Wie sehr spaltet der Wahlkampf die USA?
Die US-Präsidentschaftskandidaten Clinton und Trump bereiten sich laut der Nachrichtenagentur Bloomberg auf einen juristischen Streit nach der Wahl vor, um das Ergebnis möglicherweise anzufechten. Die im Wahlkampf aufgerissenen Gräben werden die US-Gesellschaft noch jahrelang belasten und Kompromisse erschweren, fürchten Kommentatoren - egal wer gewinnt.
Ein Schlammschlacht mit Nachwirkungen
Die Auswirkungen der Schlammschlacht um das Präsidentenamt werden den USA noch lange zu schaffen machen, ist Sme überzeugt:
„Wenn Clinton einen normalen Wettstreit gewinnen würde, dann würde womöglich auch eine Mehrheit der Republikaner sie als ihre Präsidentin akzeptieren. Aber dies war kein normaler Wettstreit. Die USA werden nach Lage der Dinge eine Präsidentin bekommen, die Millionen Menschen am liebsten ins Gefängnis schicken würden, auch wenn sie nicht wissen, wofür eigentlich. Sie glauben einfach Trumps unbewiesenen Anschuldigungen. ... Diese Wahlen werden nicht wie sonst üblich mit Feiern einerseits und dem Eingestehen der Niederlage andererseits sowie Respektsbekundungen gegenüber dem Sieger enden. Die von Trump zu verantwortende Politik, die die Menschen gespalten hat, sein Sexismus, sein Rassismus und seine Beleidigungen werden über Jahre einen schalen Nachgeschmack hinterlassen.“
Polarisierung wird USA nach der Wahl lähmen
Die im Wahlkampf auch innerhalb der beiden großen Parteien aufgerissenen Gräben werden eine Politik der vernünftigen Kompromisse massiv erschweren, fürchtet der US-Diplomat Richard Haass in Irish Examiner:
„Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass die USA aus dieser Wahl als gespaltenes Land mit einer gespaltenen Regierung hervorgehen werden - unabhängig davon, wer Präsident sein oder welche Partei die Mehrheit in einer der beiden Kammern des Kongresses haben wird. ... Doch niemand sollte glauben, dass die Trennlinie in der US-Politik nur zwischen Republikanern und Demokraten verläuft. Die Risse innerhalb der beiden Großparteien sind ebenso tief. Zahlenmäßig große und hoch motivierte Fraktionen ziehen beide Parteien in deren jeweiliges Extrem - die Demokraten nach links und die Republikaner nach rechts. Das macht die Kompromissfindung in der politischen Mitte noch schwieriger.“
Es geht nur darum, wer das geringere Übel ist
Warum der US-Wahlkampf solch absurde Formen angenommen hat, erklärt ABC:
„Trump hat schon länger keine Unbedachtheiten mehr von sich gegeben, er überlässt die mediale Bühne lieber seiner Rivalin. Die Taktik geht auf, denn die Mehrheit fragt sich, wie es sein kann, dass Clinton angesichts eines so kontraproduktiven Gegenspielers bei den Umfragen nicht abräumt. Das liegt wohl daran, dass der gesamte Wahlkampf eher eine Auseinandersetzung zwischen zwei Figuren ist, die die Gemüter erhitzen, und weniger eine Auseinandersetzung zwischen zwei Programmen. ... Was gerade in den USA passiert, kann man nur aus der dortigen Perspektive verstehen. Obamas Erbe begeistert niemanden, die Rassenkonflikte sind stärker geworden, die Minderheiten tendieren zur Enthaltung in einem System, in dem sie sich ausgegrenzt fühlen. Und die Debatte dreht sich nur darum, welcher der beiden Kandidaten das geringere Übel ist.“
Populismus hat rassistische Basis
Barack Obamas Nachfolger übernimmt eine zerrüttete Gesellschaft, erklärt der Politologe Dominique Moïsi in Ouest France:
„Die Populismuswelle, die die USA überrollt, hat eine rassistische Basis. … Zu Zeiten Ronald Reagans zwischen 1980 und 1988 hatte das weiße Amerika ein schwarzes Problem. 2016 hat das multikulturelle Amerika ein weißes Problem. Ich spreche dabei natürlich nicht vom Rassismus gegenüber Weißen, wie es einige Polemiker in Frankreich tun können. Nein, es geht um den immer freier geäußerten Rassismus kleiner Weißer gegenüber 'Anderen': Schwarzen, Latinos, Homosexuellen… Sollte Hillary Clinton US-Präsidentin werden, erbt sie ein 'kaputtes' Land, das sie 'reparieren' muss. Wird sie dies schaffen? Das ist die große Frage.“
Entscheiden Skandale die Wahl?
In diesem Wahlkampf überschatteten häufig Skandale die politische Debatte und sie könnten tatsächlich den Wahlausgang entscheiden, fürchtet Savon Sanomat:
„Es bleibt der Eindruck, dass für die Einser-Schülerin und den Störenfried nicht dieselben Regeln gelten. Clinton leidet unter den Sex-Mails des Ex-Mannes ihrer Assistentin, während gleichzeitig ein Dutzend Frauen, darunter die ehemalige Miss Finnland, berichten, wie sie von Trump begrapscht wurden. Politik ist nicht immer fair. In einer perfekten Welt würden Sexskandale in den Bereich Reality-TV und anderer Trash-Unterhaltung gehören, aber bei US-Wahlen steht der Vergleich der Inhalte von Mülleimern an vorderster Stelle. Dies kann durchaus darüber entscheiden, wer Präsident des weltweit militärisch und wirtschaftlich führenden Landes wird.“
Über Haushalt und Handel kein Wort
Im US-Wahlkampf kommen entscheidende Wirtschaftsthemen kaum vor, bemerkt Corriere del Ticino sorgenvoll:
„Der öffentliche Haushalt wird so gut wie nicht angesprochen, während die US-Initiative für internationale Handelsabkommen nur am Rande und schwammig vorkommt. Es sind nicht nur zwei wichtige Punkte für die Amerikaner, sondern auch für die Welt, Europa - die Schweiz inbegriffen. ... Die Staatsverschuldung steigt derweil weiter und wird laut Schätzungen von Washington Ende des Jahres 105 Prozent des BIP betragen. Ein für die USA ungewöhnlicher und alarmierender Prozentsatz. Wie in vielen Ländern in Europa und der Welt, droht auch in den USA die Bürde der Verschuldung dem Wachstum Ressourcen zu entziehen. Wie haben die Kandidaten das Thema behandelt? Kaum und schlecht. ... Bleibt zu hoffen, dass wer auch immer zum Präsidenten gewählt wird, sich der wichtigen Wirtschaftsthemen mit mehr Umsicht annehmen wird.“
Demokraten diffamieren Trump erfolgreich
Durch die Ausschlachtung angeblicher Sex-Skandale von Trump ist es den Demokraten gelungen, den Kandidaten der Republikaner auch bei vielen Wählern des christlich-konservativen Lagers in ein schiefes Licht zu rücken, analysiert Magyar Idők:
„Obwohl die Vorwürfe gegen Trump kaum zu beweisen sind, ist das Timing aus wahltaktischen Gründen nachvollziehbar. Warum gehen Trumps angebliche Opfer gerade jetzt an die Öffentlichkeit. Warum sind die sexuellen Belästigungen in all den Jahren nicht publik geworden? Steht nicht das Motiv dahinter, Trump so kurz vor der Wahl zu verunglimpfen und anzuschwärzen? Genau! Ziel der Demokraten ist es, die gläubigen, rechtsorientierten Wählerschichten des amerikanischen Mittelstands zu verunsichern, die ansonsten mit den Republikanern sympathisieren. Staaten, die bisher republikanisch waren, sind nun plötzlich Wackelstaaten, darunter Utah, wo viele konservativ gesinnte Mormonen leben, Arizona, North-Carolina, Ohio und Florida.“
Brutaler Wahlkampf hinterlässt Spuren
Die US-Regierung wirft Moskau vor, die Präsidentschaftswahl durch Hacker-Angriffe beeinflussen zu wollen. Libération erklärt das Kalkül Russlands:
„Das unmoralische Ziel Moskaus besteht weniger darin, Donald Trump zum Sieg zu verhelfen, als vielmehr darin, die Scheinwerfer auf die wenig glänzenden Kulissen der amerikanischen Supermacht zu richten. Durch das Aufzeigen, dass die Praktiken der USA kaum sauberer sind als die russischen, könnte sich das Misstrauen der US-Wähler in ihre Institutionen vergrößern. So weit sind wir jedoch noch nicht: Alles deutet darauf hin, dass die Wähler zahlreicher als sonst an die Urnen gehen werden. Es handelt sich allerdings nicht um eine Stimme des Zuspruchs, sondern eher um einen Ausdruck der Ablehnung des anderen Lagers. Dementsprechend sollte man in einer Woche nicht nur das Endergebnis betrachten. Man sollte auch die Spuren bewerten, die dieser brutale Wahlkampf in der Gesellschaft hinterlassen hat.“
Trumps Niederlage könnte Unruhen auslösen
Trump wird mit großer Wahrscheinlichkeit die Wahl verlieren und trotzdem eine Gefahr bleiben, warnt Jutarnji list:
„Trumps Drohung, das Wahlergebnis womöglich nicht anzuerkennen, stellt die Legitimität des demokratischen Systems in Frage. Darüber hinaus würde es Hillary Clintons Administration untergraben, so sie denn Präsidentin wird. Es könnte sogar zu Gewaltausbrüchen kommen, wenn Trumps Anhänger entsprechend dessen Drohungen auf Minderheiten und staatliche Institutionen losgehen. ... In Trumps Kampagne gibt es keinen Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge. Jede Anschuldigung ist ihm recht und billig, um die Gegnerin zu diskreditieren sowie die Hysterie und die Wut der Massen anzustacheln. Und wenn ihm seine Anhänger wirklich folgen und die Präsidentschaft von Hillary Clinton nicht anerkennen, könnten die USA in jahrelangen Unruhen versinken.“
Elitäre Linke bahnt Trump den Weg
Zum Aufstieg von Trump und seinesgleichen haben auch seine erbitterten Gegner auf der linken politischen Flanke beigetragen, gibt Aftonbladet zu bedenken:
„Die Linke hat Donald Trump nicht erschaffen, aber der Populismus wächst, wenn linke Bewegungen zu einem Projekt der Elite werden, das weder Arbeiter noch Arbeitslose repräsentiert. Wenn Gruppen nicht in Austausch treten und Kompromisse eingehen müssen. Und Populismus wächst auch, wenn man nicht versucht, die Lebensbedingungen zu ändern, die zumindest teilweise die Gesinnung der Menschen prägen, sondern stattdessen entweder große Gruppen gänzlich aufgibt oder versucht, sie mit einer schärferen Rhetorik zu locken. ... In parallelen Wirklichkeiten können Ängste und Lügen ohne Widerstand gedeihen und bleibt Politik ein Projekt für eine äußerst kleine Gruppe.“
Clinton erbt Trumps Agenda
Zwar deuten Meinungsumfragen derzeit auf einen Sieg von Hillary Clinton hin. Doch das Phänomen Trump würde sie damit längst nicht los, ist Berlingske überzeugt:
„Was geschieht, wenn Trump verliert? ... Eines wird für Präsidentin Clinton höchste Priorität haben: Trumps Wähler sehr ernst zu nehmen. Sie haben ihren Job und ihre Selbstachtung verloren - und sie erwarten von ihrem künftigen Präsidenten eine Reihe von Reformen. Reformen für Entwicklung, für Ausbildung und nicht zuletzt für Jobs. ... Clinton erbt von Trump eine Tagesordnung, die es ohne ihn nicht gegeben hätte. Auf diese Weise zieht Trump also im Januar 2017 mit ins Weiße Haus ein. Wenn auch nicht physisch, so doch mit seinem Geist. Denn die USA können es sich nicht leisten, Millionen arbeitsfähiger Menschen ohne Job und Würde zurückzulassen.“
Polarisierung ist mit der Wahl nicht beendet
Um die Wahl zwischen Clinton und Trump sind die US-Wähler nicht zu beneiden, erklärt Mladá fronta dnes:
„Nur wenige werden ihren Favoriten wählen, die meisten eher das geringere Übel. Für die Ernüchterung über das Angebot der Demokraten und Republikaner spricht auch die Unterstützung anderer Kandidaten. 2012 vereinten Obama und Romney mehr als 98 Prozent aller Stimmen auf sich. Vier Jahre früher bei Obama und McCain waren es noch mehr. Clinton und Trump können zusammen höchstens mit 85 Prozent rechnen. Das zeugt davon, dass sich viele Wähler nicht einmal für das geringere Übel von beiden erwärmen können. ... Das Land ist polarisiert, es fehlt die Mitte, die beiden Blöcke entfernen sich immer weiter voneinander. Und die Polarisierung wird nach der Wahl nicht aufhören. Es wäre also falsch zu jubeln, dass Amerika mit einem Sieg Clintons gerettet wäre.“
Kampf geht nach den Wahlen weiter
Noch in keinster Weise entschieden ist der Präsidentschaftswahlkampf für Postimees:
„Das Endergebnis des 8. November steht in den Sternen. Und selbst dieses könnte nicht die endgültige Klarheit schaffen. Man spricht schon davon, dass der Präsident seines Amtes enthoben werden könnte, falls es dafür eine Zweidrittel-Mehrheit im Senat oder eine einfache Mehrheit im Repräsentantenhaus gäbe. Es ist kein Geheimnis, dass der Narzisst Trump sowohl von Demokraten als auch von führenden Republikanern verabscheut wird. Und es ist noch zu früh, vorauszusagen, wie sich die Skandale um Clinton weiterentwickeln. Falls Trump nach der Wahl als Trump weitermacht, ist es durchaus möglich, dass da noch Einiges kommt.“