Aufbegehren gegen Gewalt an Frauen
Zehntausende sind am Wochenende in Paris und Rom anlässlich des Internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen auf die Straßen gegangen. 137 Frauen wurden allein in Frankreich in diesem Jahr von ihrem Partner oder Expartner getötet, 94 in Italien. Kommentatoren sind angesichts solcher Zahlen entsetzt und zeigen auf, was aus ihrer Sicht für eine umfassende Präventionsstrategie nötig wäre.
Bildungsferne Milieus sind gewalttätiger
Es gibt milieubedingte Risikofaktoren für Gewalt, über die man nicht hinwegsehen darf, meint Die Welt:
„Geldsorgen, Alkohol und Drogen befördern nachweislich die Gefahr von Gewalt. Studien weisen zudem eindeutige Kausalzusammenhänge zwischen mangelnder Bildung und Gewaltbereitschaft nach. Es nützt nichts, aus politischer Korrektheit darüber hinwegzusehen. Wer das tut, verpasst die Chance, durch mehr Aufklärung, gezielteres Anti-Gewalttraining in Problembezirken und Brennpunktschulen für andere Wege der Konfliktlösung und für ein auf Gleichberechtigung beruhendes Frauenbild zu sorgen. Tatsache ist, dass überwiegend Frauen aus bildungsfernen Familien in Frauenhäusern um Hilfe suchen - und Frauen mit Migrationshintergrund.“
Wie positionieren sich urbane Türkinnen?
Dass eine kleine erzkonservative Gruppe im türkischen Parlament versucht, die in der Istanbul-Konvention formulierten Frauenrechte rückgängig zu machen, beklagt Hürriyet Daily News:
„Die Mentalität hinter der Koalition gegen die Istanbul-Konvention ist die Weigerung, die Frau als Individuum anzuerkennen, und sie stattdessen als essenzielles Element der Familie zu betrachten. Aber es gibt auch eine ideologische Seite. Das Engagement für Frauenrechte wird mit der säkularen Opposition assoziiert. Jedes Zurückdrängen von Frauenrechten wird als Erfolg über die Opposition verstanden. In diesem Sinne wird es sehr interessant sein, zu beobachten, wie die Anhängerinnen der Regierung - vor allem fromm-konservative, aber dennoch urbane Frauen - auf die Bemühungen reagieren, die zur Erosion ihrer Rechte führen.“
Ökonomische Gleichstellung ist der Schlüssel
Gegen die gesellschaftlichen Ursachen von Gewalt gegen Frauen wird zu wenig unternommen, kritisiert Der Standard:
„[D]ieses große Ganze wird nach wie vor kaum gesehen. Erst recht nicht, wenn die schrecklichen Fälle schon wieder verblasst sind. Dann erscheint eine Aufstockung des Budgets des [österreichischen] Frauenministeriums, das seit knapp 10 Jahren mit mickrigen 10 Millionen auskommen muss, als völlig unnötig. Dabei liegt es auf der Hand, dass Gleichstellung das wirksamste Instrument gegen Gewalt gegen Frauen ist. Ökonomische Abhängigkeit ist für Frauen ein Sicherheitsrisiko, und trotzdem ist die Abwertung der Arbeit von Frauen Alltag in unserer Gesellschaft: Für ihre Fürsorgearbeit erhalten sie nichts, für ihre Lohnarbeit weniger als Männer. Die Politik tut dagegen seit Jahren wenig bis nichts.“
Femizid muss eigener Straftatbestand werden
Noch immer fehlt in Deutschland eine umfassende Strategie gegen Frauenmorde, klagt die taz:
„Obwohl hierzulande an jedem dritten Tag ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin umbringt, ist Femizid kein eigener Straftatbestand. Die Bundesregierung verweigert schon die Anerkennung des Begriffs. Noch immer werden 'Trennungstötungen' häufig nicht als Mord eingestuft, weil Gerichte Verständnis für die Motive des verlassenen Täters zeigen. Und Frauen, die vor der Gewalt in Frauenhäuser flüchten, finden wegen chronischer Überlastung dort oft keinen Schutz. Eine systematische Finanzierung der Häuser, eine Anerkennung des Phänomens Femizid und Schulungen von Polizei und Justiz wären nötig, um Frauenmorde in Zukunft zu verhindern.“
Den Terror beim Namen nennen
Spaniens rechtsextreme Partei Vox wehrt sich gegen den Begriff "Gewalt gegen Frauen" und möchte das Phänomen als "häusliche Gewalt" behandeln. So solle verhindert werden, unschuldige Männer zu kriminalisieren. Die Schriftstellerin Emma Riverola zieht in El Periódico de Catalunya einen Vergleich:
„Die Eta ermordete in 40 Jahren 864 Menschen. Mehr als 1.000 Frauen wurden in den letzten 16 Jahren durch ihre Partner oder Expartner ermordet. ... Können Sie sich vorstellen, dass während der blutigsten Jahre der Eta eine Partei gefordert hätte, die offenkundige Verbindung zwischen Terror, Politik und Morden zu negieren? Dass sie den durch Eta Ermordeten und Verletzten den Status als Opfer des Terrorismus verweigert? Dass sie die Bezeichnung 'Eta-Terrorismus' vermeidet, um nicht alle Basken zu kriminalisieren? ... Das ist es, was Vox jeden Tag tut. ... So besudelt sie das Andenken so vieler toter Frauen.“
Rechtzeitig eingreifen ist möglich
Auch Politiken fordert, die strukturelle Dimension von Femiziden anzuerkennen, da sie dann auch besser verhindert werden könnten:
„Der Mord durch einen Partner ist nichts, das plötzlich geschieht. Britische Forschung zeigt, dass ein Partnermord acht Phasen durchläuft, vom ersten glücklichen Treffen über psychische und physische Gewalt bis zum Mord. Tatsächlich kann diese erschreckende Vorhersehbarkeit Mut machen. Denn wenn man das Muster kennt, kann man das Ergebnis vorhersehen - und eingreifen. Zum Beispiel durch die Beratung sowohl des Mannes als auch der Frau, um die Gewalt, die vielleicht zum Mord führt, zu stoppen. Aber das erfordert, dass Femizide nicht länger auf singuläre, unglückselige Familiengeschichten reduziert werden.“