Europa vor massiver Aufrüstung?

Angesichts einer möglichen Bedrohung durch Russland und weniger Unterstützung aus den USA diskutiert Europa erneut über mehr Investitionen in seine Verteidigung. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will dafür die EU-Schuldenregeln aufweichen. Derweil hat Dänemark angekündigt, seine Verteidigungsausgaben auf mehr als drei Prozent seines BIP hochzuschrauben. Das Gros der Kommentatoren begrüßt diese Richtung.

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La Stampa (IT) /

Der Weg zum Schengen-Raum als Vorbild

Die willigen EU-Mitgliedstaaten sollten jetzt zeigen, dass sie noch an Europa glauben, betont La Stampa:

„Auch den europäischen Institutionen, vor allem der EU-Kommission, ist klar, dass es für eine gemeinsame Verteidigung nicht reicht, noch mehr auszugeben, es müssen auch bessere Entscheidungen getroffen werden. Mangels einer gemeinsamen Vision würde dies darauf hinauslaufen, differenziert zu entscheiden und zu handeln. ... Der Schengen-Raum erinnert uns daran, dass es manchmal der beste Weg ist, mit einigen wenigen zu beginnen, um allgemeine und gemeinsame Ergebnisse zu erzielen. Wenn es Regierungen gibt, die überzeugter sind als andere, dann sollten sie hier ansetzen, nicht um ihrer eigenen Ambitionen willen, sondern um zumindest zu zeigen, dass sie noch an Europa glauben. Wie könnten sonst die Bürger daran glauben?“

Le Monde (FR) /

Investitionen in die Widerstandsfähigkeit

Europa sollte den Motor der Verteidigungsindustrie ankurbeln, fordert Alexandra de Hoop Scheffer vom Thinktank German Marshall Fund of the United States in Le Monde:

„Die Mitgliedstaaten kommen um gemeinsame Schulden nach Art des Covid-Wiederaufbaufonds nicht herum. ... Mithin muss die EU-Kommission die Haushaltsregeln und den Stabilitätspakt aufweichen. ... Großbritannien, Polen und Schweden machen es vor, wie Regierungen mit ihren Bürgern über die künftigen Herausforderungen und Investitionen kommunizieren müssen. Europa kann nur Nutzen daraus ziehen, wenn es die Produktionskapazitäten seiner Verteidigungsindustrie erhöht: Was in die Verteidigungsforschung investiert wird, kommt auf lange Sicht auch der Digital- und Energiewende zugute und stärkt in weiterer Folge unsere Eigenständigkeit und unsere langfristige Widerstandsfähigkeit.“

Dagens Nyheter (SE) /

Akuter Handlungsbedarf

In der aktuellen Situation fordert Dagens Nyheter ein Aufweichen der strengen Haushaltspolitik in Schweden:

„Mit einer Staatsverschuldung auf einem internationalen Rekordtief von 31 Prozent des BIP halten sowohl die Regierung als auch die Sozialdemokraten an fiskalischen Regeln fest, die geordnete schuldenfinanzierte Investitionen sowohl in die Infrastruktur als auch in die Verteidigung verhindern. Kreditaufnahme bedeutet nicht, dass Investitionen kostenlos sind, weder auf nationaler noch auf EU-Ebene. Aber diese Investitionen werden jetzt und sofort benötigt. Ohne Kreditaufnahme sind Steuererhöhungen oder radikale Änderungen an anderen Wohlfahrtsprogrammen erforderlich, die die gesamte europäische Wirtschaft gefährden.“

Neue Zürcher Zeitung (CH) /

Das wird teuer und anstrengend

Die Neue Zürcher Zeitung sieht Europas Finanzstabilität gefährdet:

„Was zum Beispiel fällt unter Militärausgaben? Bloss der Kauf von Waffen oder auch der Neubau einer altersschwachen Brücke, damit Panzer darüber fahren können? … Anders als eine Investition in die Infrastruktur machen höhere Militärausgaben die Volkswirtschaft eines Landes nicht effizienter. Sie stellen eine Last ohne unmittelbare Rendite dar. … Deshalb werden die Länder trotz allen Protesten nicht darum herumkommen, sämtliche Konsumausgaben zu hinterfragen, beispielsweise für die Bildung oder das Pensionssystem. Das Rentenalter wird steigen müssen … Die Wirtschaft wird in den kommenden Jahren vielmehr auf hohen Touren laufen müssen, um nur das Allernötigste zu finanzieren. Es sieht leider nach mehr und nicht nach weniger Arbeit aus.“

Berlingske (DK) /

Unter den Dänen herrscht Einigkeit

Berlingske begrüßt, dass Dänemark massiv aufrüstet:

„Das heißt natürlich nicht, dass Kritik unerwünscht ist. Rüstung geht mit vielen Fragen, Perspektiven und Dilemmata einher, die diskutiert werden sollten. ... Die politischen Kräfte und ihre Entscheidungen sollten deshalb immer kritisch hinterfragt werden. ... Aber gegen einen politischen Konsens, der aus einem offenen und echten Dialog hervorgeht, ist nichts einzuwenden. In der heutigen Weltlage gibt es nicht viel Erfreuliches, deshalb sollten wir uns an den wenigen Lichtblicken erfreuen, die es gibt. Die Tatsache, dass wir in Dänemark mit Blick auf die massive Aufrüstung geeint sind, ist einer davon.“