Was bringt die Feuerpause für den Libanon?
Israel und die Hisbollah haben sich mit US-Vermittlung auf eine Waffenruhe geeinigt – zunächst für 60 Tage. Beide Seiten müssen nun ihre Einheiten aus dem Südlibanon zurückziehen, die Sicherung des Grenzgebiets sollen die UN-Mission Unifil und die libanesische Armee übernehmen. Europas Medien kommentieren die Vereinbarung mit Erleichterung, aber auch gehöriger Skepsis.
Nicht nur um des Friedens willen
Libération analysiert die Beweggründe:
„Der Druck, eine Waffenruhe zu erreichen, war immens. Und offen gesagt kommt er allen gelegen. Joe Biden, der sich mit aller Kraft dafür eingesetzt hat, sieht darin eine Möglichkeit, seine Präsidentschaft glanzvoll abzuschließen. Emmanuel Macron, der ebenfalls daran mitgewirkt hat, diesem Krieg ein Ende zu setzen, poliert sein Image auf, das durch das politische Chaos in Frankreich angekratzt ist. Die israelische Armee kann etwas aufatmen und die Hisbollah zählt die ihr verbliebenen Kämpfer. Und Benjamin Netanjahu sieht plötzlich, dass Frankreich ihm eine 'Immunität' einräumt angesichts der ihm vom IStGH vorgeworfenen Kriegsverbrechen – was für ein Zufall!“
So weit waren wir schon einmal
Népszava ist pessimistisch:
„Es käme einem kleinen Wunder gleich, wenn die Waffenruhe für die geplanten 60 Tage hält. Große Teile der libanesischen Bevölkerung feiern den Waffenstillstand als Sieg der Hisbollah, die Rückkehr der Vertriebenen hat begonnen. Doch die Menschen im Norden Israels warten noch ab. ... Ihre Angst ist berechtigt: Seit 2006 gibt es eine UN-Resolution, die die Hisbollah von den israelischen Grenzen fernhalten, ihre Aufrüstung verhindern und dies durch eine UN-Friedenstruppe und die libanesische Armee garantieren soll. Das Ergebnis: Vor den Augen der Friedenstruppen ist die Terrororganisation zur erschreckendsten Kraft im Nahen Osten geworden. Welche Garantien gibt es, dass es diesmal anders sein wird?“
Machtvakuum im Libanon
Die Schwäche des libanesischen Staates beschäftigt Berlingske:
„Dass Israel nun einen Großteil der politischen und militärischen Macht der Hisbollah im Land zerschlagen hat, lässt hoffen, dass die terroristische Bewegung so viel Macht verloren haben könnte, dass die libanesische Regierung eine historische Chance hat, diese einzudämmen. Doch die Tatsache allein, dass die Libanesen die Nase voll von der Hisbollah haben, garantiert noch nicht, dass die libanesische Regierung auch stark genug ist, die vom Iran unterstützte Miliz dauerhaft in Schach zu halten. Die schwache libanesische Regierung hat seit Jahrzehnten keinen Einfluss auf die Sicherheit im Libanon. Man wird die Entwicklung im Auge behalten müssen – und die Israelis werden dies sicher auch tun.“
Wenig Hoffnung für Gaza
Positive Auswirkungen auf die Lage im Gazastreifen hält Hospodářské noviny für unwahrscheinlich:
„Die derzeitige israelische Regierung, und wohl auch die künftige US-Regierung von Donald Trump, haben andere Pläne. Anders als der palästinensische Gazastreifen ist der Libanon ein allgemein anerkannter und souveräner Staat, dessen Teile Israel nicht langfristig besetzen will. Was Gaza betrifft, wird der Waffenstillstand vor allem dadurch erschwert, dass es keine Einigung über die künftige Gestaltung des Gazastreifens gibt. Die israelische Regierung will nicht, dass die Fatah, die das Westjordanland kontrolliert, auch in Gaza regiert.“
Rettung in letzter Minute
Auch wenn der Waffenstillstand erst einmal nur eine Atempause ist, so ist er doch wichtig, betont Ilta-Sanomat:
„Für den Libanon kommt der Waffenstillstand in letzter Minute. Wenn kein Abkommen zustande kommt oder es nicht hält, könnte der Libanon als Staat zusammenbrechen. ... Der Waffenstillstand ist eine vorübergehende Lösung, denn er wird 60 Tage dauern, wie im Vorfeld des Abkommens bekannt wurde. Pessimistische Beobachter sehen darin eine Atempause. Aber auch das ist gut. Die Not geht weiter. Hunderttausende Libanesen, die in provisorischen Unterkünften, Zelten und sogar auf der Straße wohnen, leben immer noch in den Trümmern. Es ist ein hartes Schicksal in der Kälte und dem Regen des kommenden Winters.“
Ohne Iran keine langfristige Lösung
Ein Abkommen mit der Hisbollah reicht nicht, meint die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Auf dem Papier hatte Israel schon von der UN-Resolution 1701 versichert bekommen, dass sich die Hizbullah aus seinem Grenzgebiet fernhalten muss. Die Schiitenmiliz scherte das nicht. Sie brachte unter den Augen der UN-Beobachter völlig ungeniert ihr Raketenarsenal in Stellung. ... [E]ine langfristige Lösung? Die wäre nur in Teheran möglich. Doch dort wird man auf den regionalen Machthebel, den das Regime durch Schattenarmeen wie die Hizbullah hat, kaum freiwillig verzichten.“
Trümmer, Gewinner und Verlierer
La Stampa nimmt den Deal genauer unter die Lupe:
„Beirut atmet auf, Gaza versinkt im Abgrund. Der Waffenstillstand zwischen Israel und Libanon hinterlässt Trümmer, Gewinner und Verlierer. Es siegt die Linie von Donald Trump, der Benjamin Netanjahu aufgefordert hatte, den Krieg vor [seiner Amtseinführung] am 20. Januar zu beenden. 'König Bibi' wird seine Belohnung erhalten: grünes Licht für neue Siedlungen im Westjordanland, deren Umfang von seinen Fähigkeiten als Verhandlungsführer und Manipulator abhängen wird. ... Die Hisbollah wird sich nach Norden, hinter den Fluss Litani, zurückziehen müssen. Aber sie behält einen Rest ihres Raketenarsenals und bewahrt ihr Prestige in der politischen Balance des Libanon.“
Israel nur vordergründig versöhnlich
Für eldiario.es ist die Einigung vorrangig ein Abschiedsgeschenk an US-Präsident Biden:
„Die jetzige Vereinbarung ähnelt der Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrats von 2006, die keinen Frieden gebracht hat. ... Für Israel ist klar, dass es momentan keinen endgültigen Sieg erringen kann. ... [Seine Einwilligung] hat auch mit Joe Biden zu tun. Der US-Präsident will seine Amtszeit mit einem positiven Ergebnis abschließen und übt anhaltenden Druck auf Benjamin Netanjahu aus. ... Dieser weiß, dass es in seinem Interesse ist, versöhnlich zu erscheinen, um sich die Unterstützung der USA zu sichern. Sonst könnte Biden zum Abschied dem UN-Sicherheitsrat eine Resolution erlauben, die Israels Fähigkeit einschränkt, auf zukünftige Entwicklungen im Libanon zu reagieren.“
Ein Krieg weniger – aber hilft das Gaza?
Der Waffenstillstand ist eine der wenigen guten Nachrichten im Weltgeschehen, so The Economist:
„Ein regionaler Krieg, der unaufhaltsam zu wachsen schien, wird nun kleiner werden. Amerikanische Regierungsvertreter sagten immer, dass die Krise im Libanon durch ein Abkommen im Gaza-Streifen beigelegt werden könnte. Jetzt hoffen sie stattdessen darauf, dass das Libanon-Abkommen zur Lösung des Gaza-Konflikts beiträgt. ... Mehr als ein Jahr lang bestand die Hisbollah darauf, den Kampf gegen Israel nicht einzustellen, solange Israel im Gaza-Streifen kämpft. Israel hat nun die Verknüpfung der beiden Fronten aufgehoben. Das wird den immensen Druck von seiner bereits überlasteten Armee nehmen. Die Beendigung des einen Krieges könnte es Netanjahu aber einfacher machen, den anderen fortzusetzen.“