Was ist vom Libyen-Gipfel in Berlin zu erwarten?
Über eine Lösung der Libyen-Krise wollen am Sonntag in Berlin unter anderem Vertreter der Konfliktparteien, der USA, Russlands und der Türkei beraten. Die Unterzeichnung eines von Moskau und Ankara vorbereiteten Waffenstillstandsabkommens scheiterte allerdings am Montag. Europas Presse ist sich uneinig, wie groß die Chancen auf einen entscheidenden Durchbruch sind.
Große Pläne für eine kleine Konferenz
Europa weiß, was Libyen hilft, schreibt La Repubblica:
„Ein dauerhafter Waffenstillstand, eine zivile Mission, um seine Einhaltung zu gewährleisten, und - in der Folge - die Entsendung von Militärpersonal nach Libyen, um den Zustrom von Kriegsmaterial zu stoppen, die Milizen zu entwaffnen und die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit zu fördern. … Mit diesen Optionen auf dem Tisch zeichnet sich in den Telefongesprächen zwischen den Kanzlerämtern des Kontinents die Richtung ab, die die europäischen Staats- und Regierungschefs nun einschlagen. Sie wollen die Teilnehmer in Berlin drängen, die zivile Mission sofort zu genehmigen, um den Waffenstillstand schnell zu stabilisieren und das Risiko eines Überraschungsangriffs von General Haftar auf Tripolis zu vermeiden. ... Es ist nicht gesagt, dass Berlin das erreicht, aber darauf zählen die Regierungen der Union derzeit.“
Haftar ist der Schwächste am Tisch
Die regierungstreue Star sieht Milizenführer Haftar aus eigenem Verschulden in die Ecke gedrängt:
„General Haftar hat seine eigene Position diplomatisch geschwächt, als er den Verhandlungstisch fluchtartig verließ. Weil die Al-Sarradsch-Regierung die Vereinbarung unterzeichnet hat, ist Haftar zum 'Spielverderber' geworden. Das hat Moskau erzürnt. Angesichts der Akteure auf der Gegenseite kann er sich auch dem Waffenstillstand nicht widersetzen. Bevor er einen weiteren Zug unternimmt, muss er auf das Ergebnis des Gipfels in Berlin warten. Er hat nicht zum ersten Mal eigenhändig die Umstände für eine militärische Operation gegen ihn selbst geschaffen, sollte es zu einer Wiederaufnahme der Gefechte kommen. ... Insofern ist der Gipfel in Berlin bedeutend. Haftar wird entweder einer politischen Lösung zustimmen oder alles verlieren, was er bisher gewonnen hat.“
Merkels Angst vor einem neuen 2015
Die Gefahr, dass bei einem Krieg in Libyen noch mehr Menschen den Weg nach Europa suchen könnten, bereitet der Gastgeberin des Gipfels am meisten Sorgen, schreibt Naftemporiki:
„Im Fall Syriens hat Deutschland die Dinge aus der Ferne beobachtet, und als 2015 Tausende von Flüchtlingen an Deutschlands Tür klopften, war es bereits zu spät. Die politischen Wunden [Merkels] sind noch offen. Die Zusammenarbeit der EU mit der libyschen Küstenwache ist aber keine saubere Lösung. Man erinnere sich an die dramatischen Enthüllungen über die Sklaverei und die entsetzliche Gewalt, die verschiedene bewaffnete Gruppen in Libyen gegen Afrikaner verübt haben, die nach Europa weiterreisen wollten. Und an die Tausenden Eingesperrten in Lagern, die von bewaffneten libyschen Gruppen verwaltet werden, die die EU alimentiert, damit sie die Migrationsströme kontrollieren.“
Ankara handelt, bevor es denkt
Die türkische Außenpolitik ist planlos und impulsiv, kommentiert T24:
„Es gibt eine Redewendung, die lautet 'Erst schießen, dann zielen'. Die Politik der Türkei in Syrien und Libyen erinnert an diese Redewendung. Ankara nimmt immer eine vorschnelle, harte Haltung ein, ohne genau abzuwägen, was sein Ziel ist und wie es zu diesem Ziel kommen will. Und wenn es dieses Ziel nicht erreichen kann, muss es jedes Mal seine Haltung ändern. Das führt dazu, dass seine Außenpolitik zwischen dem einen und dem anderen Extrem hin- und herschwankt. “
Griechenland wird wie ein Protektorat behandelt
Die Amerikaner können Griechenland auf dem Gipfel nicht vertreten, schreibt Ethnos und kritisiert die Tatsache, dass Berlin keine Einladung an Athen verschickt hat:
„Deutschland kann tun und lassen, was es will. Wichtig ist, was wir machen, wenn wir nicht wie ein Protektorat behandelt werden wollen. Es ist sehr gut und willkommen, die Beziehungen zu den USA zu festigen, aber die USA vertreten niemanden außer sich selbst. Ja, der Gipfel könnte in einem Fiasko enden, aber die Teilnahme an einer internationalen Konferenz hat einen bleibenden Wert, der nicht auf das unmittelbare Ergebnis beschränkt ist.“
Kampf um Öl, Migranten und Moral
Zu viele Interessen prallen in Libyen aufeinander, erklärt Radio Kommersant FM:
„Wenn [Milizenführer] Haftar siegt, festigt Russland in Libyen in jedem Fall seine Position. Dort geht es um Öl und Gas und, durchaus wichtig, die Kontrolle der Migrationsströme - was gegenüber den europäischen Partnern ein entscheidendes Argument ist. Und es gibt den Faktor eines moralischen Siegs über die westlichen Liberalen: 'Ihr habt Libyen zerschlagen, wir bauen es wieder auf.' Will heißen: 'Ihr seid schuld an der aktuellen Situation.' ... Doch dann betritt noch Erdoğan die Bühne [der den von den UN anerkannten Premier al-Sarraj unterstützt] und erklärt Libyen zu seiner strategischen Interessensphäre. ... So eskaliert die Lage letztlich und aufgrund der zu großen Zahl von Akteuren, die Libyen unter sich aufteilen wollen, wird eine Einigung äußerst schwierig.“
Neue Gewinner und Verlierer
Erdoğans Vorpreschen in Libyen hat offenbar wachgerüttelt, analysiert Yetkin Report:
„Jetzt, wo Libyens Nachbarn im Osten und Westen, Ägypten und Algerien, ebenfalls ihre Unterstützung erklärt haben für den Aufruf der Türkei und Russlands vom 8. Januar zu einem Waffenstillstand in Libyen ab dem 12. Januar, wurde die Aussicht auf Krieg im Mittelmeerraum ersetzt durch die Aussicht auf Friedensgespräche, die in Deutschland geführt werden. Es sieht so aus, als hätte Präsident Tayyip Erdoğans riskante Wette, die Entsendung von Truppen nach Libyen, die Dinge in Bewegung gebracht und wichtige Auswirkungen auf eine mögliche Lösung gehabt: Die Gewinner und die Verlierer der Libyen-Krise werden neu definiert.“
Haftar wird kaum Kompromisse machen
General Haftar als Schlüsselfigur schmälert die Hoffnungen auf einen Waffenstillstand glaubt Der Standard:
„Die jüngsten militärischen Gewinne dürften es Haftar, der ganz Libyen unter seine Kontrolle bringen wollte, erschweren, den Waffenstillstand anzunehmen. Dieser würde wohl die Rückkehr zu alten Positionen, idealerweise jenen vor Beginn der Offensive im April, vorsehen. Ein gewisser russischer Druck auf Haftar ist vorhanden, sonst hätte sich Moskau nicht als Vermittler zwischen Haftar und Serraj betätigt. Ob die Russen Haftar aber auch konkret Unterstützung entziehen würden, wenn er keine Kompromissbereitschaft zeigt, ist offen. ... Selbst wenn Haftar und Serraj sich zu einem Waffenstillstand und Verhandlungen bekennen, ist die Frage, ob alle unter ihrem Dach versammelten militärischen Kräfte auch dazu bereit sind.“
Bitte keine Friedensmission
Italien hat eine UN-Mission zur Befriedung des Konflikts angeregt. Eine gefährliche Debatte, urteilt Lucio Caracciolo, Experte für Geopolitik, in La Repubblica:
„Um den Frieden zu erhalten, braucht man viele Dinge, vor allem eines: Frieden. ... Die Realität zeigt das genaue Gegenteil. Es gibt kein Libyen; es gibt keinen Frieden; die Uno ist eine verblasste Lückenbüßerin, auf deren Nutzung die Mächte sich immer dann einigen, wenn sie sich nicht selbst direkt ins Spiel bringen wollen. Unser Premier informiert uns zu Recht, dass 'wir keinen einzigen unserer Jungs schicken, wenn nicht die Bedingungen der Sicherheit und des klaren politischen Wegs erfüllt sind'. Die logische Schlussfolgerung ist, dass wir niemanden schicken. Aber die Geschichte ist nicht logisch. Das Risiko, dass wir vor lauter Reden am Ende das tun, was wir nicht wollen, ist beträchtlich.“
Neue Epoche ohne Spielregeln
Die internationale Gemeinschaft ist ohnmächtig, konstatiert Kolumnist Pierre Haski im Radiosender France Inter:
„Ende Dezember bedauerte Ghassan Salamé, UN-Sondergesandter für Libyen, dass die Länder, die für das Waffenembargo gegen Libyen gestimmt hatten, gegen ihre eigenen Resolutionen verstoßen, und gestand ein, dass die Glaubwürdigkeit der UN auf dem Spiel steht. … Das ist offensichtlich, und dass Russland und die Türkei in diesem Konflikt zunehmend eine entscheidende Rolle spielen, sowohl als Kriegsakteure als auch als Friedensmacher, zeigt, dass eine neue Epoche begonnen hat. Die Amerikaner halten sich zurück und die Europäer haben den Anschluss verpasst, auch wenn sie mit der Organisation von Verhandlungen kommenden Sonntag in Berlin versuchen, Rückstand gutzumachen. Libyen veranschaulicht die Welt von Morgen: ohne Spielregeln und ohne Schiedsrichter.“
Endlich rührt sich Europa
Der Waffenstillstand ist ein Vorgeschmack auf die Strategie der Teilung, die Russland und die Türkei in Libyen eingeschlagen haben, gibt Avvenire zu bedenken:
„Um so bedeutsamer ist daher der Ruck, den sich Europa gegeben hat. Nach einer Reihe von Kontakten zwischen Josep Borrell, dem Hohen Vertreter der EU für die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, und den Regierungen Frankreichs, Deutschlands und des Vereinigten Königreichs, hat es die Vereinbarung getroffen, Italien mit einer Vermittlungsmission zu betrauen. Eine Mission, die General Haftar am Mittwoch zu einem Treffen mit Premierminister Conte nach Rom und den libyschen Premier al-Sarradsch zu Gesprächen nach Brüssel führte. Ein Schritt, der zu begrüßen ist. Weil Libyen Europa, seine Beziehungen und seine Investitionen braucht. Und weil mehrere Länder ihre Ambitionen im Namen eines übergeordneten Interesses zurückgestellt haben.“
Merkel wird sich anschließen
Der Aufruf zu einem Waffenstillstand darf auf Unterstützung aus Deutschland hoffen, meint Habertürk:
„Mit großer Wahrscheinlichkeit wird Kanzlerin Merkel, die am 11. Januar Russland und am 24. Januar die Türkei besuchen wird, dem Aufruf der beiden Länder folgen. Denn Deutschland, das die Idee einer Berlin-Konferenz ins Leben gerufen hat, um in Libyen einen Waffenstillstand zu garantieren und eine politische Lösung zu finden, wird nicht wollen, dass der Weg, den es bisher verfolgt hat, vergebens war. Sollte der Waffenstillstand Erfolg haben, werden aus der Türkei auch nicht viele Soldaten nach Libyen gehen. Genau das wollte Merkel.“