon dysfunktionale Koalition unregierbar gemacht. ... Mit dem Ergebnis, dass Deutschlands Stimme in Europa geschwächt, ja unhörbar wurde, in einer seltsamen Spiegelung Frankreichs, das ebenfalls gelähmt ist: durch einen brillanten, aber realitätsfremden und abenteuerlustigen Präsidenten mit einer Regierung ohne Mehrheit.“