Was wird aus Julian Assange?
Vor einem Londoner Gericht soll am 2. Mai eine Anhörung stattfinden, in der es um die mögliche Auslieferung von Julian Assange in die USA geht. Der Wikileaks-Gründer war vergangenen Donnerstag in der Botschaft von Ecuador in London festgenommen worden, nachdem das Land ihm den Asylstatus entzogen hatte. Kommentatoren diskutieren, ob es richtig ist, wie Justiz und Öffentlichkeit mit Assange umgehen.
Er hat bekommen, was er verdient
Kein Mitleid mit Julian Assange hat The Atlantic:
„Er hat das Leben unschuldiger Menschen gefährdet. ... Er hat offenbar mit ausländischen Regierungen konspiriert - nicht bloß, um US-Verbrechen aufzudecken, sondern um diesen Regierungen zu helfen, ihre eigenen zu begehen. ... Dennoch hat ihn keine dieser Untaten auf die Anklagebank gebracht. Wenn der Vorwurf, er habe US-Regierungssysteme gehackt, haltlos ist - oder wenn er überzeugend darlegen kann, dass dies im öffentlichen Interesse geschah -, dann soll er seinen Auftritt vor Gericht bekommen, zuerst in Großbritannien und dann in den USA. Aber bitte lasst uns nicht auf sein falsches Flehen um Mitleid, seine Großmannssucht und sein Durcheinanderbringen von Fakten hereinfallen. Julian Assange hat bekommen, was er verdient.“
Der Wikileaks-Gründer sollte nicht jammern
Auch der Publizist Alexander Morosow ist in einem von newsru.com übernommenen Facebook-Post der Ansicht, dass Assange bislang Milde widerfahren ist:
„Ich empfinde nicht das geringste Mitleid mit ihm. Er hat geheime Daten gestohlen, in einem Teil der Welt, in dem einem dafür nicht sofort ein Messer in die Nieren gerammt oder Gift eingeflößt wird. Sondern er kann straflos in einem Land leben, das Mitglied des Militärbündnisses ist, dem er die Daten gestohlen hat. Er lebt als Held. Zu Lebzeiten werden Filme über ihn gedreht. ... Und im Weiteren werden die weltbesten Juristen seine Auslieferung verhindern. Doch bei uns, da gibt es 'Kirovles' [das Betrugsverfahren gegen Kreml-Kritiker Nawalny] und Ähnliches, was Kafka pur ist, und weder Juristen noch die Gesellschaft können da irgendetwas tun. ... Und ganz zu schweigen von den inhaftierten Krimtataren, Zeugen Jehovas oder Ukrainern.“
Assange kann so dreckig sein, wie er will
Dass viele Medien in ihren Berichten auf das Leben Assanges in der Londoner Botschaft und seine angeblich mangelnde Hygiene fokussieren, empört To Ethnos:
„Wir akzeptieren, dass Assange alles getan hat, was ihm vorgeworfen wird. ... Dass er sogar ein 'elender Wurm' ist, wie der britische Vize-Außenminister Alan Duncan ihn in einer kostenlosen Lektion in Höflichkeit und Diplomatie bezeichnete. Die Frage ist jedoch, ob es darum geht, das Wesen von Julian Assange zu untersuchen, oder eher darum, herauszufinden, welche Wahrheiten in den von Wikileaks veröffentlichten Dokumenten enthalten sind? ... Mit den bereits erschienenen Veröffentlichungen zu so relevanten Themen, die Menschenleben betreffen, kann Assange noch so dreckig sein. ... Wir sollten nicht den Sinn für die Sache verlieren.“
Auch Watergate-Journalisten wären heute in Haft
Sollte Assange ausgeliefert werden, ist die Pressefreiheit keinen Cent mehr wert, echauffiert sich das Onlineportal Mérce:
„Unter welchen Voraussetzungen soll von nun an in Europa noch ernsthafte investigative Arbeit stattfinden? Wenn Du irgendetwas Unangenehmes findest, in dem die USA irgendwie mit drinstecken - und es ist nicht sehr schwer als Mitarbeiter großer Zeitungen, so etwas zu finden - musst Du dann auch vor der Auslieferung zittern? Und was, wenn auch das Nato-Mitglied Türkei eines Tages auf so eine Auslieferung besteht? Wird dann jeder 'Verräter' auch dorthin verschickt? Wie lange würden Bob Woodward und Carl Bernstein, die 1974 Richard Nixon durch die Watergate-Affäre gestürzt haben, heute auf freiem Fuß bleiben?“
Assange kann nicht auf Pressefreiheit pochen
Assange hat keine journalistischen Enthüllungen geliefert, meint hingegen der Sicherheitsexperte Hari Bucur-Marcu im Onlineportal Ziare:
„Wenn es sich dabei um eine journalistische Recherche über Kriegsverbrechen gehandelt hätte, über die Gräueltaten, die US-Soldaten im Irak und in Afghanistan begangen haben, oder über die illegalen und bloßstellenden Operationen der CIA, dann hätte Assange auf sein Recht auf Meinungsfreiheit und das Recht auf freie Information für die Öffentlichkeit pochen können. Auch wenn er damit US-Geheimnisse enthüllt hätte, die das Leben von Geheimdienstagenten vor Ort und ihre Operationen in Gefahr gebracht hätte. Doch es handelt sich hier nicht um journalistische Recherche. Es wurden ganz einfach geheime Dokumente auf elektronischem Weg gestohlen und dann auf einer Website ausgeschüttet.“
Leid von Frauen wieder einmal zweitrangig
Assange, der in Schweden von zwei Frauen wegen Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch angezeigt wurde, sollte an Stockholm ausgeliefert werden, fordert die Labour-Abgeordnete Jess Philips in The Guardian:
„Schweden wurde über die geplante Festnahme Assanges nicht einmal in Kenntnis gesetzt. Die dortigen Behörden hatten also keine Chance, einen Auslieferungsantrag aufgrund einer möglichen Anklage wegen Vergewaltigung wenigstens in Erwägung zu ziehen. Das zeigt uns wieder einmal: Wenn die großen Jungs mit ihren Spielzeug-Soldaten spielen, kümmert sich niemand darum, wie viele weibliche Figuren vom Brett gefegt werden. ... Die britische Regierung sollte seine Auslieferung an Schweden unterstützen, bevor sie auf Druck von Seiten der USA eingeht.“
Machtkampf um neue Technologien
Hier geht es um mehr, als Julian Assanges persönliches Schicksal, glaubt Mediapart:
„In der Affäre geht es um die Zukunft der digitalen Revolution, darum, ob sie demokratisch oder autoritär verläuft. ... Keine Technologie bringt automatisch Freiheit. Ob sie emanzipatorisch oder rückwärtsgewandt sind, wird erst dadurch bestimmt, wie sie sozial, politisch und wirtschaftlich genutzt werden. Genau darum geht es auf dem symbolischen Schlachtfeld um das Schicksal von Assange, Manning und Snowden: Erfolgt eine demokratische Aneignung der digitalen Instrumente durch die Völker selbst oder kommt es zu einer autoritären Konfiszierung durch das Bündnis von staatlicher Macht und wirtschaftlichen Monopolen?“
Angriff auf Pressefreiheit und Whistleblower
Dass Assange festgenommen wurde, empört The Independent:
„Da wird jemand verhaftet, weil er etwas aufgedeckt hat, das vermutlich als Kriegsverbrechen zu bezeichnen ist. Was sagt es über uns als Gesellschaft aus, dass wir das zugelassen haben? ... Es mag schon sein, dass Assange Menschen gefährdete, weil er heikle Informationen nicht geschwärzt hat. Er könnte Donald Trump zum Wahlsieg verholfen haben, und er muss sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen der sexuellen Belästigung äußern. Doch all das darf nicht unsere Sicht auf das verstellen, was passiert ist - so schwer uns das auch fallen mag: In den Straßen Londons fand ein klarer Angriff auf die Pressefreiheit statt. Und ein Angriff auf die Freiheit von Whistleblowern, kompromittierende Informationen über mächtige Institutionen zu veröffentlichen.“
In den USA droht juristischer Rachefeldzug
Die britische Justiz sollte Assange nicht ausliefern, fordert Der Standard:
„Ob Assange in den USA einen fairen Prozess nach europäischen Maßstäben erwarten kann, ist zumindest fraglich. Zu groß ist die seit Jahren aufgestaute Wut über die peinlichen Enthüllungen durch Wikileaks. Das hat die Whistleblowerin Chelsea Manning, die ihm einst als US-Soldatin die Dokumente über den Irak geliefert hat, durch ihre jahrelange Haft zu spüren bekommen. Und auch wenn die Vorwürfe der US-Justiz gegen Assange derzeit limitiert sind, wäre eine Verurteilung des Wikileaks-Gründers auch ein Schlag gegen die Pressefreiheit.“
Trump wird Gnade walten lassen
Warum er nicht glaubt, dass Assange in den USA eine lange Haftstrafe droht, erklärt hingegen der USA-Korrespondent von La Repubblica, Federico Rampini:
„Vom Helden der Informationsfreiheit zum 'digitalen Killer' Wladimir Putins. Zwischen diesen beiden Extremen liegt Julian Assanges amerikanische Parabel. Eben dieser Polarität ist zuzuschreiben, dass er erst von den Linken verteidigt wurde, um dann von Donald Trump und dem rechten Fernsehsender Fox News verherrlicht zu werden. Sein letzter Coup - die massive Anti-Hillary-Kampagne - könnte entscheidend für Trumps Einzug ins Weiße Haus gewesen sein. ... Die Anklage lautet 'Beihilfe zum Hacking' [er soll die Whistleblowerin Chelsea Manning angestiftet haben, widerrechtlich in einen Computer einzudringen]. Das ist weitaus weniger gravierend als der Vorwurf der Spionage. Dieser wurde fallengelassen.“
Wikileaks-Gründer hat nie der Freiheit gedient
Keinerlei Mitleid mit Assange hat das Boulevardblatt Bild:
„Die Veröffentlichung gestohlener, geheimer, hochsensibler Daten war kein Dienst an der Freiheit, sondern ein Messer in ihren Rücken. Unzählige Menschen, die er in seinen Leaks bloßstellen ließ, mussten danach um ihre Sicherheit fürchten. Die Demokratie, die er angeblich verteidigen wollte, wurde von Wikileaks - instrumentalisiert oder angeleitet von der russischen Regierung - in die Krise gestürzt. ... Assanges Krieg gegen staatliche Strukturen wurde zum Kampf gegen die westliche Freiheit. Seine Verhaftung ist rechtens und richtig.“
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