Schluss mit der Durchwurstelei!
Die EU sollte in Sachen Migration zu mehr Entschlossenheit übergehen, rät Le Point:
„Vielleicht ist das wichtige Thema Zuwanderung auch für die Union eine einzigartige Gelegenheit, um zu zeigen, dass sie existiert, beziehungsweise dass sie unverzichtbar ist. Wie wäre es beispielsweise, wenn man die Existenz von Frontex sichtbarer machen würde? Wenn man im Mittelmeer Schiffe und Uniformen in den Farben der EU sähe? So könnten die Befürworter von Stacheldrahtzäunen und die Anhänger moralischer Posen zwar weiterhin ihre Kritik äußern. Man würde aber wenigstens von konkreten Fällen sprechen, von Inhalten. Mauscheleien wie vergangene Woche auf dem EU-Gipfel würden noch nicht der Vergangenheit angehören, die Gemeinschaft würde jedoch einen Quantensprung machen: Ich stehe zu meinen Entscheidungen, also existiere ich.“
Wir brauchen atmende Grenzen
Leo Lucassen, Professor für Migrationsgeschichte an der Universität Leiden, fordert in De Morgen eine aktivere Migrationspolitik in Europa:
„Statt immer höhere Mauern zu bauen mit perversen Folgen (wie etwa Menschenschmuggel), brauchen wir 'atmende Grenzen'. Damit könnten wir Nicht-EU-Bürgern Jobs in Sektoren mit einem großen Arbeitskräftemangel verschaffen. Mit anderen Worten: Dies wäre eine Art der zirkulären Migration, bei der die Rückkehr ins Heimatland nicht als Strafe empfunden würde, wie es heute bei den illegal Eingewanderten der Fall ist. Diesen kommt eine Rückkehr nach Hause nicht in den Sinn, weil sie ihr Leben aufs Spiel gesetzt und viel Geld für die Reise bezahlt haben.“
Offene Grenzen nützen nur jungen Männern
So lange Asylanträge innerhalb Europas gestellt werden können, werden weiterhin vor allem die physisch Stärksten ihr Glück als Migranten versuchen, gibt The Daily Telegraph zu bedenken:
„Warum sollten wir ein Asylsystem weiterführen, das die Starken gegenüber den Schwachen, die Jungen gegenüber den Alten und Männer gegenüber Frauen begünstigt? Drei Viertel der Asylbewerber in Großbritannien sind derzeit Männer, und der Großteil ist Anfang 20. Im heutigen System werden die Schwächsten zu oft zurückgelassen. Die Migrationsdebatte ändert sich. Auch moderate Politiker in Europa treten nun für regionale Sammellager ein, in denen die Anträge von Asylbewerbern außerhalb der EU behandelt werden können. Dieses Modell hat in Australien funktioniert. Doch es wird nur dann erfolgreich sein, wenn Migranten gleichzeitig verwehrt wird, in Europa selbst einen Asylantrag zu stellen.“
Retter haben mehr zu befürchten als Schmuggler
Maltas Behörden gehen gegen Flüchtlingshelfer wie den Kapitän der Lifeline, Claus-Peter Reisch, viel entschlossener vor als gegen Schmuggler, kritisiert The Shift News:
„Reisch wurde [am Montag vor Gericht] vorgeworfen, ein Schiff ohne die nötige Registrierung und Lizenz in maltesische Gewässer gesteuert zu haben. Im Gegensatz dazu sind maltesische Behörden jedoch nicht gewillt, jene juristisch zu belangen, die libyschen Treibstoff nach Europa schmuggeln. ... Wenn es Maltas Regierung tatsächlich darum ginge, die Herrschaft des Rechts durchzusetzen und ihren Teil zur Lösung der Flüchtlingskrise beizutragen, sollte sie sich auf die libyschen Milizen konzentrieren, die das Geschäft des Menschenschmuggels kontrollieren - und auf deren Partner, zu denen auch jene Malteser zählen, die mit illegalem Handel Profit machen.“
Die wichtigsten Themen werden ausgeklammert
Eine Diskussion über europäische Werte vermisst Público in der Migrationsdebatte:
„Die Debatte über die Flüchtlings- und Migrationskrise dreht sich nicht um Einwanderer oder Flüchtlinge. Vielmehr geht es um die EU und ihre Grundrechtecharta. Die Vision von Europa und der Welt, die auf die Grundwerte der Union setzt, prallt auf die Politiker, die für eine illiberale Demokratie eintreten, wie Viktor Orbán oder Donald Trump. ... Die extreme Rechte (und ihre Fremdenfeindlichkeit) können besiegt werden. Doch dafür müssen die politischen Führer, die die Rechtsstaatlichkeit verteidigen, auch kohärent in der Verteidigung ihrer Werte sein. Macron und Merkel, die gerade versuchen, die anti-populistische Front in der Union zu organisieren, haben keine kohärente Haltung in Bezug auf das Thema Migration.“
Europas Linke hat den Rechten das Feld überlassen
Im Gegensatz zu den rechten Parteien in Europa scheuen sich die linken davor, eine Zuwanderungspolitik zu definieren, klagt Journalistin Anne Brunswic in Mediapart:
„Die Rechte hat ein Programm, das sie aktiv umsetzt: es besteht darin, mit allen Mitteln - seien sie legal oder rechtswidrig - die Unerwünschten daran zu hindern, einen Fuß auf europäischen Boden zu setzen. Und wie reagiert die Linke darauf? … Man kann die Programme so lange durchsuchen, wie man will, vom Ansatz einer Migrationspolitik keine Spur! Warum so viel Zurückhaltung beziehungsweise Faulheit? Seit 40 Jahren gibt es nur eine einzige Antwort: 'Weil dies die extreme Rechte befördern könnte.' 40 Jahre ungehaltener Versprechen und einer immer stärker nach rechts abgleitenden Politik haben der extremen Rechten, die anfangs nur über einige hunderte Anhänger verfügte, zur Hegemonie verholfen.“
Historisches Versagen
Mit der Flüchtlingskrise rächen sich die Fehler, die in der Vergangenheit begangen wurden, erläutert der Autor und Journalist Guy Konopnicki in Marianne:
„Europa erweist sich als machtlos gegenüber der größten humanitären Krise der jüngsten Geschichte. Alles Versagen des letzten halben Jahrhunderts manifestiert sich in den Strömen von Menschen, die versuchen, die Küsten Europas zu erreichen: Im Süden das Versagen der postkolonialistischen Regierungen, nationale Revolutionen, neues Unabhängigkeitsstreben, nationale oder religiöse Diktaturen und verschiedene Versionen des Sozialismus. Und im Norden die Krise Europas, das 1989 glaubte, dass die Zeit der Grenzen vorüber sei, dass der Fall der Mauer und des eisernen Vorhangs einen wunderbaren Raum des Wohlstands und der Demokratie öffne. ... In diesem Europa fühlte man sich unverwüstlich gegenüber den Stürmen der Geschichte.“
EU zu groß für vernünftige Lösungen
Die stetige Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft und späteren Union in den vergangenen Jahrzehnten hat den politischen Entscheidungsfindungsprozess dramatisch erschwert, klagt der Schriftsteller Tibor Fischer in The Daily Telegraph:
„Ein grundsätzliches Problem ist die Zahl der Mitglieder. Ob es nun 28, 25 oder 30 sind, für so viele Staaten ist es vermutlich unmöglich, sich auf irgendetwas zu verständigen, außer es handelt sich um extrem verwässerte, schwammige Maßnahmen. Jeder, der schon einmal versucht hat, einen Familienurlaub zu organisieren, weiß, wie mühsam es ist, auch nur vier oder fünf Beteiligte zufriedenzustellen. Später weiß man es natürlich immer besser, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass in der ursprünglichen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft derartig bittere Auseinandersetzungen ausgefochten worden wären.“
Das Netz der Schlepper zerstören
El Mundo berichtet über hunderte von Webseiten, über die Schlepperbanden offen ihre illegalen Dienste anbieten. Die EU hat die Pflicht, dieses Gewerbe zu stoppen, mahnt das Blatt:
„Die 28 Mitgliedsstaaten konnten sich gerade mal auf einige provisorische Übergangsmaßnahmen wie geschlossene Lager in freiwilligen Ländern einigen, die allenfalls dazu dienen, gegenüber dem Druck der Öffentlichkeit Zeit zu gewinnen, nicht aber, um ein hochgradig komplexes Problem zu lösen. Dazu wäre es unter anderem nötig, sich der Herausforderung der Schlepperbanden zu stellen. ... Es wäre illusorisch, die internationalen Migrationsströme in einer global immer vernetzteren Welt stoppen zu wollen. Aber die Mafias zu bekämpfen, die die dramatische Lage von Menschen ausnutzen, um mit ihnen zu handeln und eine geordnete Lösung zu verhindern, ist für die EU eine dringende Notwendigkeit.“
Wir können Afrika nicht retten
Im Zusammenhang mit der Migrationskrise wollen EU-Regierungschefs die Ursachen bekämpfen und Afrika wirtschaftlich helfen. Das wird nicht funktionieren, meint der Professor für Europa-Studien, Paul Scheffer, in seiner Kolumne in NRC Handelsblad:
„Wir können Afrika nicht retten. Alles hängt von der Eigenverantwortung dieser Länder ab. Das Bevölkerungswachstum stellt die Gesellschaften vor große Fragen, die sie selbst beantworten müssen. ... Soviel wir auch in einen großen Plan investieren - jede Veränderung beginnt bei den Eliten und Bürgern dieser Länder selbst. Zu jeder Migrationspolitik gehört ein Beitrag zur Entwicklung von Afrika. Wir müssen uns aber klar machen, dass gerade beginnendes Wirtschaftswachstum in der Tat meistens zu mehr Migration führen wird. ... Die Ursachen der Migration zu bekämpfen, befreit uns nicht von dem Auftrag, die Migration zu begrenzen.“