Verrennt sich Rom im Budgetstreit mit Brüssel?
Im Streit über Italiens Budget für 2019 verhärten sich die Fronten: Rom bleiben nun drei Wochen Zeit für eine Nachbesserung, nachdem die EU-Kommission erstmals den Haushaltsentwurf eines Mitgliedslandes abgelehnt hat. Nicht alle Kommentatoren geißeln den italienischen Alleingang. Manche sehen darin auch eine menschliche Wirtschaftspolitik.
Salvini hat das falsche Vorbild
Indem er Trump kopiert, könnte Salvini großen Schaden anrichten, fürchtet Naftemporiki:
„Salvini folgt den Schritten des amerikanischen Präsidenten, der sich an die Doktrin 'Αmerika zuerst' hält und daher die Globalisierung verurteilt und die Mauern des Protektionismus erhöht. Nicht umsonst wird Salvini von vielen als 'Italiens Trump' bezeichnet. … In Europa, das bereits in der schwersten Existenzkrise seiner Geschichte steckt, könnte der Kampf zwischen Rom und Brüssel an verschiedenen Fronten ein schlechtes Ende nehmen. Mauern und Lager zu errichten, wo man miteinander im Konflikt steht, ist ein gefährliches Spiel mit unvorhersehbaren geopolitischen und wirtschaftlichen Folgen. “
Intelligente und menschliche Wirtschaftspolitik
Die EU-Kommission bemängelt an Italiens Haushaltsentwurf für 2019 fehlende Strukturmaßnahmen. Henri Temple, Jurist und Mitglied der national-konservativen Partei Debout La France, widerspricht dieser Auffassung in Causeur:
„Die Italiener haben eine umfassende Politik zur Konjunkturbelebung gewählt, die durch Zuwachs von Produktion und Konsum die Steuereinnahmen steigert und zu einem ausgeglichenen Haushalt führen soll. ... Der Entwurf sieht neben Steuersenkungen und der Einführung eines Grundeinkommens für die am stärksten Benachteiligten eine steuerliche Teilamnestie für aus dem Ausland zurückgeführte Vermögen sowie eine Herabsetzung des Renteneintrittsalters vor. Es handelt sich dabei sehr wohl um eine Strukturreform - allerdings um eine wirtschaftliche und soziale Strukturreform, die sich durch Intelligenz, Menschlichkeit und Einhaltung der Wahlversprechen auszeichnet.“
Was Italien sich zu Herzen nehmen sollte
Die Kritik der EU-Kommission am italienischen Haushaltsplan erläutert der Jurist Sabino Cassese in Corriere della Sera:
„Die Kommission erinnert uns daran, dass Italien sich gemeinsam mit den Partnern zu den vereinbarten Kriterien bekannt hat. ... Sie stellt dabei fest, dass wir den gleichen Betrag für Zinsen auf öffentliche Schulden ausgeben wie für Bildung. Sie erinnert ferner daran, dass wir der zweitgrößte Empfänger der europäischen Strukturfonds und des Investitionsplans für Europa sind. Sie merkt an, dass Italien im Krisenfall das am stärksten gefährdete Land ist. Dabei bekräftigt die Kommission, dass es sich hier nicht um ein Spannungsverhältnis zwischen der Union und Italien handelt, sondern vor allem um einen Konflikt zwischen den Italienern von heute und morgen, denn erstere stellen die Leistungen und Renten, die sie erhalten werden, letzteren in Rechnung.“
Politik für ein alterndes Land
Die jungen Koalitionäre in Rom machen Politik für ein greises Land, klagt Kolumnist Pierre Haski im Radiosender France Inter:
„Ein altes Land ist ein Land, das nicht investiert, sondern spart. Ein Land, das nicht optimistisch in die Zukunft blickt, wie es die jungen Menschen machen würden, wenn sie sich durchsetzen könnten, sondern ein Land, dessen Blick in die Vergangenheit gerichtet ist, das Neuem skeptisch gegenübersteht und konservativ ist. Früher war alles besser. Und wie regiert man so ein Land? Wie Matteo Salvini: Indem man das Renteneintrittsalter wieder senkt, indem man die Staatsschulden erhöht, um den Rentnern das Sparen zu erleichtern … Seine Partei, die Lega, ist aktuell die beliebteste Partei Italiens mit einem überwältigenden Zuspruch der über 60-Jährigen. Noch nie wurde Italien so jung und dabei so sehr für die Alten regiert.“
Alarmstufe Rot
Entscheidend für Italien ist der Risikoaufschlag auf die Staatsanleihen des Landes, erklärt die Neue Zürcher Zeitung:
„Und der zeigt die Populistenregierung in Rom in einem sehr schlechten Licht. Seit diese an die Macht gelangt ist, hat er sich nahezu verdreifacht, auf über 300 Basispunkte. Die Italiener erhalten frisches Geld jetzt zu 3,5 Prozent Zins, die Deutschen zu 0,5 Prozent. Der Schuldendienst für die drückende italienische Staatsschuld von 2.400 Milliarden Euro wird dadurch teurer. Das bedeutet eine weitere schwere Belastung der italienischen Staatskasse und gibt erneut zu Befürchtungen Anlass, dass Italien sich einer Staatspleite nähern könnte. Damit geraten auch die ohnehin schwächelnden italienischen Banken, die einen Großteil der italienischen Staatstitel halten, unter Druck.“
Warum die Märkte es nicht richten werden
Europa muss sich für Rom eine neue Strategie überlegen, kommentiert Jornal de Negócios:
„Um den budgetären Widerstand Italiens zu zähmen, würde es genügen, dass die europäischen Führer einfach nichts unternehmen. Der Druck der Märkte würde Rom schon dazu bringen, die weiße Flagge zu hissen. Soweit die Theorie. Zumindest war das die Strategie, die gegenüber Griechenland 2015 angewendet wurde, als die damalige griechische Regierung Brüssel herausforderte. Doch diese Strategie wird kaum auf Italien zugeschnitten werden können. Erstens, weil es keinen Herrn Schäuble mehr gibt. Zweitens, weil Italiens Regierung den Euro-Austritt nicht fürchtet. ... Drittens: Ein Staatsbankrott Italiens und der daraus resultierende Zusammenbruch des Bankensystems hätten in ganz Europa verheerende Folgen.“
EU verteidigt Bürger Italiens
Das Vorgehen der EU-Kommission ist sinnvoll, erklärt Andrea Bonanni, Brüssel-Korrespondent von La Repubblica:
„Die Ablehnung des Haushaltsplans von Lega und Cinque Stelle ist nicht nur ein notwendiger Akt, um die Eurozone zu schützen. Es handelt sich auch und vor allem um einen Entschluss, den die EU-Kommissare im Interesse der italienischen Bürger gefällt haben. ... Erstmals nimmt Brüssel damit die politische Herausforderung einer nationalen Regierung an und versucht, deren Vorgehen nicht nur auf der Grundlage des Gemeinschaftsrechts, sondern auch in der Sache und zum Schutz der Öffentlichkeit des betroffenen Landes anzufechten.“
Kommission musste so entscheiden
Es gibt kein Argument, Italien den Haushaltsentwurf durchgehen zu lassen, stellt ABC klar:
„Rom kann sich nicht darauf berufen, dass auch Deutschland oder Frankreich die Defizitregeln gebrochen haben. Aus dem einfachen Grund, weil Italiens Schuldenlast schon vor der Gründung des Euro außer Kontrolle war, was stets toleriert wurde. Jetzt aber übersteigt dieses Ungleichgewicht ein Limit, das man nicht mehr ignorieren kann. ... Die Demagogen, die - wenn man das so nennen kann - Italien regieren, können von den anderen Mitgliedsstaaten, mit denen sie die Währung teilen, nicht verlangen, dass sie die verrückte Erhöhung der öffentlichen Ausgaben akzeptieren. Noch weniger verdienen es die Italiener, dass sie durch die Anhäufung von Schulden dauerhaft verarmen und mit einer schweren Hypothek belastet werden.“
Fatal für die Demokratie
Einen beispiellosen Eingriff in die Souveränität Italiens sieht Eric Bonse auf seinem Blog Lost in Europe:
„Man mag dies aus ökonomischen Gründen für berechtigt, vielleicht sogar zwingend halten. Demokratietheoretisch ist es fatal. ... [Die EU] kann ihren tiefen Eingriff in das Budgetrecht nur aus abstrakten Prinzipien und Regeln begründen, nicht aber mit dem Willen eines europäischen Volkes oder legitimen Herrschers, wie in einer Demokratie üblich. Wir haben es hier also mit einem schweren, potentiell unlösbaren Konflikt zwischen der (nicht gewählten) europäischen und der nationalen Ebene zu tun - und nicht nur mit einem Streit um ein paar Milliarden.“
Niemand könnte Italien retten
Der Budgetstreit zwischen Italien und der EU hat eine enorme Sprengkraft, glaubt The Independent:
„Früher oder später wird Italien eine Krise in der Eurozone auslösen. ... Doch Italien ist zu groß um bankrott zu gehen und zu groß, um gerettet werden zu können. Selbst Deutschland könnte - so es denn wollte - der drittgrößten Volkswirtschaft in der Eurozone mit seiner enormen Staatsverschuldung nicht aus der Patsche helfen. Die Märkte fürchten einen Zerfall der Eurozone, einen Zusammenbruch der Banken, politische Instabilität und vieles mehr, das von Italien aus wie ein Lauffeuer die EU erfassen könnte. ... Und das würde dann das Ende des Euros bedeuten.“