TV-Duell von Merz und Scholz: Gab es einen Gewinner?

Zwei Wochen vor der Bundestagswahl haben sich die Kanzlerkandidaten von SPD, Olaf Scholz, und CDU/CSU, Friedrich Merz, ein Fernsehduell zur besten Sendezeit geliefert. Auf heftige Verbalattacken wurde verzichtet, mit mehr als 40 Prozent Zuschaueranteil war das Interesse an der Debatte hoch. Kommentatoren ziehen sehr unterschiedlich Bilanz.

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Neue Zürcher Zeitung (CH) /

Ebenso kontrovers wie plastisch

Laut Neue Zürcher Zeitung haben die Deutschen wieder die Wahl zwischen zwei Politikern der Mitte mit divergierenden Ansichten:

„Wer sich am Sonntagabend die Zeit nahm, um das TV-Duell zwischen Kanzler Olaf Scholz und seinem Herausforderer Friedrich Merz zu schauen, wurde nicht enttäuscht. ... Die Debatte zwischen dem Sozialdemokraten und seinem christlichdemokratischen Herausforderer war hart, meistens fair, und vor allem zeigte sie eines: Die Bürger in Deutschland haben wieder die Wahl zwischen zwei Politikern der Mitte, die unterschiedliche Weltanschauungen vertreten. ... Die Zuschauer sahen am Sonntag eine Debatte, die ihren Namen verdient hat. ... Klare Gegensätze statt Zwist über kleine Details: So plastisch und kontrovers war deutsche Politik nicht immer.“

tagesschau.de (DE) /

Viele Antworten schuldig geblieben

Tagesschau.de hat es in dem TV-Duell an Zukunftsvisionen gefehlt:

„Die Schere zwischen Arm und Reich, Mieten, Klima, Rente: Dazu kaum ein Wort. Stattdessen viel Klein-Klein, Prozentrechnen und Fachbegriffe. Selbst beim Reizthema Migration gab es keine neuen Antworten. Härter, strenger, konsequenter soll man denen gegenüber sein, die nach Deutschland kommen. Löst das wirklich die Probleme, die Menschen beim Thema Migration vor Ort haben? Auch Olaf Scholz hat kaum überrascht. Mindestlohn und Spitzensteuersatz – lassen sich damit bis in zwei Wochen noch 15 Prozentpunkte Vorsprung zur Union aufholen? Scholz hat wenig angegriffen, Friedrich Merz hat wenig Fehler gemacht. Aber die vielen Unentschlossenen dürfte keiner der beiden abgeholt haben.“

Die Presse (AT) /

Sachlichkeit statt Schlammschlacht

Die Presse lobt den gesitteten Ton zwischen Merz und Scholz:

„All jene, die regelmäßig politische TV-Debatten in Österreich oder den USA verfolgen, mögen sich auf eine wilde Live-Schlammschlacht gefasst gemacht haben, persönliche Beleidigungen und Fake News-Streubomben inklusive. ... Wer derlei erwartet hat, wurde am Sonntagabend allerdings bitter enttäuscht. Mit Olaf Scholz und Friedrich Merz standen einander zwei Kandidaten gegenüber, die tatsächlich ihre Argumente sachlich vortragen wollten. ... Da standen zwei Politiker, die einander trotz offensichtlich unterschiedlicher Weltanschauungen (fast immer) ausreden ließen und nicht mit irgendwelchen Phantasiezahlen um sich warfen.“

Avgi (GR) /

Der eigentliche Sieger war nicht dabei

Avgi sieht die AfD als Agenda-Setter:

„Die extrem rechte Partei, die in allen Umfragen auf dem zweiten Platz liegt, kann ohne Weiteres behaupten, die Fernsehdebatte gewonnen zu haben, ohne überhaupt daran teilgenommen zu haben. Denn in der ersten halben Stunde der Konfrontation ging es um das Thema Einwanderung. Jeder der beiden Rivalen versuchte zu überzeugen, er hätte das beste Rezept für die Sicherung der Grenzen und die Begrenzung der Zahl der Asylbewerber im Land. ... Es ist nun klar, dass die extreme Rechte die Agenda für die politische Debatte im Land bestimmt hat. Die Politik der nächsten Regierung in Berlin wird viel härter sein, viel stärker von der Propaganda der extremen Rechten beeinflusst.“

The Daily Telegraph (GB) /

Merz verliert an Boden

Es sieht so aus, als hätte sich Merz verkalkuliert, meint The Daily Telegraph:

„Knapp zwei Wochen später sieht sich Merz immer noch heftigen Reaktionen auf seinen faustischen Pakt mit der AfD ausgesetzt – und das nicht nur von anderen Politikern. Zum zweiten Mal in Folge gingen Zehntausende Deutsche auf die Straße, um gegen die AfD und gegen Merz' Entscheidung zu protestieren, sich parlamentarisch auf diese zu stützen. ... Es gibt erste Anzeichen dafür, dass der Unmut der Deutschen über Merz seinem Abschneiden am Wahltag schaden könnte. Nachdem die Partei wochenlang in den Umfragen bei oder über 30 Prozent lag, deuten mehrere neue Umfragen darauf hin, dass die Popularität der Partei auf 29 Prozent oder weniger sinken könnte. “

Echo24 (CZ) /

Nicht über den Tellerrand geschaut

Deutschland debattiert Migrationskontrollen ohne Rücksicht auf seine europäischen Nachbarn, klagt Echo24:

„Deutschland spricht zum ersten Mal offen über das riesige soziale, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Problem, in das es geraten ist. Ja, der Druck auf die Politik, die Einreisebestimmungen zu verschärfen, wächst und wird sehr entscheidend für den Wahlausgang und die neue Regierung sein. Aber wenn man zumindest einen Hauch von Überlegungen darüber erwartet hatte, ob weitere einseitige Schritte, diesmal durch die Polizei, die Beziehungen zu den Nachbarn verschlechtern oder sie ohne ihr Verschulden in Probleme bringen würden, war diese Erwartung vergebens. Was für Deutschland richtig ist, muss auch für den Rest Europas richtig sein.“