Orbán will Europa nach rechts rücken
Migration soll das entscheidende Thema der Europawahl werden und die "Elite der 1968er" gehört abgewählt: mit diesen Forderungen hat Ungarns Premier Orbán sich beim jährlichen Tusványos-Festival der ungarischen Minderheit in Rumänien zu Wort gemeldet. Kommentatoren sind uneins, wie ernst sie die Worte Orbáns nehmen sollen.
Der Gott der Ungarn
Orbán will also der Führer Europas werden - ein Posten, der bisher noch gar nicht existiert, macht sich Népszava lustig:
„Er möchte ganz Europa lenken, aber nicht als Vorsitzender der Europäischen Kommission. Denn das ist eine Institution des dekadenten Westens, die seiner Meinung nach unter den gegebenen Umständen keine Zukunft mehr hat. Man müsste ihn wohl als eine höhere Macht wählen, die sich nicht mit dem Klein-Klein der alltäglichen Schwierigkeiten beschäftigt, sondern deren Aufgabe es ist, die großen Leitlinien für ganz Europa zu bestimmen. Jeder auf dem Kontinent soll ihn kennenlernen: den Gott der Ungarn!“
Orbán glaubt selbst nicht an seine Predigten
Die Regierung in Warschau sollte sich hüten, auf die Parolen Orbáns hereinzufallen, warnt Gazeta Wyborcza:
„Orbán zeichnet ein Bild von einem zukünftigen Europa, einem konservativen, auf traditionelle Werte ausgerichteten Europa: Gott, Nation, Familie. Die Chancen sind gering, dass diese Predigten eines Politikers, der in seinem eigenen Land beschuldigt wird, einen Mafia-Staat aufzubauen, die säkularisierten Westeuropäer bekehren werden, welche sich an liberale Werte und einen liberalen Lebensstil gebunden fühlen. Der ungarische Premier weiß das, er spielt mit den Emotionen seiner eigenen Wählerschaft, aber er glaubt nicht an seine eigenen Parolen. Schlimmer wäre es, würde die polnische Rechte sie ernst nehmen und Orbán bei einer Politik helfen wollen, die den polnischen Interessen zuwiderläuft.“
Kroatien muss sich in Acht nehmen
Die Worte Orbáns versetzen Večernji list in Angst:
„In bisher jeder Amtszeit haben Orbáns Taten direkten Einfluss auf Kroatien gehabt. Seine Politik der Zäune an den Grenzen beispielweise bedeutete eine Barriere zwischen Kroatien und seinen EU-Nachbarn, bis dahin undenkbar, aber heute eine Tatsache. ... Orbán möchte Zentraleuropa erneuern. Das sind Länder, die laut ihm Multikulti und das Konzept einer offenen Gesellschaft ablehnen und ihre katholischen Wurzeln und ihre nationale Identität schützen wollen. Orbán wird Anführer dieser 'besonderen Kultur' Zentraleuropas, er will diese neue Ära realisieren und Ungarn aus seinen bisherigen Grenzen führen. ... Wie soll sich Kroatien dazu verhalten?“
Westeuropas Scheinheiligkeit wird entlarvt
Dass Orbán stark genug ist, die Interessen Ost- und Mitteleuropas durchzusetzen, freut Ágoston Sámuel Mráz, politischer Analyst beim Nézöpont Institut, in Magyar Hirlap:
„Seit Jahren versucht Viktor Orbán aus den Ländern Mitteleuropas eine Allianz zu formen, damit sie ihre Interessen entsprechend ihres wahren Gewichtes durchsetzen können. Es ist ein Vertrauensbeweis für seine Politik, dass hinter ihm eine große politische Gemeinschaft steht und dass er eine starke Legitimation durch seine Wähler hat. ... Der Premier hat eine neue Politik Europas mit Russland vorgeschlagen, denn während Westeuropa Russland ideologisch kritisiert, macht es unter dem Tisch Geschäfte mit ihm. Als Beispiel erwähnte er, dass Deutschland Energieleitungen baut. ... Mitteleuropa könnte der Verlierer dieser scheinheiligen Situation sein.“
Herausforderung für alle Demokraten
Die bisherigen Eliten Europas müssen Ungarns Premier in die Schranken weisen, fordert Hospodářské noviny:
„Orbán sieht die Chance, sich einen lang gehegten Traum zu erfüllen: er will ein Führer europäischen Formats werden und die EU zu einem loseren Bund von Nationalstaaten umbauen. Und er begrüßt das Projekt von Steve Bannon, nach der Europawahl eine starke Fraktion zu bekommen, die die bisherigen Erfolge bei der europäischen Integration demontiert. ... Sollte Orbán ernst machen, dann müssen die bisherigen europäischen Eliten mobil machen, wenn sie ihn schlagen wollen. Sonst hat er tatsächlich die Chance, mit seinem Traum erfolgreich zu sein.“
Orbán lässt viele Fragen offen
Die ideologischen Grundlagen von Orbáns Rede analysiert der Politikwissenschaftler Radu Carp, der selbst zur Sommeruniversität Tusványos als Redner eingeladen war, in seinem Blog bei Adevărul:
„Orbán will ein Europa der Nationen, ein Modell, das die Gründerväter nicht im Blick hatten. ... Für ihn ist die Alternative zur liberalen Demokratie nicht mehr das Modell der illiberalen Demokratie, sondern das der christlichen Demokratie. ... Das Hauptproblem ist, dass das Projekt der christlichen Demokratie nicht als Gegenstück zur liberalen Demokratie dient. Der Liberalismus passt mit der christlichen Demokratie perfekt zusammen, was den Respekt vor dem Gesetz angeht. Ein Verweis, der im Diskurs von Viktor Orbán hartnäckig fehlte. Wir wollen ein 'starkes Europa', wissen aber gar nicht, was dieser Ausdruck genau bedeutet, und durch seine ständige Wiederholung wird er banalisiert.“
Das darf sich Rumänien nicht gefallen lassen
Das Festival findet im rumänischen Kurort Băile Tușnad (ungarisch: Tusnádfürdö) statt, der mehrheitlich von Angehörigen der ungarischen Minderheit bewohnt wird. Dort kritisierte Orbán auch die Minderheitenpolitik Rumäniens. Der konservative Politiker Eugen Tomac empört sich darüber in Krónika :
„Es ist eine Tatsache, dass hochrangige rumänische Politiker an der Sommeruniversität von Tusnádfürdö fehlen, um den radikalen antirumänischen Parolen dort Einhalt zu gebieten. Das zeigt wieder einmal, wie wir Außenpolitik machen: mit hinter dem Rücken verschränkten Händen. ... Ich finde es empörend, wie unser Staatsoberhaupt, Klaus Johannis, und der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Liviu Dragnea, es zulassen, dass Viktor Orbán sich in Tusnádfürdö benimmt, als wäre er für ein paar Tage der Premier von Rumänien.“
Ganz Europa soll wie Ungarn werden
Die Rede auf dem Tusványos-Festival in Băile Tușnad, das vor allem von Angehörigen der ungarischen Minderheit bewohnt wird, gilt als jährlicher Höhepunkt der Fidesz-Partei. Orbáns Worte dort sollte man ernst nehmen, warnt der stellvertretende Chefredakteur von 168 óra, Zoltán Lakner:
„Der Export des ungarischen Modells christlicher Demokratie hat begonnen. Neben der Ablehnung der Einwanderung wird ein liberales Familienbild zum Feindbild der traditionellen Familie erklärt. Orbán, der die negative Hauptfigur von vielen Analysen und Büchern über das 'illiberale System' ist, wurde im gleichen Tempo das Plakatgesicht der Einwanderungsgegner und all derer, die die sogenannte 'Gender-Ideologie' ablehnen. ... Es ist nicht nur heiße Luft, wenn Orbán seinen Auftritt in Tusványos damit abschließt, dass er jetzt die 1968er-Elite ablösen wird. ... Er bereitet sich darauf vor, Europa umzuformen.“
Endlich wird die liberale Diktatur beerdigt
PestiSrácok feiert Orbáns Auftritt:
„In Tusnádfürdő [der ungarische Name des Ortes] hat Viktor Orbán die Angewohnheit, den Liberalen die Sicherungen rauszuhauen. Und das ist gut so. Wo, wenn nicht hier im Széklerland unter Freunden, kann er seine Gedanken so viel lockerer skizzieren, als im Parlament? Seine Botschaften waren auch diesmal eindeutig: Ungarn übernimmt Verantwortung für alle Ungarn im Karpatenbecken (auch für die Minderheiten in den Nachbarländern), kämpft gegen die Bürokratie in Brüssel und die deutsch-französisch geführte EU. Es sagt 'nein' zur liberalen Diktatur, die sich Demokratie schimpft. ... Und es sagt 'nein' zur Einwanderung. Dieses Thema beschäftigt Europa, darum wird es bei der kommenden Europawahl gehen.“