Haushalt: Rom und Brüssel auf Konfrontationskurs
Im Budgetstreit zwischen Italien und der EU ist keine Einigung in Sicht. Noch bevor Brüssel die Erklärungen Roms zur hohen Neuverschuldungprüfen konnte, hat die italienische Regierung angekündigt, dass sie ihren Haushaltsplan nicht ändern werde. Die Trümpfe in diesem Machtspiel sind ungleich verteilt, beobachten Kommentatoren.
Die Eurozone ist erpressbar
Rom kann sich einiges erlauben, klagt Der Standard:
„Die Europäische Zentralbank hat rund ein Fünftel der italienischen Schuldscheine auf ihre Bücher genommen. Das Geld wäre perdu, wenn Rom die Schulden nicht mehr tilgen sollte. Dazu kommen die noch höheren Verpflichtungen im Euro-Zahlungssystem Target II, für die es faktisch Haftungen der Währungsunion gibt. Die Eurozone hat sich durch die Übernahme dieser Risiken erpressbar gemacht. Die Abhängigkeit der anderen Euroländer wächst zudem wegen der Ansteckungsgefahr, die ein Kollaps Italiens verstärken würde. ... Das sind denkbar schlechte Voraussetzungen, will Brüssel auf die Einhaltung der Fiskalregeln pochen. Italien kann der Währungsunion munter auf der Nase herumtanzen.“
Wir müssen über Umverteilung reden
Für die Süddeutsche Zeitung berührt der Streit ein grundlegendes Problem der Eurozone:
„Ja, es stimmt, der Haushaltsplan verstößt gegen den Geist des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Das ist nicht zu akzeptieren. Zu akzeptieren ist aber auch nicht, dass jede Bundesregierung seit Helmut Kohl ignoriert, dass die jetzigen Regeln die Ungleichheit in der Eurozone verstärken. Weil die Bundesrepublik zu den Gewinnern zählt, will sie das Problem der anderen nicht wahrhaben. … Man kann das Festhalten Roms am Budget als Erpressung deuten: Entweder ihr zahlt, oder der Euro scheitert. Oder aber so, dass Italien jetzt rücksichtslos einfordert, was Merkel dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron verweigert; nämlich einen Verteilungsmechanismus innerhalb des Euro von den Starken zu den Schwachen.“
Zynisches Wahlkampfmanöver
Rom geht es gar nicht um den Haushalt, glaubt der Wirtschaftsexperte Francesco Manacorda in La Repubblica:
„Hinter dem Angriff, den Rom in den letzten Wochen gegen Europa und seine Regeln gestartet hat, steckt in Wahrheit ein klares wie auch zynisches politisches Kalkül, das in erster Linie auf das Konto der Lega geht. Die Beschwörung einer neuen 'Außenfront', die es nach den Flüchtlingen zu bekämpfen gilt, kann Salvini und der Lega helfen, bei der Europawahl im Frühjahr mehr Konsens zu erzielen. Es ist eine klare Rechnung, denn jetzt, da die Popularität der EU ihren Tiefstand erreicht hat, erweist es sich als ausgesprochen rentabel, sie als Feind hinzustellen.“
Wie Brüssel bei den Italienern punkten könnte
Mehr Nachsicht mit Italien fordert der Deutschlandfunk:
„Die Kommission sollte Italien die geplante Neuverschuldung erlauben, so wie sie früher schon mit Deutschland und Frankreich als Defizitsünder nachsichtig war. Brüssel sollte aber im Gegenzug verlangen, dass noch mehr zur Korruptionsbekämpfung getan wird, dass noch mehr Geld umgeschichtet wird aus dem aufgeblähten Staat weg, hin zu Investitionen. Die EU-Kommission würde den Menschen in Italien so zeigen, dass sie ihr Leid und ihre Wut verstanden hat. Und Brüssel würde etwas dafür tun, dass die erschreckende Europaskepsis im früher so europafreundlichen Italien nicht noch weiter wächst.“
Roms Spielraum ist nicht groß
Italiens Regierung sitzt im Budgetstreit mit der EU-Kommission am kürzeren Hebel, analysiert Die Presse:
„Die EU muss mit Rom verhandeln und auf Schützenhilfe von den Börsen hoffen. Einige Lega-Politiker werden schon nervös, weil sie merken, dass die eigenen Banken die ersten Opfer ihrer Politik wären. Diese Woche wird die US-Ratingagentur Standard & Poor's ihr Urteil über das Land fällen. ... Geht das Geld aus, wird es schwierig für Rom, weiter so hoch gegen Brüssel zu pokern. Anders als in Griechenland sitzen ihre Gläubiger nicht irgendwo weit weg der Heimat. Zwei Drittel der italienischen Staatsanleihen werden im Land gehalten. Treibt die Regierung Italien tatsächlich in die Pleite, fällt es zuerst den eigenen Landsleuten auf den Kopf.“
Jetzt nicht locker lassen
Auch wenn die Chance besteht, dass die Populisten sich den Zwängen des Regierens anpassen, darf Brüssel jetzt nicht nachgeben, mahnt Chefredakteur Daniel Fortin in Les Echos:
„Die vielversprechendste Chance, die anschwellende Populismus-Welle in Europa eines Tages aufzuhalten, ergibt sich vielleicht daraus, dass, ist man erst an der Macht, dort jede Menge Fallstricke auf einen warten. ... Brüssel sollte dem verrückten italienischen Haushaltsvorschlag gegenüber weiterhin eine harte Linie fahren. Das scheint auch die Entscheidung zu sein, die die Kommission getroffen hat. ... Es gibt ein echtes Risiko einer politischen Krise, die daraus entstehen könnte, dass sich ein Teil der öffentlichen Meinung in Italien verkrampft gegen Europa richtet. Doch dieses Risiko muss man eingehen. Denn die Geschichte zeigt, dass Nachlässigkeit am Ende bestraft wird.“
Ein Desaster für die Italiener
Italiens Haushaltsentwurf ist eine einzige Katastrophe, kommentiert Alessandro Sallusti, Chefredakteur der zum Medienimperium von Silvio Berlusconi gehörenden Tageszeitung Il Giornale:
„Der Haushaltsplan, der am Montagabend von der Regierung verabschiedet wurde, macht die Italiener zu Verlierern. Und insbesondere diejenigen Italiener, die tatsächlich an die Möglichkeit eines Wandels glaubten. Das ist das dilettantischste Manöver, an das ich mich erinnern kann. Denn dem Entwurf fehlt es an einer wirtschaftlichen Absicherung. Es ist ein Manöver, dem es an Horizont und Zielen mangelt. Das perfekte Spiegelbild der Regierung, die ihn zu verantworten hat. Ein totales Durcheinander einer Reihe von in sich widersprüchlichen Maßnahmen. ... Kurzum, es ist ein Chaos, das nicht nur in Brüssel Kopfschütteln auslöst.“
Lieber Streithahn als Reformer
Lega und Movimento 5 Stelle machen Brüssel zum Sündenbock, ohne Italiens zentrale Probleme zu bekämpfen, stöhnt der Leiter des liberalen Thinktank Génération Libre, Maxime Sbaihi, in L'Opinion:
„Die Schwachpunkte [des italienischen Staats] könnte man ja reformieren, gleichzeitig sind sie aber im toten Winkel der populistischen Revolution. Eine Revolution, die hält, was ihr Name verspricht, bestünde darin, den Einflussbereich des Staats neu zu definieren, den Bankensektor ein für alle Mal zu entrümpeln, den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu erleichtern, mit den Gläubigern eine geregelte Umstrukturierung der Staatsschulden auszuhandeln und die Einführung einer Flattax zur Finanzierung eines echten Grundeinkommens zu nutzen. Salvini neigt eher dazu, Lärm zu machen, anstatt Mut und Fantasie einzusetzen. Er greift lieber Brüssel an, anstatt die Wurzeln der Probleme in seinem Land anzugehen.“
Pokern mit den Populisten
Wie Europa am besten Druck auf Italien ausübt, erklärt die Süddeutsche Zeitung:
„Indem es den Etat nicht einfach ablehnt, sondern Verhandlungen anbietet. Ein bisschen Wohltaten, also ein bisschen mehr Defizit, wäre tragbar - wenn die Regierung im Gegenzug Strukturreformen anbietet. Und entscheidende Pfeiler wie Mario Montis Rentenreform nicht antastet. Pokern mit den Populisten. So eine unübersichtliche Gemengelage wird es der Regierung in Rom erschweren, sich auf Kosten von Brüssel zu profilieren. Und langsam wird der Druck der Kapitalmärkte zu spüren sein.“
Italien sucht den Streit
Im Konflikt mit Rom geht es für die EU ums Ganze, analysiert Der Standard:
„Bisher hat Brüssel bei übermäßigen Defiziten immer ein bis zwei Augen zugedrückt, den Staaten mehr Zeit gegeben und Ausflüchte akzeptiert. Doch nun steht ihr der härteste Test bevor: Die Regierung in Rom hat einen Haushalt eingereicht, der von den vereinbarten Defizitzielen massiv abweicht - und dies in voller Absicht. Die Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega suchen den Streit mit der EU, denn sie wollen ihr die Grenzen der Macht aufzeigen. Bei diesem Konflikt geht es daher nicht nur um Budgetzahlen, sondern auch um die Zukunft Europas.“
Griechenland-Drama sollte eine Lehre sein
Dass Italien aus den Fehlern anderer Euro-Länder gelernt hat, hofft Jyllands Posten:
„Es ist sehr frustrierend für die Umgebung und nicht zuletzt für uns als Italiens EU-Partner, dass wir nun eine Wiederholung des Griechenland-Dramas erwarten dürfen. Athen wurde in den vergangenen Jahren vor den Folgen seines Überkonsum und seiner verantwortungslosen Finanzpolitik gerettet, vor allem von Deutschland. Das wurde wiederum dafür ausgeschimpft, weil Berlin nicht das Geld zum Fenster hinauswerfen wollte und Reformen forderte, die schmerzhaft aber notwendig waren. Wir hoffen sehr, dass die Italiener klüger sind. Wir fürchten aber, dass sie das nicht sind und la dolce vita weiterleben bis die Katastrophe eintritt.“
Kein Grund zur Panik
Noch gibt es Werkzeuge, um die Regierung in Rom zum Nachgeben zu bringen, meint die Frankfurter Rundschau:
„Da sind die politischen Mahnungen, die bereits die Regierung aus populistischer Fünf-Sterne-Bewegung und rechter Lega dazu gebracht haben, ein wenig einzulenken. Und da sind mögliche teils deftige Strafen, die Brüssel verhängen kann, wenn Rom tatsächlich die vorgegebenen Defizitkriterien nicht einhalten sollte. Nicht auszuschließen ist zudem, dass die Finanzmärkte Rom weiter unter Druck setzen werden. Schon in den letzten Tagen sind die Risikoaufschläge auf italienische Staatsanleihen deutlich angestiegen. Das kann die italienische Regierung schnell einige Milliarden Euro jährlich an zusätzlichen Ausgaben kosten. Deshalb wird auch noch abzuwarten sein, was das Parlament in Rom noch alles an dem Entwurf ändern wird.“