Zähe Verhandlungen um EU-Budget
Auf ihrem Sondergipfel in Brüssel ringen die EU-Länder derzeit um eine Lösung im Streit über das Budget für die Jahre 2021 bis 2027. Ratspräsident Charles Michel hatte zuvor nach zähen Diskussionen einen Kompromiss vorgeschlagen: Die Mitgliedsstaaten sollen Beiträge im Wert von 1,074 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens zahlen. Ist das zu viel?
Europa ist ein Fass ohne Boden
Die Niederlande gehören zu den EU-Staaten, die strikt gegen eine Erhöhung der Beiträge sind. Aus gutem Grund, erklärt De Telegraaf:
„Milliarden werden Brüssel gegeben. Das Geld verschwindet dann im Fass ohne Boden der europäischen Agrarsubventionen und Regionalfonds. Statt mehr zu fordern und zu drohen, sollte die EU den Gürtel enger schnallen und sich trauen, Reformen anzupacken. Daher muss Premier Mark Rutte seine Haut so teuer wie möglich verkaufen und notfalls ein Veto einlegen. Noch mehr Geld für Brüssel bezahlen, das wird den ohnehin bröckelnden Rückhalt für Europa weiter aushöhlen.“
Deutschland verdient sich dumm und dämlich
Gerade Deutschland sollte sich über höhere Beiträge zum EU-Budget nicht aufregen, meint der Deutschlandfunk:
„Man ahnt, was der deutsche Michel am Stammtisch dazu sagt: 'Wir sind nicht Europas Zahlmeister!', so hört man es bereits durch den Bierdunst schallen. Und der Michel hat damit Recht, aber anders, als er glaubt. Denn die Rechnung, die mantrahaft wiederholt wird, ist falsch. Sie lässt nämlich völlig außer Acht, wie sehr unser Land von der EU profitiert. Auf 170 Milliarden Euro belaufen sich für Deutschland die volkswirtschaftlichen Gewinne durch den Binnenmarkt - und zwar Jahr für Jahr. Anders ausgedrückt: Wir verdienen uns an der EU dumm und dämlich.“
Weniger Geld für Bauern, mehr für Innovation
Die EU-Staaten sollten weniger darüber streiten, wie groß das Budget wird, sondern sich lieber Gedanken machen, wie die Mittel verteilt werden könnten, rät Financial Times:
„Es besteht die Gefahr, dass der Brüsseler Gipfel zu später Stunde in unziemliche Streitigkeiten darüber abgleitet, wer mehr zahlt, wer einen Rabatt erhält und wer das große Geld einstreicht. Es wird Kompromisse geben müssen. Ein kleinerer Teil der Ausgaben als bisher sollte an Landwirte und Landbesitzer gehen. Auch die regionalen Förderungen sollten anteilsmäßig verringert werden - und im Westen wie im Osten an die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit geknüpft werden. Mehr sollte hingegen in die Bereiche Forschung, Innovation, Klimawandel, Verteidigung und Sicherheit fließen.“
Gute Argumente auf allen Seiten
Die Verhandlungen um den EU-Haushalt dauern so lange, weil alle Seiten im Recht sind, meint Jutarnji list:
„Wie kann man den Staaten, die der EU mehr geben als sie nehmen, sagen, dass sie im Unrecht seien, wenn sie einen kleineren Haushalt fordern? Logisch scheint auch das Argument, dass die EU um 65 Millionen Bürger kleiner ist, ein Staat ausgetreten ist, der 75 Milliarden Euro in sieben Jahren in den EU-Haushalt gezahlt hat und der Haushalt nun kleiner sein sollte. Aber auch diejenigen Staaten und Institutionen sind im Recht, die das Argument anführen, alle wären sich darüber einig gewesen, man müsse sich neuen Herausforderungen stellen: die Außengrenzen besser überwachen, mehr in Wissenschaft und Forschung investieren, in Umweltschutz und die Sicherheit und Verteidigung stärken.“
Westen hält Osten weiter an der Kandare
Die regierungsnahe Tageszeitung Magyar Nemzet kritisiert, dass EU-Gelder an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit gekoppelt werden sollen:
„Dieses Verhalten basiert auf dem Prinzip, dass der Osten die Euros des Westens als Belohnung oder fast als Almosen bekommt. ... Diese Frage hat mit der europäischen Arbeitsteilung zu tun und mit den Ungleichheiten, die sich über Jahrhunderte herausgebildet haben und während des Kommunismus zementiert wurden. .... Und auch damit, dass damals unsere Märkte geöffnet und unsere Betriebe eingestellt wurden, oder neue Fabriken bei uns eröffnet wurden, die einen Riesenprofit für den Westen generieren, weil die ungarischen Arbeitskräfte genauso gut arbeiten wie die deutschen oder die belgischen, nur für viel niedrigere Löhne.“
Beschämender Geiz
Die Niederlande gehören zu den Ländern, die eine Erhöhung des von ihnen geforderten Beitrags strikt ablehnen. NRC Handelsblad kritisiert dies deutlich:
„Erneut gibt es einen verbissen Kampf der 'sparsamen' Mitgliedstaaten gegen die 'Schmarotzer'. Eine lähmende Diskussion, die dem Ansehen der EU weiter schaden wird. Während es eigentlich um so viel mehr geht. Als Land, das wirtschaftlich besser dasteht, haben die Niederlande eigentlich den Luxus, den Haushalt weniger einseitig zu betrachten. ... Diese Verhandlungen sind kein Wettkampf. Es geht um eine Investition in Europa - das Europa, an dem die Niederlande so viel verdienen.“
Es darf ruhig etwas mehr sein
Schweden besteht wie die Niederlande darauf, nicht mehr als ein Prozent seiner Wirtschaftsleitung in den EU-Top zu zahlen. Upsala Nya Tidning ruft zu weniger finanzieller Engstirnigkeit auf:
„Schweden sollte nicht mehr als nötig bezahlen und [Premier] Löfven wird tun, was er kann. Es ist jedoch wichtig, die Verhältnisse nicht aus den Augen zu verlieren. An die EU gehen Zahlungen in Höhe von knapp ein Prozent der Wirtschaftsleistung. Der größte Gewinn für das Exportland Schweden ist auch nicht die Agrarhilfe, sondern die Zugehörigkeit zum Binnenmarkt. Und wenn das geplante Klimapaket der EU sowie die Verbrechensbekämpfung Erfolg haben sollten, was spricht dann dagegen, das Budget leicht zuerhöhen?“
Spaltung in Arm und Reich wäre Bankrotterklärung
Der frühere rumänische Premier und heutige EU-Parlamentarier Mihai Tudose warnt in einem Gastkommentar für Digi 24 vor den Folgen eines zu niedrigen Budgets:
„Die Gefahr für das künftige Europa besteht darin, dass es nicht mehr nur bei der bloßen Benennung zurückgebliebener Regionen bleibt, sondern die Realität so aussieht, dass ganze Länder wirtschaftlich zurückgeblieben sind. ... Und dann ist es nicht mehr weit bis zu Ländern, die außen vor sind. Laut EU-Kommission sind 47 Regionen in acht EU-Staaten von wirtschaftlicher Stagnation und gesunkenem Einkommen der Bevölkerung geprägt, mit allen Folgen, die das mit sich bringt. … Eine EU mit zwei Polen - einer steuert auf künstliche Intelligenz und grüne Energien zu, der andere tritt wegen chronischer Armut auf der Stelle - würde den Misserfolg des europäischen Projekts bedeuten.“