Mazedonien: Feierliches Ende eines Namensstreits?
Mit einer Zeremonie im Grenzort Prespes haben Athen und Skopje am Sonntag ihre Einigung im Namensstreit besiegelt. Beide Nachbarstaaten unterzeichneten eine Vereinbarung, die eine Umbenennung der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien (Fyrom) in Nord-Mazedonien vorsieht - und über die Parlamente und mazedonische Wähler noch entscheiden werden. Die Presse nicht nur in der Region ist aufgewühlt.
Eine psychologische Hürde überwunden
Daily Sabah hofft, dass sich auch andere Länder ein Beispiel an dieser Einigung nehmen werden:
„Ländernamen haben immer eine historische und symbolische Bedeutung. Mazedonien wird aufgrund dieser Namensänderung nicht plötzlich seine Identität ändern. Jedoch ist dies ein Schritt in Richtung künftiger politischer Veränderungen. ... Die Tatsache, dass die beiden Nachbarn zu einer Übereinkunft gekommen sind, sollte gefeiert werden. Insbesondere wenn man weiß, dass die eigentlichen Hürden nicht die Namen oder die physischen Grenzen sind, sondern die psychologischen Hindernisse. Hoffen wir, dass es mehr Beispiele wie diese geben wird und dass Staaten es hinbekommen, ihre Differenzen durch Einigung und nicht durch bewaffnete Konflikte zu lösen.“
Endlich ein mutiger Politiker
Alitheia ist voll des Lobes für den Beitrag des griechischen Premiers Tsipras zur Einigung im Namensstreit:
„Er hat bewiesen, dass er nicht mehr der kleine Alexis ist, so wie manche ihn noch immer verspotten. Sondern, dass er innerhalb von drei Jahren beeindruckend politisch gereift ist. Und dass er das Zeug hat, das ein großer Führer braucht, dass er an sich selbst, seine Visionen und seine Prinzipen glaubt. Diesen Mut, die Geduld, die Ausdauer, den Realismus, die Entschlossenheit und die bewusste Entscheidung, eine Vereinbarung zu unterzeichnen, die letztlich sein politisches Ende bedeuten kann, sieht man nicht oft bei Politikern. Der kleine Alexis zeigt in diesen Tagen, dass er nun groß geworden ist - und wie große und echte Führer sich verhalten sollten.“
Mazedonier sollen wieder Bulgaren werden
Der Name des Landstrichs auf dem Balkan ist für Historiker Boschidar Dimitrow in Standart das geringste Problem:
„Bulgariens strategische Position gegenüber Mazedonien müsste sein, dass dort Bulgaren leben. ... Im Moment bezeichnen sich zehn Prozent der Bevölkerung [in Mazedonien, die bei rund zwei Millionen liegt,] als Bulgaren. Sie haben bulgarische Pässe. Mit den entsprechenden Gesetzesänderungen können wir innerhalb von zwei Jahren daraus eine Million machen. Wie der Staat heißt, interessiert mich überhaupt nicht. Es interessiert mich, wann 1,2 Millionen Menschen im Staat Mazedonien sich als Bulgaren bezeichnen werden, wann also der Prozess der Rebulgarisierung einsetzen wird. ... Darauf kommt es uns an: Dass in Mazedonien Bulgaren leben. Ob sie das nun als Nord-Mazedonien, Illyrien oder Südwestbulgarien bezeichnen, ist mir schnurzegal.“
Neue Wege der Freundschaft
Hellauf begeistert von den Ereignissen in Prespes ist die regierungsnahe Tageszeitung Avgi:
„Um diesen entscheidenden historischen Schritt zu machen, brauchten beide Länder Regierungen, die bereit waren, den konstruierten ethnopatriotischen Erzählungen sowie der Verführung des schnellen politischen Profits zu trotzen. Deshalb dürfen wir die sehr starke Reaktion des nationalistischen Blocks in beiden Ländern nicht ignorieren. … Eine neue Ära begann gestern in Prespes. Es ist die Ära, in der der Begriff des Patriotismus nicht mehr mit den extremen Rechten, der Heimathetze, Nationalismus und Intoleranz in Verbindung gebracht wird. Patriotismus soll Brücken bauen, Wege der Freundschaft, der Stabilität und des Verständnisses öffnen. Das geschah gestern in Prespes.“
Dem Generationenwechsel sei Dank
Am Ende setzt sich der gesunde Menschenverstand durch, ist Schriftsteller Sergio Romano in Corriere della Sera erleichtert:
„Die Angelegenheit wäre nicht von großer Bedeutung, wäre Griechenland nicht Mitglied der EU und in der Lage, den Beitritt Mazedoniens in die größte europäische Organisation zu verhindern. Man umging bisher das Problem und benannte das Land mit fünf Worten: 'Ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien (Fyrom)'. ... Das Land hatte ein Recht auf einen ernsthafteren Namen. Dass es ihn nun erhalten hat, hat es erstens dem griechischen Premier Alexis Tsipras zu verdanken, der den gleichen gesunden Menschenverstand an den Tag legte, mit dem er die Euro-Frage behandelte. Zweitens dem Lauf der Geschichte. Die Demonstration auf dem Syntagma-Platz hat gezeigt, dass die alten Nationalisten zwar noch nicht verschwunden sind, aber die neuen Generationen haben andere Sorgen und Interessen.“
EVP muss Druck auf Skopje ausüben
Um dem Kompromiss im Namensstreit zwischen Griechenland und Mazedonien zum Durchbruch zu verhelfen, muss Druck aus dem Europaparlament kommen, fordert Der Standard:
„Was für die Verfassungsänderung noch fehlt, ist die Zustimmung der Oppositionspartei VMRO-DPMNE, die mit der Europäischen Volkspartei (EVP) verschwestert ist. Nur die EVP ist in der Lage, mit massivem Druck die VMRO zum Einlenken zu bringen - und sie muss das tun, wenn sie sich dem europäischen Geist verpflichtet fühlt, denn für Mazedonien geht es um eine Zukunft in EU und Nato. Zudem gibt es überhaupt keinen Grund, mit der VMRO sanft umzugehen, denn in ganz Europa gab es keine andere Partei, die bis 2015 den Staat derartig skrupellos unterlaufen hat wie die Nationalisten in Skopje.“
Bulgarien lässt Mazedonien einfach gewähren
Bulgarien hätte es den Mazedoniern und insbesondere den Makedonisten, die die Herkunft der mazedonischen Sprache, Kultur und Geschichte aus Bulgarien nicht anerkennen, nicht so leicht machen dürfen, kritisiert e-vestnik:
„[Mazedoniens Premier] Zaev hat zwar erklärt, dass Mazedonien keine territorialen Ansprüche an Bulgarien habe. Doch er beansprucht die Zugehörigkeit der Bulgaren aus der [südwestbulgarischen] Pirin-Region zur mazedonischen 'Nation' und er hat Ansprüche auf die Geschichte. Nicht nur Zaev, auch seine politischen Gegner sind alle Makedonisten und Nachfolger der Propaganda aus den Zeiten Jugoslawiens. Sie verfälschen die Geschichte und erklären wichtige Personen der bulgarischen Geschichte zu den Ihrigen. Und unsere Regierung drückt beide Augen zu.“
Athen setzt sich zu Unrecht durch
Einen bitteren Beigeschmack hat der Namenskompromiss für die Neue Zürcher Zeitung:
„Die griechische Zwängerei hat ihr Maximalziel zwar verfehlt, aber sie drängt dem Nachbarn dennoch einen Namen auf. Das Argument, von der kleinen und militärisch schwachen Republik Mazedonien gehe eine irredentistische Bedrohung der gleichnamigen griechischen Provinz aus, war immer schon lächerlich. … Auch das behauptete griechische Monopol auf die Geschichte des antiken Makedonierreiches ist historisch unhaltbar. Es gibt nirgends - auch nicht in Griechenland - eine direkte historische Verbindung aus der Antike in die Gegenwart. … Im Namensstreit ging es nie nur um den Namen. Die griechischen Nationalisten wird man mit dem Kompromiss nicht überzeugen - und die andern hätten auch mit der Nachbarsrepublik Mazedonien weiterleben können.“
Auch Griechen müssen abstimmen dürfen
Dass die griechische Regierung, anders als die der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien (Fyrom), kein Referendum über den Namen abhalten will, erstaunt den Kolumnisten Dimitris Konstantakopoulos in seinem Blog nicht:
„Wenn das Abkommen und seine Folgen, der EU- und Nato-Beitritt von Fyrom, so gut sind, wie die griechische Regierung behauptet, warum organisiert sie darüber nicht ein Referendum? ... Die Griechen sind doch nicht so dumm, die Argumente der Regierung nicht zu verstehen. ... Warum sollte man akzeptieren, dass Fyrom demokratischer als Griechenland ist? ... Die Außenpolitik der griechischen Regierung ist eine Umsetzung der Wünsche der USA und der Nato und hat nichts mit den nationalen Interessen des griechischen Volkes zu tun. Im Gegenteil, sie setzt dieses Volk ohne jede Gegenleistung sehr ernsthaften Risiken aus.“
Klassischer kultureller Genozid
Nach dem Abkommen mit Griechenland soll Mazedonien auf die im mazedonischen Grundgesetz festgelegte staatliche Fürsorge für die mazedonische Minderheit in Griechenland verzichten. Dagegen ruft Kurir zum Widerstand auf:
„Griechenland stellt ein klares Ultimatum an die mazedonische Regierung: sie soll aufhören, sich um die Rechte der mazedonischen Minderheit in Griechenland zu kümmern. ... Wir werden also zukünftig nicht mehr unsere Bildung und Kultur mit ihnen teilen können, weil wir ein anderes Volk sein werden! Das, meine lieben Mazedonier, ist ein klassischer kultureller Genozid, den Griechenland mitten im 21. Jahrhundert, der Ära der Menschenrechte, an uns vollzieht. Das dürfen wir auf gar keinen Fall zulassen.“
Namensänderung allein ist nicht riskant
Für einige Bulgaren ist der neue Name, der das Wort Mazedonien enthält, ebenso problematisch wie für einige Griechen, weil er territoriale Ansprüche an die gleichnamigen Regionen in den Nachbarländern nicht ausschließt. Dennoch bringt die Einigung Stabilität für die Region, freut sich Club Z:
„Der Nato-Beitritt Mazedoniens ist für Bulgarien von nationalem Interesse, weil er gemeinsam mit den EU-Beitrittsverhandlungen Schlüsselvoraussetzung für den inneren Frieden in der Republik und dementsprechend für den Frieden in der Balkanregion ist. Riskant für Bulgarien ist nicht der Name der Nachbarn, sondern die Tätigkeit der serbischen und russischen Geheimdienste dort, die antibulgarische Stimmungen verbreiten.“
Unsere Nation wird nicht mehr existieren
Die geplante Namensänderung ist verfassungswidrig, kritisiert Kurir:
„Sie verstößt sowohl gegen das internationale Recht, als auch gegen die Verfassung und die Gesetze Mazedoniens. Der Vertrag, den Zaev und Tsipras unterschreiben wollen, bestätigt, dass wir keine Mazedonier sind und unsere mazedonische Nation und Gesellschaft, in der wir geboren und aufgewachsen sind, nicht mehr existiert! Der Vertrag, der uns als einzig mögliche und unabwendbare Kompromisslösung verkauft wird, ändert dauerhaft den Namen unseres Staats, obwohl das internationale Recht deutlich vorschreibt, dass Streitigkeiten über Staatsnamen unzulässig sind und keinen Bestand haben.“
Mazedonier müssen erwachsen werden
Die Mazedonier sollten endlich lernen, loszulassen, findet hingegen Fokus:
„Wenn Kinder sich weigern, ihr Spielzeug mit anderen Kindern zu teilen, bekommen sie von ihren Eltern beigebracht, dass Teilen eine Grundvoraussetzung des Zusammenlebens und der Freundschaft ist. Wer nicht kompromissbereit ist, bleibt allein mit seinen Spielsachen. ... Es gibt keinen Zauberstab, der alle Probleme verschwinden lässt. Alle, die sagen 'Wir geben den Namen nicht her. Ohne ihn sind wir nichts und die Griechen sind böse', brauchen dringend eine Lektion in Sachen Erwachsenwerden.“
Nationalistische Rhetorik blieb ungehört
Politis freut sich über eine mögliche Lösung des Namenstreits und lobt den griechischen Außenminister Kotzias:
„Durch die Beendigung des Namenstreits wird dieses Land bald der EU und der Nato beitreten. In der Tat wird es durch die Umsetzung von EU-Recht ein Handelspartner Griechenlands und der EU und gleichzeitig ein militärischer Verbündeter. Durch die Akzeptanz eines komplexen Namens, der die Bezeichnung Mazedonien beinhaltet, garantiert Griechenland den Frieden, die wirtschaftliche und militärische Allianz an seinen nördlichen Grenzen, die Schaffung eines Freundes und die Beseitigung eines Feindes. ... Kotzias hat sich also als realistischer Politiker bewährt und seine Ohren zum mittel- und langfristigen Wohle Griechenlands vor einer zum Scheitern verurteilten nationalistischen Rhetorik verschlossen.“
Die kluge Strategie der EU
Die EU handelt im Namensstreit zwischen Athen und Skopje lösungsorientiert, lobt Dnevnik:
„Sie lockte Skopje rechtzeitig mit einer recht großen Karotte (die Aussicht auf Beitrittsverhandlungen) und erleichterte es so Premier Zaev, seine Bürger davon zu überzeugen, dass ein Kompromiss keine Niederlage ist. Zudem erkannte Brüssel, dass ansonsten statt der EU-Erweiterung in diesem Teil Europas sehr schnell eine Rückkehr der Türken und Russen in den Südwesten des Balkans geschehen kann und dass auch für Bosnien und Herzegowina, Serbien und Albanien schnelle Lösungen gebraucht werden.“
Athen sollte aus der irischen Geschichte lernen
Der Autor Richard Pine rät in Kathimerini, Nordirland als Blaupause für den künftigen Umgang Griechenlands mit Fyrom zu nehmen:
„Wenn ich den Satz höre 'Mazedonien ist griechisch!', denke ich an den Slogan, den Gegner der irischen Unabhängigkeit Anfang des 20. Jahrhunderts verwendeten: 'Ulster ist britisch'. ... Historisch war Ulster immer das Kerngebiet irischer Identität und Mythologie. ... Manche der heiligsten Orte irischer Identität sind immer noch Teil Großbritanniens. Das erregt vielleicht atavistische Erinnerungen bei vielen Griechen, die Philipp von Mazedonien und seinen imperialistischen Sohn Alexander als durch und durch griechisch betrachten. ... Wenn man sich die Lektionen aus der irischen Geschichte anschaut, kann man pragmatisch und visionär zugleich sein: Fyrom weiter den Namen Mazedonien zu verweigern ist absurd - genau so wie seit jeher umstrittene Forderungen, die auf Ethnizitäten oder Territorien beruhen.“