Merkel muss endlich die Realität anerkennen
Damit ein Abkommen beim EU-Türkei-Gipfel am kommenden Montag möglich ist, sollte Merkel ihre Einstellung überdenken, fordert die konservativen The Times:
„Kein Abkommen, das nächste Woche getroffen wird, kann halten, wenn Deutschland keine Obergrenze für die Zuwanderung aus Syrien setzt. ... Der Kontinent, der vor einer Generation den Osten Europas mit offenen Armen empfing, kann den Opfern der Unruhen im Nahen Osten nicht die gleiche Begrüßung bieten. Europa kann aber bei der Hilfestellung die Leitung übernehmen. Dies ist aber nur möglich, wenn Merkel ihre vom Jahr 1989 geprägten Instinkte der harten Realität von 2016 unterordnet.“
Die Kanzlerin kann es noch schaffen
Merkel scheint isoliert, dabei ist ihr Plan nicht unrealistisch, meint die linksliberale Tageszeitung Delo:
„Auch wenn es so aussieht, als ob die deutsche Kanzlerin Merkel nach einem halben Jahr vor den Trümmern ihrer eigenen humanen Politik steht, ist das Beharren auf ihrem Standpunkt zur letzten Hoffnung geworden. Ihr Szenario ist realisierbar. Griechenland kann mit Hilfe mehr für die Grenzkontrollen tun. Es könnte sich zeigen, dass die Nato-Mission in der Ägäis zur Lösung beiträgt. Maßnahmen der Türkei auf heimischem Boden, sowie mehrere Milliarden Euro der EU für Flüchtlinge, könnten den Flüchtlingsstrom verringern. Anstatt der Neigung Österreichs und der Westbalkanstaaten zu Scheinlösungen zu folgen, würde es sich lohnen, geduldig eine gesamteuropäische Lösung zu suchen, die niemanden im Stich lässt. Doch hat Angela Merkel in der niederländischen EU-Ratspräsidentschaft und innerhalb der EU-Kommission bei ihren Bestrebungen keine wahren Verbündeten.“
Irgendwann muss sie auch liefern
Nach ihrem Fernsehauftritt ist Angela Merkel genau so einsam wie vorher, konstatiert die wirtschaftsliberale Tageszeitung Hospodářské noviny:
„Zwar hat sie weder zuhause noch im Ausland Konkurrenz. Auch bleibt sie weiter überzeugt, dass Teillösungen, wie die Schließung nationaler Grenzen, den Grundsätzen der europäischen Vereinigung zuwider laufen. Aber ihre Politik hat bislang keine Ergebnisse gebracht. Ihr Aufruf lautete: 'Vertrauen Sie mir und geben Sie mir etwas Zeit'. Oder mit der Bibel gesagt: 'Der Glaube kann Berge versetzen'. Das Bestehen Merkels auf Grundsätzen ist bewundernswert, zumal sie sonst gern als zu pragmatisch kritisiert wird. Im richtigen Leben aber gilt, dass Glaube und Überzeugungen zwar wichtig sind. Aber oft ist es wichtiger, dass es Menschen gibt, die diese Überzeugungen auch teilen.“
Kehrtwende nicht ausgeschlossen
Merkel trotzt vielleicht nur vorerst dem Gegenwind aus Europa, der eigenen Bevölkerung und Partei, mutmaßt die linksliberale Tageszeitung Der Standard. Denn eine Kehrtwende sei bei der Bundeskanzlerin nie auszuschließen:
„Entscheidend für das weitere Vorgehen wird nicht der EU-Türkei-Gipfel am 7. März sein, entscheidend werden die drei Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt am 13. März sein. Vom Abschneiden der CDU und - im schlechten Fall - vom absehbaren Wutaufstand der Union hängen Merkels nächste Schritte ab. Doch glaube keiner, in diesem Fall einfach auf Merkels Untergang setzen zu können. Da gibt es andere Möglichkeiten, etwa doch noch jene Kehrtwende, wie man sie bezüglich Atomkraft, Wehrpflicht und Mindestlohn kennt, auch in der Flüchtlingspolitik. Dann bekommt auch Deutschland Obergrenzen.“
Deutschland braucht einen Plan B
Merkels Politik ist durchaus nicht alternativlos, findet die linksliberale Frankfurter Rundschau und meint damit nicht die weitere Abschottung Deutschlands vor Flüchtlingen:
„Neben den Bemühungen, Fluchtursachen zu bekämpfen und den Zuzug zu steuern, muss mit gleicher Intensität die soziale Infrastruktur der durch Einwanderung wachsenden Bevölkerung angepasst werden. ... Zwei Millionen Flüchtlinge, wenn es denn so viele werden, bedeuten einen Zuwachs um zweieinhalb Einwohner pro hundert. Das ist alles nicht einfach. Aber die Wohnungen und Schulen, die Jobs, Sozialarbeiter und Polizisten, die wir für das ganze, dann gewachsene Deutschland brauchen, die können wir versprechen. Und aus dem großen, aber ungerecht verteilten Reichtum unseres Landes bezahlen.“