Deutschland kontrolliert seine Grenzen
An der Grenze zu Österreich hat Deutschland am Wochenende vorübergehend wieder Kontrollen eingeführt. Von den europäischen Partnern im Stich gelassen blieb Berlin nichts anderes übrig, klagen einige Kommentatoren. Andere glauben, dass mit dem Schritt die osteuropäischen EU-Länder auf Linie gebracht werden sollen.
Deutschland musste das Handtuch werfen
Deutschland wurde durch die Untätigkeit Europas zur Einführung von Grenzkontrollen gezwungen, stellt die liberale Tageszeitung De Standaard fest: "Deutschland will weiterhin Vorreiter sein, aber nicht der Dumme Europas. ... Dass Europa auf so schändliche Weise die Initiative Deutschlands ignorierte, das Flüchtlingsproblem gemeinsam anzugehen und die Lasten zu teilen, musste schwere Folgen haben. Ein Riese lässt sich nicht ewig von Zwergen quälen. Nun ist kaum noch Zeit, um eine Katastrophe zu verhindern. Dass Deutschland gezwungen war, das Handtuch zu werfen, wird dort zu einem Umschwung der öffentlichen Meinung führen. Der Ärger über den Unwillen zu vieler europäischer Partner, sich als Europäer zu verhalten, wird wachsen. Europa stehen dunkle Zeiten bevor."
So daneben lag Merkel noch nie
Die Grenzschließung nach Österreich offenbart das Versagen der Flüchtlingspolitik nicht nur von Angela Merkel sondern der gesamten EU, findet die linksliberale Süddeutsche Zeitung: "Für die Bundeskanzlerin ist dies das Eingeständnis einer politischen Fehleinschätzung, wie sie ihr in zehn Jahren Kanzlerschaft noch nicht unterlaufen ist. Und für Europa lautet die Botschaft: Deutschland hat verstanden, es wird nicht im Alleingang die Flüchtlingspolitik der EU revolutionieren können. ... Die deutsche Politik ist gescheitert an dem eklatanten Widerspruch zwischen der moralischen (und rechtlichen) Verpflichtung, die jedem Kriegsflüchtling Asyl zugesteht, und der schieren Größe des Problems. Sie ist gescheitert an der eigenen Selbstüberschätzung und der europäischen Unbeweglichkeit. ... Man kann die Unbeweglichkeit der Staaten Europas verdammen, aber Solidarität ist ein zweischneidiges Schwert: Sie gilt auch für alle, die sich überfordert oder politisch bedrängt sehen. Die waren diesmal eindeutig in der Mehrheit."
Österreich steht nun allein da
Mit den deutschen Grenzkontrollen wird Österreich vom Transit- zum Zielland und muss darauf entsprechend reagieren, fordert die liberal-konservative Tageszeitung Die Presse: "Österreich steht nun, da die deutsche Großzügigkeit an unserer Grenze endet, mehr oder weniger allein da. Es muss für sich eine Entscheidung treffen. Es ist eine zwischen Herz und Hirn, zwischen Gefühl und Verstand. Dass wir Flüchtlinge aufnehmen sollen, ist unbestritten. Die Frage ist, wie viele wir aufnehmen können. Eine unkontrollierte Masseneinwanderung kann es nicht geben. Und es geht nicht nur darum, wie viele wir in der aktuellen Notsituation unterbringen können. Sondern man wird über den Tag hinausdenken müssen: Wie können wir diese vielen Menschen, aus einem anderen Kulturkreis, mit einer anderen Religion, die zu einem großen Teil bleiben werden, bei uns integrieren? Wenn unser liberaler Lebensstil als Anreiz dafür ausreicht - wunderbar. Wenn nicht, wird man eine Art Leitkultur definieren müssen."
Berlin erhöht Druck auf Osteuropa
Tschechien ist von der Einführung zeitweiliger Grenzkontrollen durch die deutsche Polizei laut Innenminister Milan Chovanec nicht informiert worden, obwohl die Flüchtlinge jetzt vermehrt versuchen könnten, über tschechisches Gebiet nach Deutschland zu gelangen. Die konservative Lidové noviny wirft Deutschland ein böses Spiel vor: "Die Schließung der Grenzen verursacht einen unhaltbaren Zustand in den Ländern, in die die Flüchtlinge von außerhalb des Schengen-Raums kommen. Das setzt die Länder unter Druck, sich einem gemeinsamen europäischen Vorgehen inklusive der Quotenregelung anzuschließen. Vor allem Ungarn wird immer mehr genötigt, die Einheit der Osteuropäer zu sprengen. Wenn der Weg über Wien versperrt ist, könnte die Flut der Flüchtlinge nach Tschechien führen. Vielleicht, so die Rechnung, werden wir im Angesicht von zehntausend syrischen Familien an unserer Grenze um die Quote betteln, laut der uns nur ein paar tausend zugeteilt werden. ... Hoffentlich dauert die 'zeitweilige' deutsche Maßnahme nicht 23 Jahre [wie die sowjetische Besatzung nach 1968]."