Vor der Europawahl: Rechtspopulisten im Aufwind
Trumps Ex-Chefstratege Steve Bannon will sich in den kommenden Monaten in Europa aufhalten und rechte und rechtsextreme Parteien beim Wahlkampf unterstützen. Dies kündigte er auf einem Parteitag der nationalistischen Partei Fratelli d'Italia in Rom an. Am Sonntag traf er sich mit Tschechiens Präsident Zeman. Warum sein Projekt scheitern wird und wie die EU sich neu erfinden muss, erklären Kommentatoren.
Gift für die Gesellschaft
Weil Populisten nur den kurzfristigen politischen Erfolg im Auge haben, bleiben komplexe politische und wirtschaftliche Probleme ungelöst, klagt The Shift News:
„Populismus mag wie die Rückkehr zu einer direkteren Demokratie erscheinen. Politische Führer mobilisieren ihre Wähler, warten deren Reaktion ab und handeln dann entsprechend. Doch die Sache hat einen Haken: Politik ist komplex und widmet sich komplexen Problemen. In neun von zehn Fällen setzen populistische Politiker auf allzu starke Vereinfachung und emotionale Argumente, die die irrationale, kurzsichtige Natur der Menschen ansprechen. Für die gesunde Entwicklung eines Landes ist das Gift. Es führt dazu, dass die Menschen von Politikern das hören, was sie hören wollen. Und die Politiker sind willens, den Menschen das zu geben, was diese (glauben zu) wollen.“
Ein rechter Block ist illusorisch
Bannons Projekt einer internationalen rechtspopulistischen Bewegung wird ohnehin scheitern, glaubt Lidové noviny:
„Populistische Parteien können den Eindruck eines gemeinsamen Blocks nur gegen einen gemeinsamen Feind erzeugen, also die derzeitige EU. Nehmen wir aber die Interessen Tschechiens, Deutschlands, Ungarns oder Italiens, finden wir zwischen ihnen mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten. Schon Tschechien allein ist da nicht konsistent. Ex-Präsident Klaus ist Fan der AfD, unterstützte ihren Wahlkampf. Präsident Zeman bremst da lieber, weil die AfD die Aufhebung der Beneš-Dekrete verlangt. Entsteht aus einem solchen Gemisch eine Internationale mit festen Bindungen?“
Fremdenhass ist Antwort auf mangelnde Solidarität
In einem Manifest, das unter anderem in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen ist, rufen Vertreter aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft aus ganz Europa dazu auf, die EU auf Basis von mehr Solidarität neu zu gründen:
„Entgegen neoliberalen Illusionen kann keine menschliche Gesellschaft ohne Solidarität und ohne ein anderes Gemeinschaftsvorhaben als den Wettbewerb zwischen seinen Mitgliedern auskommen. Wenn nicht demokratisch institutionalisiert, entstehen diese Solidaritäten auf identitärer, ethnischer oder religiöser Basis. Das wiederum ebnet Demagogen und Gewaltbeziehungen den Weg. Überall in der Welt, ob in den Amerikas oder Indien, ob in Großbritannien oder anderen europäischen Ländern, zwingen diese Demagogen im Ergebnis 'den Fremden' genau die sozialen Ungerechtigkeiten auf, auf denen ihr Wachstum beruht; deren ökonomische Ursachen lassen sie unbehelligt, denn sie teilen das Credo der Neoliberalen.“
Übermacht der großen Parteien ist Geschichte
Der EU stehen 2019 große Umwälzungen bevor, glaubt Jutarnji list:
„Es steht fest, dass sich nach der Wahl für das Europäische Parlament vom 23. bis 26. Mai 2019 vieles verändern wird. Es hört sich abgedroschen an, doch in Europa treibt die Schreckgestalt des Populismus ihr Unwesen und alle Umfragen zeigen, dass auf die EU höchstwahrscheinlich tektonische Veränderungen zukommen, denn die populistischen und euroskeptischen Parteien und Bewegungen erleben einen dramatischen Aufschwung. Kurz gesagt. Die jahrzehntelange absolute Übermacht der Europäischen Volkspartei (EVP) und der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE), die mit Hilfe von Koalitionsverträgen die EU geprägt haben, ist vorbei.“
Aus "Wir Arbeiter" wurde "Wir Franzosen"
Bestseller-Autor Didier Eribon erklärt in Le Soir, warum die Parolen der Rechtspopulisten verfangen:
„Die Lehrer und Arbeiter sind aus den Führungsinstitutionen verschwunden und wurden von Leuten aus der Bourgeoisie ersetzt. ... Seit die kommunistische Partei von der Bildfläche verschwunden ist, hat niemand mehr der Arbeiterklasse ein 'wir' angeboten. Diese kollektive Identität wurde von einem nationalistischen, gegen Einwanderer gerichteten 'wir' ersetzt. Meine Eltern sagten 'wir Arbeiter' und grenzten sich ab gegen Arbeitgeber, Bürgerliche, Unterdrücker. Dann haben sie 'wir Franzosen' gesagt – und grenzten sich ab gegen Immigranten. Das Gleiche passiert in Italien und Deutschland. Das 'wir' der politischen Linken wird ersetzt durch das 'wir' der Rechten oder Rechtsradikalen mit dem Flüchtling und dem Asylbewerber als Feindbild.“
Frontal angreifen statt Diskurs nachahmen
Politologe Sami Naïr drängt in El País zu einem Pakt der demokratischen Parteien gegen den Rechtspopulismus:
„Die Hauptgefahr besteht darin, dass sich die traditionellen Konservativen vom Diskurs von Angst und Hass anstecken lassen, während die Progressiven in einer rein defensiven Haltung verharren. Die sozialdemokratischen und linken Kräfte müssen sich um die solidarischen Menschenrechte als Kernidee herum zusammenschließen. ... Die zweite Dimension ist strategischer Natur: Schnittmengen mit den konservativen und liberalen Kräften suchen, die in der Verteidigung der europäischen Werte der Solidarität und Toleranz bestehen. ... Dieses Ziel muss auf einem einfachen Motto beruhen: Man kann die rechtsextremen Parteien nicht schlagen, indem man ihren Diskurs nachahmt. Man muss sie frontal angreifen, damit sie nicht die demokratische Identität Europas verunreinigen.“
Wähler der Populisten sind nicht dumm
Göteborgs-Posten verwahrt sich dagegen, Wähler von Rechtspopulisten als ungebildet abzutun:
„Eine Untersuchung des SOM-Instituts zu den Sympathisanten der Schwedendemokraten von 2014 zeigt, dass diese vielfach den Durchschnitt widerspiegeln. Weniger gut Gebildete sind zwar in der Mehrheit, aber die Wähler sind in allen Einkommensschichten zu finden. ... Es ist eine zynische Sicht von oben herab, wenn suggeriert wird, dass gering Gebildete nicht selbstständig denken könnten und sich verführen lassen. ... Dabei haben Akademiker im Lauf der Geschichte kaum bewiesen, dass sie per se politisch zurechnungsfähig wären. ... Vielleicht sollten wir vor der nächsten Wahl diskutieren, wie wir geschichtslose Hochgebildete vor schwarzmalerischer Desinformation schützen können, damit sie nicht von politischen Kräften ausgenutzt werden, die zynisch mit ihrer Angst vor einem Dreißigerjahre-Deutschland spielen.“