Deutscher Journalist Yücel in der Türkei in Haft
Als Reaktion auf die Haft von Deniz Yücel, Türkei-Korrespondent der Welt, fordern mehrere deutsche Politiker ein Einreiseverbot für Erdoğan, der in Deutschland für sein Referendum werben will. Dem 43-jährigen Reporter wird Propaganda für eine terroristische Vereinigung vorgeworfen. Was sind Ankaras Motive und wie sollte Berlin sich nun verhalten?
Erdoğan setzt Berlin gezielt unter Druck
Mit der Verhaftung von Deniz Yücel will Erdoğan Deutschland provozieren, glaubt die Neue Zürcher Zeitung:
„Sei es der anhaltende Zorn über die Armenier-Resolution im Bundestag, seien es die Asylanträge türkischer Diplomaten nach dem Putschversuch im Sommer oder die jüngsten Spionagevorwürfe gegen den türkischen Islam-Verband Ditib: Von einer 'vertrauensvollen Partnerschaft', wie sie vor einem Jahr mit den deutsch-türkischen Regierungskonsultationen entstehen sollte, kann heute wohl kaum die Rede sein. ... Es liegt auf der Hand, dass Erdoğan vor diesem Hintergrund nach Gelegenheiten sucht, um Berlin unter Druck zu setzen. Mit dem Flüchtlingspakt zwischen der Türkei und der EU, den er immer wieder platzen zu lassen droht, hat er dies hinlänglich zur Schau gestellt. Auch über die Freilassung Yücels liesse sich verhandeln - etwa während des von Erdoğan angekündigten Deutschlandbesuchs, bei dem er vor Landsleuten für seine Verfassungsänderung werben will.“
Yücel ist Ankaras Geisel
Von einem Erpressungsversuch Erdoğans spricht ähnlich Avgi - und glaubt, dass dieser sich verkalkuliert hat:
„Die Festnahme von Yücel war nicht nur ein weiterer Versuch, der Presse in der Türkei einen Maulkorb zu verpassen, was mittlerweile täglich passiert. Sie war auch ein direkter Angriff gegen Berlin. Erdoğan will Yücel wahrscheinlich als Geisel benutzen, damit ihm erlaubt wird, seine Kampagne für das Referendum offiziell in der großen türkischen Gemeinde Deutschlands abzuhalten. Doch auch Deutschland befindet sich im Wahlkampf, weshalb ein Nachgeben gegenüber dem türkischen Präsidenten sehr schmerzhaft wäre. Erdoğan wiederum braucht nicht nur das Ja im Referendum, sondern auch die deutsche Unterstützung für die angeschlagene Wirtschaft seines Landes. Doch man wird Erdoğan diese Entführung nicht verzeihen, selbst wenn der Fall ein glückliches Ende nehmen wird.“
Deutschland muss klare Kante zeigen
Dass Deniz Yücel kein Einzelfall ist, hebt der Prager Hörfunk Český rozhlas hervor:
„Seit dem angeblichen Putsch in der Türkei sind 170 Presseerzeugnisse eingestellt und 162 Journalisten inhaftiert worden. Zu denen gehört Welt-Redakteur Deniz Yücel. ... Es existiert mit Cumhuriyet nur noch eine unabhängige Zeitung, die sich gegen immer neue Angriffe wehren muss. Der Chefredakteur und zehn seiner Redakteure wurden über 100 Tage in Haft gehalten. Ergebnisse der fortgesetzten Repressionen in der Türkei. ... In den kommenden Tagen will Präsident Erdoğan nach Deutschland reisen und dort mit einem öffentlichen Auftritt für sein Referendum werben. 77 Prozent der Deutschen wünschen das laut einer Umfrage vom Wochenende nicht. Einen offiziellen Standpunkt der Regierung dazu gibt es bislang nicht. Grünen-Chef Cem Özdemir sagt dagegen klar, was er davon hält: Erdoğan würde mit seinem Auftritt die deutsche Demokratie missbrauchen.“
Merkel darf sich nicht auf Wortgefecht einlassen
Ernsthaft besorgt um die deutsch-türkischen Beziehungen zeigt sich das Handelsblatt und fordert deshalb von Berlin, schnell wieder den Dialog mit Ankara zu suchen:
„Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat sich zur Inhaftierung Yücels bislang noch nicht geäußert; Kanzlerin Merkel wiederum ungewöhnlich scharf. … Die Diplomatie scheint vom Parkett verschwunden, Erdoğan hat die Kanzlerin stattdessen da, wo er sie haben will: beim Wortgefecht. Wenn sie sich weiter darauf einlässt, werden die Beziehungen der Türkei zu Deutschland und Europa erheblichen Schaden nehmen. Die Gefahr, dass das Nato-Mitglied Türkei sich umorientiert, ist ohnehin groß. Merkel ist im Wahlkampf, sie hatte keine Wahl, als die Inhaftierung zu verurteilen. Doch sie muss schnell wieder zum Dialog übergehen - auch wenn es schwerfällt.“