Welchen Einfluss bekommen die Rechtspopulisten?
Bei der Wahl zum EU-Parlament geht es um die Richtungsentscheidung, ob Europa näher zusammenrückt oder auseinanderstrebt. Umfragen zufolge könnten Rechtspopulisten stark zulegen und, sollten sie eine Fraktion bilden können, zweitstärkste Kraft werden. Doch nicht alle Beobachter glauben, dass sie ihre Agenda durchsetzen werden.
Mit dem Sprengstoffgürtel ins Haus Europa
Die EU hat nur Sinn, wenn sie sich die Gründungsziele Frieden und Demokratie bewahrt, erinnert El País:
„Jahrzehntelang verfolgten diejenigen, die diese gemeinsamen Grundwerte nicht teilten, das Ziel, das ganze Projekt abzulehnen. Aber nach dem Brexit hat sich ihre Strategie geändert: ... Statt auszutreten wollen sie die EU nun von innen her verändern. Man könnte dies als Sieg des europäischen Gedankens deuten. Doch welchen Sinn hat eine EU noch, wenn sie ohne liberale Demokratie, Pluralismus oder Respekt vor den Grundrechten ist - und stattdessen voller Nationalismus? Widerspricht das nicht komplett ihren Grundsätzen? Was hat ein Gebäude davon, wenn alle hineingehen wollen, aber manche von ihnen Dynamit mit sich tragen, um es zu sprengen?“
Europas Institutionen sind gut geschützt
Selbst wenn sie viele Stimmen auf sich vereinen können, werden die Souveränisten bei der Umgestaltung der EU kein leichtes Spiel haben, prophezeit Chefredakteur Guido Gentili in Il Sole 24 Ore:
„Erstens, weil anhand der Ergebnisse genau geprüft werden muss, welche Platzierung die souveränistische politische Welle erzielt hat und welche Bündnisse überhaupt möglich sind. Zweitens, weil der Europäische Rat selbst bei einer 'einfachen Revision' der Verträge, die nur in wirtschafts- und währungspolitischen Fragen möglich ist, nach Anhörung der Kommission, des EU-Parlaments und der EZB einstimmig entscheiden muss, ob diese Revision tatsächlich Währungsfragen betrifft. Eventuelle Änderungen der Verträge werden zudem erst dann in Kraft treten, wenn alle EU-Länder sie ratifizieren. ... Europa von heute auf morgen umzukrempeln ist ein komplexeres Thema. Propaganda allein reicht da nicht.“
Der gemeinsame Nenner reicht nicht aus
All die Parteien, die nicht mehr, sondern weniger Europa wollen, könnten zusammen auf 40 Prozent der Stimmen kommen, glaubt Adevărul und fährt dann aber fort:
„Populismus ist nicht immer mit Nationalismus oder Souveränismus gleichzusetzen. Populismus kann zudem sowohl links- als auch rechtsgerichtet sein. In Bezug auf Russland bestehen große Unterschiede zwischen der polnischen PiS, dem ungarischen Fidesz, Salvinis Lega Nord und Le Pens Rassemblement National. Deshalb scheint es eher unlogisch, dass die Populisten im Europaparlament eine oder sogar zwei Fraktionen bilden. ... Am wahrscheinlichsten ist der Zerfall ihrer Allianzen gleich nach der Wahl.“
EU-feindliche Kandidaten entlarven
Die große Mehrheit der Iren sieht die EU laut Umfragen positiv. Ihnen sollte klar vor Augen geführt werden, dass viele irische Kandidaten nichts Gutes für Europa im Sinn haben, fordert The Irish Times:
„Natürlich haben politische Parteien und unabhängige Kandidaten das Recht, die derzeitige Form der EU äußerst kritisch und ablehnend zu sehen. Gleichermaßen haben die Wähler das Recht, diese ins EU-Parlament zu wählen. Doch es ist wichtig, dass das Wahlvolk alle nötigen Informationen zur Hand hat, um eine fundierte Entscheidung treffen zu können. Das bedeutet, dass alle klar EU-freundlich positionierten Parteien ihre positiven und optimistischen Zukunftsvorstellungen für Europa genau darlegen müssen und sich nicht in Debatten über Personen oder nationale Themen hineinziehen lassen dürfen, die nichts mit diesem Wahlkampf zu tun haben.“
Europa muss sich erst noch stabilisieren
Die Sorgen um das Konstrukt Europa hält Philosoph Peter Sloterdijk in Le Soir für übertrieben:
„Es wurde nach 30 Jahren Krieg gegründet - ein Wunder, dass so viele überlebt haben und heute sind wir 500 Millionen. ... Europa ist eine noch junge Kreation. Man hat noch nicht gelernt, eine kohärente Identität zu entwerfen, ganz zu schweigen von einer stabilen Identität. Was mich optimistisch macht, ist diese historische Analyse, die einen etwas frivolen Blick auf Europa erlaubt: Es ist zu jung, um solide zu sein. Die USA haben sich nach dem Bürgerkrieg gefestigt, um 1870, also ein gutes Jahrhundert nach ihrer Entstehung. Ich denke, dass es für die Europäer genauso sein wird.“
Vorsicht vor Kooperation
Rádio Renascença sorgt sich, dass Viktor Orbán einen Präzedenzfall schaffen könnte:
„Der ungarische Premier, der stolz auf seine 'illiberale Demokratie' ist, wird den EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber nicht unterstützen. Seine Partei wird sich der Gruppe von euroskeptischen und nationalkonservativen Parteien anschließen, die vom Pseudo-Nationalisten [und italienischen Innenminister] Matteo Salvini angeführt wird. ... Man kann nur hoffen, dass die demokratische Rechte in Europa sich nicht mit der 'patriotischen' Rechten verbündet - eine Bezeichnung, die nur dazu dient, zu verschleiern, dass es sich um eine populistische, fremdenfeindliche und autoritäre Rechtsextreme handelt.“
Kandidaten müssen Farbe bekennen
Die Kandidaten müssen jetzt im Wahlkampf klarmachen, wie sie künftig mit den Rechtspopulisten umgehen wollen, mahnt Dagens Nyheter:
„Mit einem Fünftel der Sitze im EU-Parlament und der Macht in ein paar Hauptstädten kann der populistische Nationalismus das EU-Projekt zwar nicht schleifen. Aber wenn seine Ideen weiter erstarken, wird er auf längere Sicht zur Gefahr. ... Natürlich wollen [die Wähler] wissen, wie die EU nach Meinung der Politiker aufsässigen Regierungen gegenüber handeln soll, und wie sich die Politiker gegenüber den Populisten im Parlament verhalten wollen: Geht es um Zusammenarbeit und Anpassung oder darum, elementare Werte der europäischen Zusammenarbeit konsequent zu verteidigen?“
Sie wollen die Institutionen von innen zerstören
Von seinen eigenen Erfahrungen mit Rechtspopulisten im EU-Parlament berichtet in El Mundo Francisco Sosa Wagner, der von 2009 bis 2014 Abgeordneter der Unión Progreso y Democracia war:
„Die größte Gefahr geht im Moment von den populistischen Parteien aus. Woran erkennt man sie? Ich greife auf meine persönliche Erfahrung zurück: Jahrelang hatte ich als Sitznachbarn im Parlament einen jungen Abgeordneten der niederländischen Freiheitspartei. Als ich merkte, dass er stets genau das Gegenteil von dem abstimmte, was empfohlen wurde, fragte ich ihn, ob er denn mit gar nichts einverstanden sei. Er sagte, dass er dort sei, um das Parlament und die europäischen Institutionen von innen her zu zerstören.“
So wird EU für Briten wieder attraktiv
The Sun hingegen fände einen stärkeren Einfluss rechter, europakritischer Parteien auf EU-Ebene begrüßenswert:
„Die neuen Parteien sind gegen alles, für das die derzeitige EU-Elite steht. Sie sind europaskeptisch. Sie wünschen, dass die EU eine Wirtschaftsgemeinschaft ist und nicht eine zentralistische Regierung, die jedem Land sagt, was es zu tun hat. ... Wohnt alldem nicht eine gewisse Ironie inne? Vor drei Jahren votierten wir Briten für den Austritt aus der EU. Was viele von uns dazu motivierte, waren genau jene Entwicklungen, die zum Aufstieg der Populisten auf dem Kontinent führten. Wenn es den Populisten nun gelingt, die Kontrolle in einigen EU-Institutionen zu übernehmen, könnte die Union aus Sicht der Briten wieder deutlich attraktiver werden.“