Kurze Feuerpause für Ost-Ghuta
In Ost-Ghuta gilt heute und in den nächsten Tagen zwischen 9.00 und 14.00 Uhr Ortszeit die von Russland initiierte Waffenruhe. So sollen Hilfslieferungen ermöglicht und Korridore geöffnet werden, durch die Zivilisten das Gebiet verlassen können. Im nordsyrischen Afrin wird weiter gekämpft. Ein längerer Waffenstillstand, wie ihn die UN-Resolution vom Samstag fordert, ist laut Medien nicht in Sicht.
Ein zweites Aleppo?
Die Tageszeitung Al-Arabi Al-Jadid fühlt sich an 2016 erinnert, als russische Truppen mithilfe iranischer Milizen Aleppo einnahmen, und erläutert die Hintergründe der Angriffe:
„Nachdem sie sich mit den Kurden verbündet haben, kontrollieren die Amerikaner Al Dschasira [Nordmesopotamien], die erdölreiche und fruchtbare Region im Osten. Es tobt ein Kampf um Einflusssphären. ... Und obwohl Iran und Russland Verbündete sind, konkurrieren auch sie um einige Gebiete, wie etwa die Küstenregion mit ihren Militärstützpunkten, die Grenzgebiete zu Israel und Ost-Ghuta. Zivile Opfer spielen dabei keine Rolle. ... Eine rasche internationale Initiative ist notwendig, um den Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Russland in Ost-Ghuta verübt, Einhalt zu bieten. Sonst erleben wir hier das Gleiche wie in Aleppo.“
Waffenstillstand entspricht nicht der Kriegslogik
Warum es keinen dauerhaften Waffenstillstand geben wird, erläutert Kommersant:
„Will Assad das Land stabilisieren und einen, kann er nicht neben dem Regierungsviertel Tausende äußerst radikale Kämpfer dulden. ... Nach der Logik des Krieges muss die Oppositionsenklave vor den Toren von Damaskus liquidiert werden. Im optimistischsten Szenario geschieht dies friedlich: Die Verteidiger von Ost-Ghuta werden mit ihren Familien in die Provinz Idlib gebracht, so wie schon öfter bei kleineren Enklaven geschehen. ... Bisher lehnt die Garnison von Ost-Ghuta dies ab. Ihre Enklave ist faktisch das letzte Symbol des Widerstands gegenüber dem 'diktatorischen Regime'. Und ein Mittel, die Weltöffentlichkeit und den emotionalen US-Präsidenten gegen Damaskus zu mobilisieren, indem man das Augenmerk auf die zivilen Opfer lenkt.“
Resolution der Unklarheiten
Wie sich die Syrien-Resolution des UN-Sicherheitsrats auswirken wird, ist für die Tageszeitung Der Standard noch völlig unklar:
„Russland hat aus dem Resolutionstext Formulierungen herausreklamiert, die den genauen Zeitpunkt für den Eintritt einer Feuerpause festgelegt hätten. Und die Einschränkung, dass Terroristen weiterbekämpft werden dürfen, bleibt weiterhin aufrecht. Die internationale Gemeinschaft ist sich darin einig, dass der IS und Al-Kaida-nahe Gruppen von Waffenruhe-Arrangements ausgenommen sein sollen. Das klingt einfach. Aber auch in Ost-Ghouta ist die Kämpferszene unübersichtlich - und das Argument, dass 'Rebellen' mit 'Terroristen' kooperieren, haben Assad und sein Regime immer an der Hand. Aber die Rebellen sollten ebenso genau beobachtet werden, ob sie alles zulassen, was Zivilisten rettet: auch den Abzug jener, die das Rebellengebiet verlassen wollen.“
USA wollen nur Zeit schinden
Die USA besetzen zusammen mit den syrischen Kurden die wichtigsten Erdöl- und Erdgasfelder östlich des Euphrat. Mit dem Waffenstillstand wollen sie verhindern, dass Assad und die Russen sie von dort vertreiben, meint die Internetzeitung T24:
„Immer wenn es für Washington schlecht läuft, wenn es nötig scheint, bestimmte Gruppen von einem Ort zum anderen zu bringen oder unter einem anderen Dach zu versammeln und gegeneinander kämpfen zu lassen, immer wenn ein Ausbildungs- oder Aufrüstungsprogramm notwendig scheint, ruft Washington: 'Waffenstillstand!', 'Humanitäre Hilfe!', 'Verhandlungen!'. Damit bringt es die Kämpfe zum Stillstand, sorgt für eine Pause und versucht, Zeit für seine Stellvertreter zu gewinnen. Selbst die Genfer Friedensgespräche hatten im Syrienkrieg bis heute vor allem diese Funktion. Der UN-Aufruf zu einem Waffenstillstand in Ost-Ghuta ist Teil einer solchen Rechnung.“
Terroristen in Ost-Ghuta will man nicht wahrhaben
Die Attacken auf Ost-Ghuta haben eine Vorgeschichte, die der Westen ignoriert, schreibt Izvestia:
„In Ost-Ghuta war als Resultat der Vereinbarungen Russlands, des Irans und der Türkei eine von vier Deeskalationszonen eingerichtet worden. Das heißt, dort hätten die Kampfhandlungen komplett eingestellt werden sollen. Das ist aber nicht passiert. In dieser Gegend haben sich neben Gruppen der bewaffneten Opposition auch die Terroristen der Al-Nusra-Front verschanzt. Ungeachtet der erklärten Waffenruhe haben diese Kämpfer weiterhin die syrische Hauptstadt terrorisiert: Verschiedene Stadtteile von Damaskus lagen unter Granatbeschuss, auch jener, wo die russische Botschaft ist. Wegen der Terroristen mussten ständig Menschen sterben. All das wollte man im Westen nicht zur Kenntnis nehmen und zog es vor, den Syrern Kriegsverbrechen vorzuwerfen.“
USA müssen Regime akzeptieren
Für den US-Ökonom Jeffrey D. Sachs gibt es in Krytyka Polityczna nur eine Strategie, um den Syrienkrieg zu beenden:
„Die USA und ihre Verbündeten sollten der Realität ins Auge sehen und den Fortbestand des Assad-Regimes akzeptieren ... Der UN-Sicherheitsrat sollte mit Unterstützung der USA, Russlands und der anderen Großmächte UN-Friedenstruppen einsetzen, um die Souveränität Syriens und die dringend benötigte Versorgung der Bevölkerung wiederherzustellen, sowie Versuche des Assad-Regimes verhindern, Vergeltung an ehemaligen Rebellen oder ihren Anhängern aus der Bevölkerung zu üben. Ja, das Assad-Regime würde an der Macht bleiben und Iran und Russland würden ihren Einfluss in Syrien aufrechterhalten. Aber die Täuschung seitens der US-Regierung hätte ein Ende, Amerika könne bestimmen, was in Syrien geschieht, indem es entscheidet, wer das Land mit welchen Verbündeten regiert.“
Assad an den Verhandlungstisch zerren
Um die Angriffe zu beenden, bleibt der Diplomatie wohl nichts anderes übrig, als mit Assad zu reden, glaubt das Handelsblatt:
„Assad ist für eines der größten Kriegsverbrechen der vergangenen Jahrzehnte verantwortlich. Mehr als 400.000 Tote gehen auf sein Konto. ... Trotzdem - oder gerade deswegen - muss Assad an den Verhandlungstisch gezerrt werden. Das Angebot muss lauten: ein geordneter politischer Übergang mit einer neuen Verfassung und Wahlen in Syrien. Die unabdingbare Forderung: ein Ende der Gewalt, die Akzeptanz eines vollständigen Waffenstillstands und Hilfe für die leidende Bevölkerung. Ein Massaker kann durch Diplomatie beendet werden. Ganz sicher wird es aber nicht unterbunden, wenn bloß Hilfsgüter an die geschickt werden, die dann später massakriert werden.“
Syriens Luftwaffe wäre leicht auszuschalten
Es wäre für den Westen militärisch und politisch kein Problem, die Flugzeuge und Hubschrauber des syrischen Regimes zu zerstören, die so viel Leid in Ost-Ghuta verursachen, meint The Daily Telegraph:
„Wenn die Welt, die im Moment nur zuschaut, wirklich wollte, könnte Assads gesamte Luftwaffe innerhalb nur weniger Tage vernichtet werden. Die USA wären dazu in der Lage, genauso Israel, Frankreich, Großbritannien und andere Staaten, die in Syrien operieren. Das Assad-Regime könnte das nicht verhindern, und seine Verbündeten hätten keine andere Wahl, als es zuzulassen. Nur wenn es dazu kommt, kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass keine Bomben mehr auf die Zivilisten in Ost-Ghuta fallen.“
Mit einem Jahrhundert-Mörder redet man nicht
Die regierungstreue Yeni Akit ärgert sich über die Forderung einiger Kreise in der Türkei, dass die türkische Regierung sich mit Assad verständigen soll:
„Unser Präsident Erdoğan hat im Namen unserer Nation und unseres Staats zu Recht gesagt hat, dass Assad der Mörder dieses Jahrhunderts ist. ... Was sollten unser Präsident oder sonstige Staatsbedienstete schon mit jemanden, der in den Augen der gesamten Menschheit ein Mörder ist, im Sinne unseres Staats und unserer Nation zu besprechen haben? Alle, die Gespräche mit Assad befürworten, haben ihre patriotischen Gefühle gegenüber unserem Staat und unserer Nation verloren, sie leben auf dem Höhepunkt der Unbesonnenheit und sehen deshalb nicht, wie die Mehrheit ihrer eigenen Gesellschaft den Syrien-Konflikt bewertet.“
Westliche Kriegsberichte sind lügnerisch
Über die ihrer Meinung nach einseitige Berichterstattung westlicher Medien empört sich die Tageszeitung Právo:
„Syrische und russische Bombardements löschen angeblich in Ost-Ghuta ganze Familien aus, ihre Ziele seien Wohngebäude und Kliniken, Opfer stets ausschließlich Zivilisten. Als gäbe es in den Regionen nicht Tausende Aufständische, islamistische, dschihadistische oder direkt terroristische Gruppen. ... Die Berichte erinnern an jene wenig objektiven aus Aleppo. Auch jetzt verbreitet der Westen wieder kritiklos Nachrichten, Fotos und Videos von Plätzen, an denen es keine unabhängigen Reporter gibt, die diese Berichte überprüfen könnten. Wer derlei halbwahre Informationen sieht, die als die 'Wahrheit' ausgegeben werden, muss sich nicht wundern, dass sich die Leute zunehmend nach Fake news umschauen.“