Deutschlands Asylstreit: Wer setzt sich durch?
Im Streit um die deutsche Asylpolitik ist bislang keine Einigung in Sicht. Innenminister Seehofer (CSU) will weiterhin durchsetzen, dass in einem anderen EU-Land registrierte Asylbewerber an der deutschen Grenze abgewiesen werden. Kanzlerin Merkel (CDU) plädiert für eine europäische Lösung. Kommentatoren diskutieren, welche Folgen ein Triumph Seehofers hätte und warum Merkel so schwach da steht.
Wasserwerfer versus Willkommenskultur
Würde sich Seehofer durchsetzen, hätte das Auswirkungen bis weit über Deutschlands Grenzen hinaus, erklärt Večernji list:
„Will Merkel einem Deutschland vorstehen, das mit Polizeigewalt und wenn nötig mit Schlagstöcken und Wasserwerfern die Flüchtlinge an seinen Grenzen abwehrt? Wie 2015 sagt sie, dass sie das nicht will. Das Problem ist nur, dass die CSU das will und dass ihr Vorsitzender mittlerweile Innenminister geworden ist. Er will seinen Plan, Migranten an der deutschen Grenze zurückzuweisen, durchsetzen, auch wenn Merkel dem nicht zustimmt. Es geht um eine ernste Krise, die Deutschland erschüttert. Für Länder an der EU-Außengrenze wie Kroatien würde dies bedeuten, dass mehr Asylsuchende im Land bleiben beziehungsweise zurückgeschickt werden. Das wäre einfach nur schlecht.“
Seehofer übt Schulterschluss mit Rom und Wien
Deutschlands Innenminister schlägt sich im Streit um die Asylpolitik auf die falsche Seite, findet Večer:
„Horst Seehofer stellt Angela Merkel, die 2015 und 2016 trotz neoliberaler Paradigmen der eigenen Regierung zu Empathie und Altruismus fähig war, Ultimaten, wie jenes, keinen einzigen neuen Flüchtling mehr nach Deutschland zu lassen. Er riskiert lieber den Zerfall der Regierungskoalition, die nur mühsam zu Stande gekommen ist. Er würde jeden Flüchtling abweisen, der schon in einem anderen EU-Land registriert wurde. Auf diese Weise würde die neue Koalition der Willigen zwischen Deutschland, Österreich und Italien beginnen, zu funktionieren. Doch sie wäre nicht gegen einen Herrscher aus dem Nahen Osten gerichtet, dem der Westen zur Macht verholfen hat, sondern gegen die Menschen, die vor ihm flüchten müssen.“
Innenminister interessiert nur Bayern
Dass Seehofer selbst viel zu wenig tut, um mit seinen Amtskollegen eine europäische Lösung in der Asylpolitik voranzubringen, kritisiert das Handelsblatt:
„Hat er dazu nicht schon Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz getroffen und gemeinsam mit Italien über eine Regelung gesprochen? Tagt nicht das bayerische Kabinett an diesem Mittwoch mit der Wiener Regierungsmannschaft? Warum da nicht Lösungen finden? Seehofer könnte mit den Griechen reden, mit den Spaniern und den Bulgaren. Er könnte helfen, endlich jene europäische Lösung zu finden, die Merkel sich wünscht. Seehofer aber regiert als CSU-Chef in Berlin. Als 'schwarzer Sheriff' will er die bayerischen Außengrenzen schützen - gegen Flüchtlinge und gegen den Feind im Innern: die AfD.“
Merkel ist mit Politik des Zauderns am Ende
Für Financial-Times-Kolumnist Wolfgang Münchau ist es die Schuld der Kanzlerin, dass Europas große Probleme noch immer einer Lösung harren:
„Angela Merkels politische Strategie des Zögerns ist an einem Punkt angelangt, an dem es nicht mehr weitergeht. Innenminister Horst Seehofer verlangt eine harte Migrationspolitik. Und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron fordert eine Reaktion auf die Pläne zur Reform der Eurozone. ... Viele Menschen haben Merkels Pragmatismus und ihren managerhaften Stil bewundert. Doch deren Preis war ein beständiges Scheitern beim Lösen von Problemen. Das Foto des G7-Gipfels in Kanada, das Merkel gegenüber US-Präsident Donald Trump in trotziger Pose zeigt, ist eine optische Täuschung. Sie stellt sich niemandem entgegen, nicht einmal Horst Seehofer.“
Die Vertrauensfrage vermeidet sie
Bei einem solchen Streit hätten andere Kanzler wohl schon die Vertrauensfrage im Parlament gestellt, vermutet die Berliner Zeitung:
„Doch Merkel wäre nicht Merkel, wenn sie in so einer Situation die Nerven verlöre statt sich Zeit für eine Alternativlösung zu kaufen. Und seit gestern weiß sie auch: Selbst in der eigenen Partei ist sie längst zu geschwächt, um Risiken einzugehen. Denn trotz teils bösartiger Angriffe auf Merkel aus der CSU stärkte ihr die eigene Fraktion nur scheinbar den Rücken: Indem sie ihr zwei Wochen Zeit für eine europäische Lösung einräumte, schlug sie sich nicht auf ihre Seite - sondern stellte der Kanzlerin ein Ultimatum. Wie auch immer der Streit um diesen konkreten Punkt ausgeht: von diesem Tag wird sich Merkel als Kanzlerin nicht mehr erholen.“
Kampf ums Überleben
Jetzt geht es um Merkels politisches Überleben, beobachtet auch der Deutschlandkorrespondent von De Telegraaf, Rob Savelberg:
„Beim internen Streit von CDU und CSU geht es um nichts weniger als Merkels Kernprinzipien und damit auch um ihre politische Macht. ... Die promovierte Physikerin aus der DDR ist gegen einen deutschen 'Alleingang' und für Lösungen im europäischen Verband. ... Merkel will um jeden Preis verhindern, dass durch Kriege Vertriebene und Glückssucher in Südeuropa oder auf dem Balkan dauerhaft festsitzen. Die erfahrene Politikerin, so hört man hinter den Kulissen, fürchtet dort große politische Spannungen. Und daher pocht sie auch auf 'europäische Lösungen' und die beschlossene Umverteilung von 160.000 Flüchtlingen.“
Merkel vor den Scherben ihrer Migrationspolitik
Právo schlägt sich auf die Seite von Innenminister Seehofer:
„Im Kampf gegen Seehofer sucht Merkel nach einer europäischen Lösung. Dabei ignoriert sie, dass sie selbst es war, die 2015 national entschied und die Regeln der EU außen vor ließ. Würde Merkel Seehofers Forderung zustimmen, keinen Migranten mehr aufzunehmen, der schon irgendwo in der EU registriert wurde, wäre das kein nationaler Alleingang, wie sie behauptet. Im Gegenteil: sie würde den Weg dazu öffnen, dass auch Deutschland endlich umsetzen würde, was geltendes europäisches Recht vorschreibt. ... Freilich würde die Annahme des Seehofer-Plans zugleich das totale Fiasko der Merkelschen Migrationspolitik demonstrieren.“