Gedenken an Ausbruch des Zweiten Weltkriegs
Europa gedenkt dieser Tage des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren. In Warschau empfing Präsident Duda am Sonntag Staatsgäste aus mehr als 30 Ländern, um an den Überfall Deutschlands auf Polen am 1. September 1939 zu erinnern. Einige Kommentatoren mahnen an, Nationalismus nie wieder zuzulassen. Andere kritisieren den Umgang vor allem Ostmitteleuropas mit der Geschichte.
Schlacht um die Deutungshoheit
Heute wird das Gedenken an den Weltkrieg vor allem in Mittelosteuropa dazu genutzt, sich selbst als besser darzustellen, als man war, bemängelt der Historiker Mădălin Hodor in der Wochenzeitung Revista 22:
„Die Zeremonie hat ein neues Kapitel in einem Krieg eröffnet, der schon seit fast zehn Jahren offen ausgetragen wird: und zwar der politische und propagandistische Krieg rund um das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg. Nicht nur das Putin'sche Russland hat Interesse an diesem Krieg. ... Auch die osteuropäischen Länder 'glänzen' bei der 'Mystifizierung der Geschichte' und instrumentalisieren sie für politische Zwecke. ... Auf der Suche nach einer neuen historischen Identität versucht die Mehrheit der osteuropäischen Staaten, ihre Vergangenheit zu beschönigen.“
Russland war Aggressor, nicht Opfer
Dass Russlands Präsident Putin zu den Feierlichkeiten in Warschau nicht eingeladen wurde, findet Latvijas avize gerechtfertigt:
„Wenn vom 1. September 1939 die Rede ist, dann war die UdSSR, deren rechtlicher Nachfolger Russland ist, der Aggressor, der sich heimlich mit Hitler über die Teilung Polens einigte. Natürlich war auch Deutschland ein Aggressor, wurde aber zu den Gedenkveranstaltungen eingeladen. Das ist aber kein Widerspruch. Deutschland hat seine Taten schon hundert Mal bereut, eine beeindruckende Entnazifizierungspolitik betrieben und enorme Anstrengungen zur Aufklärung der Öffentlichkeit unternommen. ... Die Einstellung zu den Ereignissen ist in Deutschland klar - es war ein Verbrechen. Gleiches gilt nicht für Russland.“
Nationalismus bedeutet Krieg
Gerade dieser Tage sollten wir uns an den Umbruch erinnern, den das Ende des Zweiten Weltkriegs bedeutete, mahnt El Mundo:
„Eine Handvoll wahrhaftiger Staatsmänner begann, auf den rauchenden Ruinen Europas das zu errichten, was wir heute die EU nennen. Der Horror sollte nie wiederkehren. Eine höchst moralische Konstruktion, nicht die bürokratische Karikatur, die ihre Angreifer heute propagieren, wenn sie auf ihre sicherlich verbesserungsfähigen Schwächen verweisen. Die EU ist ein Gegenentwurf zum Nationalismus, denn Nationalismus bedeutet Krieg, wie Mitterrand treffend sagte. Das sollte man heute nicht vergessen, wo sich der Nationalpopulismus breit macht, Gesellschaften spaltet, die Briten isoliert und die Brüderlichkeit der vergangenen 80 Jahre bedroht.“
Sowjetvolk hat gemeinsam den Faschismus besiegt
Dass keine Vertreter aus Moskau zur Gedenkveranstaltung in Polen eingeladen wurden, empört Kommersant:
„Indem Warschau Russland abspaltete von den eingeladenen Georgiern, Ukrainern, Aserbaidschanern, Armeniern, Moldauern und Belarussen, hat es die Situation ins Absurde getrieben. ... Wie auch immer man heute zu Russland und Putin stehen mag, der Sieg über den Faschismus wurde in gemeinschaftlicher Anstrengung von jenen errungen, die das sowjetische Volk bildeten. Die Ex-Sowjetrepubliken in ihrem gemeinsamen Sieg zu spalten, ist so, als ob man Wasser mit einer Schere schneiden wollte.“
Das große Versagen der Alliierten
Dass die westlichen Verbündeten nichts unternahmen, um den Holocaust zu stoppen, beklagt The Guardian:
„Sogar als sie mit schlagenden Beweisen für den sich abzeichnenden Genozid konfrontiert wurden, sahen die wichtigsten Institutionen in Washington und London - darunter die beiden Außenministerien - eine Intervention nicht als Priorität an. Vielleicht lag es am Antisemitismus unter wichtigen Funktionsträgern, vielleicht war es ihnen schlicht nicht wichtig genug, vielleicht gaben sie anderen militärischen und diplomatischen Problemen den Vorrang. ... Acht Jahrzehnte später, anlässlich des Jahrestags des Kriegsausbruchs, ist es immer noch wichtig, sich nicht nur den großen Sieg der Alliierten in Erinnerung zu rufen, sondern auch deren größtes Versagen, als sie sich mit einer riesigen angekündigten Katastrophe konfrontiert sahen.“
Wir müssen die Kriegsrhetorik verstehen
Ein Krieg beginnt immer mit Worten, erklärt Mérce und fordert, dass man aus der Vergangenheit lernt:
„Wir müssen verstehen, wie Gewalt und Krieg in etwas Wünschenswertes und Heldenhaftes umgedeutet werden können - obwohl sie von allen Weltreligionen sowie vom säkularen Humanismus eindeutig als etwas Schlechtes betrachtet werden. Wir müssen verstehen, welche politischen und wirtschaftlichen Akteure den öffentlichen Diskurs so prägen, dass Gewalt durch Ausdrücke wie 'Handelskrieg' oder 'Krieg gegen den Terror' mehr und mehr akzeptiert und legitimiert wird.“
Trumps Absage schlecht für Warschau
Dmitrij Drise sieht in Trumps Absage eine ideologische Niederlage für Warschau, wie er bei Radio Kommersant FM schreibt:
„Der Hurrikan Dorian ist nicht nur eine Natur-, sondern auch eine politische Katastrophe, und das in erster Linie für Polen. ... Warschau hat den Anspruch, der wichtigste Vorposten der USA in Osteuropa zu werden, wenn nicht in der gesamten Alten Welt. Die Veranstaltungen anlässlich des 80. Jahrestags des Beginns des Zweiten Weltkriegs sollten gerade dieses exklusive Verhältnis beider Staaten unterstreichen, auch beim Sieg über den Faschismus. Und Donald Trump ist nicht hingefahren. Natürlich ist der Kampf gegen die Naturgewalt wichtiger, aber für Warschau ist das ein großer ideologischer Reinfall.“
US-Präsident beleidigt Polen
Gazeta Wyborcza empört sich über Trumps Absage:
„Am Freitag reiste er in seine Sommerresidenz in Camp David. Den amerikanischen Medien zufolge verbrachte er den Samstag mit seiner Lieblingsbeschäftigung: Golf. Wie der amerikanische Präsident seine Freizeit verbringt, ist seine Sache. Aber wenn er sich schon weigert, nach Warschau zu kommen, und dies durch die Notwendigkeit erklärt, den Hurrikan Dorian zu 'überwachen', hätte er zumindest den Schein wahren können, um seine Verbündeten nicht zu beleidigen. ... Es sei denn, Polen ist ein Verbündeter dritter Ordnung oder vielmehr gar kein Verbündeter.“
Polnische Opfer verdienen Denkmal
Dass in Deutschland erst jetzt über ein Denkmal für die polnischen Opfer des Zweiten Weltkriegs diskutiert wird, findet der Deutschlandfunk beschämend:
„Es ist zugleich bezeichnend. ... Die Lektion, die viele im Blick auf Antisemitismus, Judenhass und die Shoah gelernt haben, ist im Blick auf die polnischen Nachbarn noch nicht gelernt. Ein Denkmal in der Berliner Mitte wäre der Versuch, auch diese historische Schuld sichtbar einzugestehen. Es wäre auch ein Zeugnis des Mitgefühls der Deutschen gegenüber den Millionen polnischer Opfer und ihren Familien. Es wäre ein Zeichen, dass Deutschland den Modus des Hochmuts gegenüber Polen endlich aufgegeben hätte.“
Schluss mit der deutschen Kollektivschuld
Dass die Verbrechen der Nazis vielerorts immer noch den heute lebenden Deutschen angelastet werden, missfällt The Irish Independent:
„Vietnam, der Bürgerkrieg in Sierra Leone, der an den Tutsi verübte Genozid in Ruanda, bei dem bis zu eine Million Menschen niedergemetzelt wurden, - all das ist aus und vorbei, doch die Nazis sind immer noch ein Maßstab für das Böse. Wenn das Thema Kriegsverbrechen aufkommt, erinnert dann irgendjemand an die turko-mongolischen Invasionen unter Dschingis Khan im 13. Jahrhundert, bei denen 40 Millionen Menschen ermordet wurden? Nein, es werden die Nazis thematisiert. ... Außer einer Handvoll Sympathisanten und alternder betagter Nazis haben die heute lebenden Deutschen nichts Falsches gemacht. Wenn wir also nun in ein neues Jahrzehnt nach dem blutigsten Krieg in der Geschichte eintreten, sollte mit der Kollektivschuld endlich Schluss sein.“