EZB mitschuld an Euroskepsis in Deutschland?
Die Kritik aus Deutschland an der Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) verschärft sich. Finanzminister Wolfgang Schäuble sagte am Wochenende, die Geldpolitik trage Mitschuld am Erstarken der national-konservativen AfD in Deutschland. Kommentatoren streiten über den Vorwurf und die Wirksamkeit der lockeren Geldpolitik.
Schäuble geht mit seiner EZB-Kritik zu weit
Finanzminister Wolfgang Schäuble hatte bereits am Dienstagabend auf einer Veranstaltung der Universität Basel die Befürchtung geäußert, dass "die Auswirkungen der Geldpolitik in Deutschland zunehmend euroskeptische Bestrebungen nähren". Das steht ihm nicht zu, wettert der liberal-konservative Corriere della Sera:
„Die Debatte über die lockere Geldpolitik von Mario Draghi ist legitim. ... Doch das Eine ist die Diskussion zwischen Ökonomen. Etwas ganz Anderes ist es, wenn eine Regierung sich auf ein Gebiet vorwagt, in dem sie nichts zu suchen hat. ... Wenn Schäuble der EZB vorwirft, mit der Niedrigzinspolitik, die den deutschen Sparern missfällt, den Erfolg der national-konservativen Partei AfD bei den Landtagswahlen gefördert zu haben, übersieht er zwei Punkte: Dass der Sinn einer expansiven Geldpolitik genau der ist, weniger zu sparen, um mehr auszugeben. ... Und dass die EZB ein Mandat nicht nur für Deutschland, sondern für die gesamte Eurozone hat.“
Schweden droht Immobilienblase
In Schweden besteht durch die Niedrigzinspolitik der EZB die akute Gefahr einer Immobilienblase, hat der Direktor für Wirtschaftsangelegenheiten der EU-Kommission, István Székely, zum wiederholten Male festgestellt. Doch Regierung und Bürger bleiben passiv, konstatiert die liberale Tageszeitung Upsala Nya Tidning:
„Warum tut niemand, was getan werden muss? Ein Hinweis ist, dass Irlands Regierung kürzlich vom Wähler abgestraft wurde, trotz des höchsten Wachstums in der EU. Auch schwedische Politiker wollen lieber die Verantwortung für die Staatsfinanzen übernehmen als für private Haushalte, die man dazu aufruft, Geld auszugeben. ... Die Mehrheit der Bevölkerung ist mit dem aktuellen Zustand zufrieden. Sie hat Jobs und Immobilien, deren Wert ständig steigt. ... Regierung und Opposition müssen sich darüber einig sein, den Wohnungsmarkt zu reformieren. Falls ihnen das nicht gelingt, oder falls wir Wähler uns populistischeren Alternativen zuwenden, wird uns die kommende Generation zur Verantwortung ziehen.“
Zentralbank ist dem Inflations-Wahn verfallen
Die ständigen Zinssenkungen der EZB dienen in Wahrheit einem dunklen Ziel, kritisiert die Wirtschaftsexpertin Rūta Vainienė auf dem Onlineportal des öffentlich-rechtlichen Rundfunks LRT:
„Mit dem kostenlosen Geld will die EZB die Inflation stimulieren, da diese es nicht auf die angestrebten zwei Prozent schafft. Warum die EZB aber will, dass die Inflation in der Eurozone bei zwei und nicht etwa bei eineinhalb oder drei Prozent liegt, oder aber dass es überhaupt keine Inflation gibt: diese Fragen wird Euch niemand beantworten. ... Die Inflation ist der Gott, den alle Regierungen anbeten. Der EZB-Vizepräsident vergleicht sie unbescheiden mit dem Wirtschaftswachstum. Die Inflation ist aber kein Wirtschaftswachstum. Sie ist nicht mal ein Generator von Wirtschaftsleistung. Sie ist eine billige Methode, um die unersättlichen Regierungen zu befriedigen. Der Inflations-Wahn ist beständig, er wird durch mächtige Behördenstrukturen geschützt, die von Interessengruppen unterstützt werden.“
Notenbank darf nicht zum Schuldenmachen anregen
Experten diskutieren derzeit, welche Instrumente die EZB noch aufbringen könnte, um die Wirtschaft anzukurbeln. Neben dem Helikoptergeld ist auch der Verzicht auf Rückzahlungen von Staatsanleihen im Gespräch. Die liberal-konservative Tageszeitung Die Presse hält dies für fatal:
„[Die EZB] könnte auf die Rückzahlung dieser Anleihen ... verzichten und den Ländern so wieder ein bisschen Verschuldungsspielraum verschaffen. Das sei, wie es hieß, 'rechtlich und buchhalterisch komplex', aber nicht unmöglich. Nur: Dieser Freibrief für Schuldenmachen auf Kosten notwendiger Reformen wäre mit Sicherheit ein Dammbruch, dessen Folgen die EZB nicht mehr unter Kontrolle halten könnte. Dann können wir die Währung samt dem in ihr angehäuften Finanzvermögen wirklich vergessen. Hoffen wir, dass dieser systemzerstörende Verzweiflungsakt ausbleibt. Allein dass er diskutiert wird, erzeugt ja schon Vertrauensverlust genug.“
Zum Glück setzt sich Draghi durch
Gut, dass sich der EZB-Chef mit seinem unkonventionellen Ansatz gegen die Zauderer in der Zentralbank durchgesetzt hat, freut sich die wirtschaftsliberale Tageszeitung Financial Times über die Leitzinssenkung auf null Prozent:
„Die EZB hat richtigerweise erkannt, dass es einen Impuls braucht, dass der Bankensektor schwach ist und dass sie ihre Kraft darauf konzentrieren sollte, die Kreditgewährung sowie Investitionen in die Realwirtschaft zu unterstützen. ... Es ist nicht das erste Mal unter Draghis Führung, dass die EZB mit unkonventioneller Geldpolitik Neuland betritt, um gegen die schon lange anhaltende niedrige Inflation und das langsame Wachstum in der Eurozone vorzugehen. Wieder einmal hat sich Draghi gegen den internen, von Deutschland angeführten Widerstand durchgesetzt. Jetzt ist es an der Zeit, seine mutige Vorgehensweise wirken zu lassen.“
Geldpolitik der EZB ist kontraproduktiv
Die zusätzliche Lockerung der Geldpolitik durch die EZB wird die Probleme der Eurozone verschärfen, fürchtet die liberal-konservative Neue Zürcher Zeitung:
„Das viele frische Geld dürfte kaum in der Realwirtschaft ankommen, sondern vielmehr die Blasenbildung an den Finanzmärkten verstärken. Der wichtigste Transmissionsmechanismus für die Übertragung geldpolitischer Impulse, die Kreditvergabe der Banken, wird durch negative Zinsen zusehends blockiert. So können die Banken die Negativzinsen kaum an Sparer weiterreichen, da diese ihr Geld sonst abheben und 'unter der Matratze' horten könnten. Um die höheren Zinskosten dennoch auf die Kunden abzuwälzen und der sinkenden Profitabilität zu begegnen, erhöht manche Bank einfach ihre Kreditzinsen, etwa im Hypothekarbereich. Die zur Ankurbelung von Krediten gedachten Negativzinsen führen in diesen Fällen zu einer Verschärfung der Kreditpolitik. Die überdosierte Medizin der EZB ist bisweilen nicht nur wirkungslos, sondern gar kontraproduktiv.“
Das war die letzte Lockerung
Das war jetzt wirklich die letzte geldpolitische Lockerung, die Draghi wagt, prophezeit die liberale Wirtschaftszeitung L'Echo:
„Es gibt Grenzen, die man nicht überschreiten darf. Und das werden die Deutschen, die große Verfechter einer restriktiven Geldpolitik sind, dem italienischen Banker sicher in Erinnerung rufen. Mario Draghi scheint beim Thema negative Zinssätze bereits einen Entschluss gefasst zu haben. Die Senkung des Strafzinses für Bankeinlagen auf minus 0,4 Prozent scheint die letzte zu sein. Es steht außer Frage, die Zinssätze noch weiter in den Keller zu treiben. Denn dies würde nicht nur die Gefahr bergen, die Banken zu destabilisieren, sondern es bestünde auch das Risiko heftiger Reaktionen bei den Sparern, sollten die Zinssätze auf Sparbücher ins Negative rutschen. Umfragen zeigen, dass die Sparer in diesem Fall das Geld von ihren Konten abheben würden. Nicht um es auszugeben, sondern um es unter die Matratze zu legen. ... Draghi scheint das verstanden zu haben.“
Ausnahmezustand hält an
Mit einem baldigen Ende der Wirtschaftskrise ist in Europa nicht zu rechnen, kommentiert die liberale Tageszeitung Savon Sanomat das von EZB-Chef Draghi vorgestellte Maßnahmenpaket:
„Die Europäische Zentralbank überraschte die Märkte damit, dass sie zur Belebung der Wirtschaft gleichzeitig alle zur Verfügung stehenden Maßnahmen ergreift. ... Auch wenn man diese Schritte zur Ankurbelung der Wirtschaft für berechtigt, angemessen und notwendig hält, so zeigen sie doch gleichzeitig, dass die EZB wie andere auch der Ansicht ist, dass das aufkeimende Wachstum in Europa gebremst wurde und die wirtschaftlichen Aussichten sich verdüstert haben. Die Inflation ist ebenfalls zu niedrig, was nicht allein mit dem billigen Öl erklärt werden kann. Die Maßnahmen sind ein deutliches Zeichen dafür, dass der durch die Krise verursachte Ausnahmezustand der EZB noch lange andauern wird.“
Wirtschaft endlich ankurbeln
Angesichts der schwächelnden Weltwirtschaft erwartet die liberale Tageszeitung Dagens Nyheter ein entschlossenes Handeln der EZB:
„Der große Fehler der Euroländer war es, dem wirtschaftlichen Rückgang zu spät und zu vorsichtig zu begegnen. Lange nach Großbritannien und den USA hat die EZB begonnen, die Zinsen zu senken, um Invesitionen und Konsum anzuschieben. ... Die Arbeitslosigkeit ist immer noch zu hoch und das Wachstum gibt keinen Anlass zum Jubel. Die Inflation ist immer noch negativ. Der Leitzins der EZB liegt bei minus 0,3 Prozent. Die Wirtschaft kann stärker angekurbelt werden. Schwarzseher warnen vor einem Währungskrieg, aber die Zinspolitik ist kein Nullsummenspiel. Im Gegenteil - alle werden davon profitieren, wenn sich Europa erholt und der Deflation entgegengewirkt wird.“
Super Mario ist mit seinem Latein am Ende
Das Anleihen-Kaufprogramm nun zu beenden, weil es nicht den erhofften Effekt auf Finanzmärkte und Realwirtschaft hatte, wäre gefährlich, meint der linksliberale Tages-Anzeiger:
„Schon beim Verdacht, die EZB könnte bei ihrer quantitativen Lockerung bremsen, erstarkte [zuletzt] der Euro und stiegen die Zinsen auf dem Kapitalmarkt – zum Nachteil der Realwirtschaft in der Eurozone. … Wie Mario Draghi es da schaffen soll, ein Paket zu schnüren, das gleichzeitig die Märkte zufriedenstellt und der Realwirtschaft ein Vertrauenssignal sendet, ohne dass die Ängste hinsichtlich der Stabilität des Bankensektors überhandnehmen, ist schwer ersichtlich. Diese Aufgabe mit all ihren Komplexitäten, Widersprüchlichkeiten und Restriktionen übersteigt wohl auch die Möglichkeiten eines 'Super-Mario'.“
EZB sollte Bürger mit Milliarden beschenken
Weil es der EZB bislang nicht gelungen ist, das Inflationsziel von zwei Prozent zu erreichen, sollte sie eine neue, radikale Methode anwenden, empfiehlt Kolumnist Wolfgang Münchau in der wirtschaftsliberalen Tageszeitung Financial Times:
„Ein 'Helicopter Drop' würde bedeuten, dass die EZB Geld druckt und direkt an die Bürger verteilt. Wenn sie beispielsweise drei Billionen Euro, also 10.000 Euro pro Bürger in der Eurozone über einen Zeitraum von fünf Jahren verteilen würde, wäre das eine elegante Lösung des Inflationsproblems. Die Maßnahme würde die Nachfrage auf Verbraucherseite umgehend erhöhen. Das wiederum würde zu mehr Investitionen führen, da die Anbieter ihre Kapazitäten ausbauen würden, um der gesteigerten Nachfrage nachzukommen. Die Maßnahme würde nationale Regierungen und den Finanzsektor umgehen. Die Finanzmärkte würde die Maßnahme hassen, denn davon haben sie nichts. Aber wen kümmert das?“
Draghi muss Preise stabilisieren
Wenn der EZB-Rat nächsten Donnerstag zusammenkommt, muss er endlich Schritte veranlassen, um die Deflation in Europa aufzuhalten, fordert die linksliberale Irish Times:
„Die Bemühungen der EZB die Kreditvergabe von Banken zu erhöhen, Wachstum zu stimulieren und eine Preissteigerung herbeizuführen, waren bislang nur begrenzt von Erfolg gekrönt und haben ihrer Glaubwürdigkeit geschadet. ... Es ist der Auftrag der EZB, Preisstabilität zu erreichen, wozu auch eine Zielinflationsrate von unter zwei Prozent gehört. Daran ist sie konsequent gescheitert, wie auch die negativen Inflationsraten des letzten Monats bestätigen. Deflation, einmal in der Wirtschaft etabliert, lässt sich nur schwer rückgängig machen. Konsumenten schieben Anschaffungen auf, um von fallenden Preisen zu profitieren und Unternehmen verschieben wegen schwacher Nachfrage Investitionen und verkleinern die Belegschaft. EZB-Präsident Mario Draghi hat 2012 versprochen, alles zu tun, um den Euro zu retten. Jetzt muss er die Preise stabilisieren und die Deflation besiegen.“
EZB schafft es nicht allein
Trotz der Billionen, die die EZB ins Finanzsystem gepumpt hat, ist die Inflation in der Eurozone im Januar in den negativen Bereich gerutscht. Der Einsatz der EZB allein reicht nicht mehr aus, betont die liberale Tageszeitung Público:
„Auf den ersten Blick mag dies wie eine gute Nachricht für die Verbraucher klingen, die unmittelbar an Kaufkraft gewinnen. ... Die negative Inflationsrate ist jedoch ein vergiftetes Geschenk: sie kann dazu führen, dass Konsumentscheidungen und Investitionen verschoben werden. Die Erwartungen steigen, dass die EZB mehr tut. Doch Mario Draghi hat bereits davor gewarnt: es könne nicht nur an der Zentralbank liegen - auch die Regierungen müssen Maßnahmen zu Arbeitsplatzförderung und Wachstum umsetzen. Weitere politische Maßnahmen, à la Juncker-Plan, sind daher willkommen.“