Kommt mit der GroKo ein verändertes Europa?
„Ein neuer Aufbruch für Europa“ steht über dem Koalitionsvertrag und die ersten Auslandsreisen der deutschen Kanzlerin und ihres Außenministers nach ihrer Vereidigung gehen in diesen Tagen nach Frankreich, wo sie über Macrons EU-Reformvorschläge sprechen wollen. Trotzdem bleiben die Hoffnungen der Journalisten gedämpft.
Schaden an EU wiedergutmachen
Zumindest auf europäischer Ebene muss Angela Merkel nun Impulse setzen, drängt Le Figaro:
„Sie ist vorsichtig, setzt auf die Einhaltung von Regeln und geht die Dinge langsam an, um ihren allzu emsigen Partnern den Wind aus den Segeln zu nehmen. ... Dabei hätte Angela Merkel jeden Grund, proaktiv zu sein. Als Koalitionschefin hat sie sich zwar auch ohne echte Vision bewährt. Europa hingegen könnte sie wahrlich prägen. Auch sollte sie den Schaden, den sie der EU - wenn auch nicht willentlich - zugefügt hat, wiedergutmachen. Ihre gefährliche Zuwanderungspolitik hat populistische und euroskeptische Kräfte auf dem gesamten Kontinent gestärkt. In Italien hat sich gezeigt, dass diese Kräfte offensiver sind denn je. Ein stagnierendes Europa wäre ihren Angriffen noch stärker ausgesetzt.“
Vor allem Merkel muss liefern
Wenig zuversichtlich, dass aus den EU-Reformen jetzt tatsächlich schnell etwas wird, zeigt sich die Frankfurter Rundschau:
„Gewiss, aus dem Koalitionsvertrag lässt sich herauslesen, dass aus der Eurozone eine unauflösliche Schicksalsgemeinschaft werden soll, deren Mitglieder finanziell füreinander einstehen. An Macrons Credo erinnert das. Aber noch ist das Wortgeklingel jenem ähnlich, wonach Deutschland und Frankreich ihre Unternehmenssteuern angleichen wollen. Seit sieben Jahren wollen sie das nun schon. Am Freitag wird die Kanzlerin zum Antrittsbesuch in Paris erwartet. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass die von Populisten bedrängten EU-Partner den Schulterschluss praktizieren, guten Reformwillen bekunden werden. Aber demonstratives Miteinander reicht nicht. Die beiden müssen liefern. Vor allem Merkel muss es.“
Von Dynamik keine Spur
Für Cicero lässt die uninspirierte Präsentation des Koalitionsvertrags nichts Gutes erwarten:
„Wo ... das Neue, das Frische, das Packende herkommen soll in dieser dritten Merkel-GroKo, das weiß man nach diesem Auftritt bei wohlwollendster Betrachtung nicht zu beantworten. Eher spielen die Rolling Stones bei ihren beiden Auftritten demnächst in Deutschland unerwartet eine Punknummer, bevor diese dritte Auflage einer traurigen Dauereinrichtung namens Große Koalition Deutschland so erfrischt wachrüttelt wie ein Emmanuel Macron Frankreich oder ein Sebastian Kurz Österreich. Ein bisschen wirkte Merkel wie Miss Sophie im Dinner for One. Nur, dass sie nicht alleine am Tisch saß.“
Auch innenpolitisch nicht alles eitel Sonnenschein
Nicht nur außenpolitisch steht Merkel vor Herausforderungen, prophezeit Corriere del Ticino:
„Auch im reichen Deutschland sind Enklaven der Armut entstanden und die Unterschiede der Lebensbedingungen zwischen den östlichen und den westlichen Bundesländern bestehen zum Teil weiterhin. Zudem ist die Integration der wachsenden muslimischen Bevölkerung nicht immer von Erfolg gekrönt. Zu der Bedrohung durch den islamischen Fundamentalismus kommt nun die Gefahr von Spannungen zwischen Vertretern der kurdischen Gemeinde und der türkischen Bevölkerungsgruppe in Deutschland. Ankara hat dieser Tage die Bundesregierung zum Handeln aufgefordert, nachdem in Berlin Brandanschläge auf zwei Moscheen und das Büro eines Türkisch-Deutschen Freundschaftsvereins verübt wurden und es auch im Süden Deutschlands Anschläge gab, für die das türkische Regime kurdische Extremisten verantwortlich macht.“