Warum wollen Ankara und Moskau den Rüstungsdeal?
Die Türkei und Russland haben offenbar einen milliardenschweren Rüstungsdeal geschlossen. Ankara kauft das russische Raketenabwehrsystem vom Typ S-400, eine Anzahlung ist laut Erdoğan schon erfolgt. Zuvor hatte die Türkei den Kauf eines chinesischen Systems angestrebt, doch dieses Geschäft kam nicht zustande. Journalisten diskutieren, was der Rüstungsdeal für Russland und für die Nato-Partner der Türkei bedeutet.
Putin siegt auf ganzer Linie
Das Rüstungsgeschäft ist ein mehrfacher Sieg für Russland, kommentiert Politikexperte Valentin Naumescu auf dem Blogportal Contributors:
„Der Sieg hat Symbolkraft gegenüber einem Amerika, das offenbar nur noch von Mitteleuropa geliebt wird. Es ist auch ein politischer Sieg, weil Russland einen regional wichtigen Alliierten gewinnt. Schließlich ist es ein strategischer Sieg. Man muss nicht Militärexperte sein, um zu erkennen, dass solche intelligenten Systeme mit starkem Radar die Nato anfällig machen. Die Kompatibilität mit den westlichen Systemen ist nicht garantiert. Und es ist sogar möglich, dass diese 'komplexe Ausrüstung', wie sie Russland nennt, zur Cyberspionage genutzt werden kann, sobald sie im Nato-Raum installiert ist.“
Türkei musste sich neue Partner suchen
Mit populistischer Politik und dem Stopp von Waffengeschäften drängt der Westen die Türkei immer weiter Richtung Osten, warnt die regierungsnahe Tageszeitung Daily Sabah:
„Solch starke Partner der USA und der Nato wie Deutschland sollten verstehen, dass die Türkei angesichts der Drohungen einen alternativen Weg suchen musste und dabei berücksichtigte, dass kein souveräner Staat auf Erden gegen seine eigene Existenz gerichtet handeln kann. Aus diesem Grund sollten sie die populistische Politik der Einschüchterung, die sie mit lahmen Ausreden stützen, aufgeben, und aufhören, die Türkei weiter Richtung Osten zu drängen. ... Das einzige, was sie tun müssen, ist vernünftiger zu sein und das Minimum an Anforderungen für Beziehungen unter Gleichen zu erfüllen. So könnte der S-400-Deal ein Neuanfang sein und nicht das Ende der Beziehungen der Türkei mit der Nato und dem Westen.“
Türkei macht ernst mit riskanter Weichenstellung
Für Habertürk verfolgt Ankara in Sachen Verteidigungspolitik eine ganz klare Linie:
„China und Russland. Was sagt Ihnen das? Es liegt auf der Hand, was es bedeutet, wenn man Raketenabwehrsysteme von zwei Staaten kauft, die nicht zur Nato und zum westlichen System gehören. Die Türkei scheint davon auszugehen, dass eine Bedrohung ihres Luftraums nicht aus dem Osten, sondern aus dem Westen kommen wird. … Es ist von Vorteil, den Kauf des Raketenabwehrsystems auf diese Weise zu deuten. Es sieht so aus, als sei es der Türkei sehr ernst mit ihren Weichenstellungen. Doch es wäre nützlich, sich von Profi-Maschinisten über die Risiken von Weichenstellungen bei schnell fahrenden Zügen beraten zu lassen.“
Rache für Kurdenpolitik des Westens
La Stampa spricht von einer schallenden Ohrfeige für die Nato, mit der Ankara die Kurdenpolitik des Westens zu rächen versucht:
„Die Entscheidung Erdoğans scheint weniger militärisch-technische denn politische Gründe zu haben. Der gescheiterte Putsch vom 15. Juli 2016 hat den Seitenwechsel der Türkei beschleunigt. Das Regime hat die Demokratie und die Bürgerrechte ausgehöhlt. … Die EU-Beitrittsverhandlungen sind ins Stocken geraten. Doch vor allem will die Türkei die Unterstützung rächen, die der Westen den Kurden zukommen lässt. In zwölf Tagen wird im Nordirak ein unabhängiges Kurdistan entstehen. Und was noch schlimmer ist: Unter der Flagge der PYD, die eine Schwesterpartei der PKK ist und den inhaftierten Abdullah Öcalan weiter als ihren Führer ansieht, droht sich auch in Syrien ein Kurdenstaat zu bilden.“