EU-Wiederaufbau: Wo das Geld fließen sollte
Für das von der Kommission vorgeschlagene Wiederaufbauprogramm soll die EU 450 Milliarden Euro an Krediten aufnehmen. Für deren Tilgung sollen neue Steuern eingeführt werden: eine Digitalsteuer für Internetkonzerne, Abgaben auf Plastikprodukte und CO2-Verbrauch. Ob diese Finanzierung machbar ist und wie das Geld sinnvoll ausgegeben werden sollte, diskutieren Europas Medien.
Digitalsteuer würde Irland hart treffen
Die Digitalsteuer, mit deren Hilfe die aufgenommenen Schulden zurückgezahlt werden sollen, gefährdet den Aufschwung in Irland, wo diese Konzerne ihre europäischen Sitze haben, warnt The Irish Independent:
„Radikale Ideen sind notwendig, um mit den einzigartigen Umständen der Pandemie fertig zu werden. Es bleibt jedoch zu hoffen, dass die Maßnahmen nicht einen einzelnen Mitgliedstaat überproportional hart treffen, so dass der Aufschwung dort behindert wird. ... 'Gemeinsam' vorwärts zu schreiten, wie Ursula von der Leyen es gesagt hat, wird schwierig sein, wenn sich die neuen Steuern in einem einzelnen Land in unfairem Maße besonders gravierend auswirken.“
Gut, dass jemand auf das Geld schaut
Dass Dänemark, Schweden, Österreich und die Niederlande Widerstand zeigen, findet Weekendavisen beruhigend:
„Es muss welche geben, die auf das Geld aufpassen. Bisher waren das die Briten. ... Die Geschmeidigen Vier wollen für einen Kompromiss sorgen, mit dem die leben können, die am meisten zahlen. Das wird nicht verhindern, dass ein Teil des Geldes als direkte Unterstützung vergeben wird, aber auch hier haben sie eine wesentliche Funktion: Sie müssen sicherstellen, dass jene Bewilligungen einmalig bleiben, die durch langfristige Kredite finanziert werden, die von der Inflation ausgehöhlt werden. Die Kommission soll nicht, wie gewünscht, das Recht bekommen, Steuern zu erheben; das sollen sie ruhig den Nationalstaaten mit ihren verschiedenen Wohlfahrtsstaatsmodellen überlassen.“
Sanierung könnte in die Annalen eingehen
Warum die Debatte über den Wiederaufbau schwierig wird, erläutert Delfi anhand einer Analogie:
„Ein altes Mehrfamilienhaus, in dem 27 Parteien wohnen, wurde von einem Sturm heimgesucht und der Verwalter (die EU-Kommission) schlägt zusammen mit einigen einflussreichen Bewohnern (Deutschland und Frankreich) vor, gemeinsam einen Kredit aufzunehmen, um das Haus zu sanieren. In diesem Mehrfamilienhaus hat jedoch ein Teil der Bewohner ordentlich gewohnt, schon längst die Fenster und Heizkörper ausgetauscht, während die Anderen nur Tapeten über die Risse in den Wänden geklebt haben. ... Das meiste Geld muss für deren Wohnungen ausgegeben werden und den größten Teil müssen die bezahlen, die die Pflege ihrer Wohnungen ernstgenommen haben und von dem Sturm nicht so stark betroffen sind. ... Wenn es gelingen sollte, diese Sanierung durchzuführen, wird diese EU-Kommission in die Geschichte eingehen.“
Rumänien muss seine Bürger qualifizieren
Rumänien soll aus dem EU-Hilfspaket fast 20 Milliarden Euro an Zuschüssen und noch einmal mehr als 11,5 Milliarden Euro Kredite bekommen. Ein Geldsegen, der zukunftsgerichtet angelegt werden sollte, fordert Cristian Unteanu, EU-Korrespondent von Adevărul:
„Wollten wir die Gelegenheit beim Schopfe packen, müssten wir ein [Bildungs]projekt auflegen, das die künftigen Prioritäten des europäischen Arbeitsmarktes berücksichtigt. Wenn nicht, wird Rumänien in Europa weiterhin nur günstiger Anbieter von Saisonkräften und Schwerstarbeitern bleiben - von Personal, das zwar ungelernt ist, aber extrem notwendig, je mehr die anderen Mitgliedstaaten die eigenen Bürger ambitioniert für leistungsstarke Zukunftsbranchen vorbereiten. Für andere die hochqualifizierten Jobs, für uns die Saisonarbeit.“
Geschenke werden nicht verteilt
Vom Himmel fällt das Geld nicht, mahnt Ökonom Carlo Cottarelli in La Repubblica:
„Italien würde 170 Milliarden erhalten, 23 Prozent der Gesamtsumme und damit fast das Doppelte unseres Anteils am europäischen BIP. Die Hälfte dieser Summe würde aus Zuschüssen bestehen, die Italien, wie auch die anderen Länder, im Gegensatz zu den Darlehen nicht zurückzahlen müsste. Im Prinzip jedenfalls nicht. Doch wie soll die EU dann diese Schulden finanzieren? Das ist der entscheidende Punkt. Der Großteil der Mittel käme nicht aus Beiträgen einzelner Länder, sondern aus europäischen Steuern (einschließlich einer Digital- und Ökosteuer), mit denen die Kommission 30 Milliarden pro Jahr einzunehmen hofft. Natürlich handelt es sich dabei um Steuern, die teilweise die europäischen Bürger, einschließlich der italienischen, belasten würden.“
Merkel-Macron-Plan ist dagegen ein Klacks
Die EU-Kommission pokert geschickt, schreibt die taz:
„Mit ihren 750 Milliarden Euro überbietet sie gezielt den Plan von Präsident Macron und Kanzlerin Merkel, die einen Coronafonds von 500 Milliarden Euro gefordert hatten. Damals heulten die 'geizigen Vier' auch schon auf, aber durch die EU-Kommission haben sich die Koordinaten verschoben: Der Plan von Macron und Merkel wirkt nun wie ein Kompromiss. Niederländern und Dänen wird die Möglichkeit eröffnet, substanziellen Hilfen zuzustimmen und zu Hause zu erzählen, sie hätten die Pläne der EU-Kommission und damit 'das Schlimmste' verhindert.“
Wer bekommt wie viel?
Selbst wenn das Paket grundsätzlich angenommen werden sollte, stehen die größten Debatten der EU noch bevor, warnt Postimees:
„Kredite aufnehmen bedeutet meist, dass das Geld auch zurückgezahlt werden muss, und es ist klar, dass die Staaten das nicht gleich gut leisten können. Erstens, wegen früherer Gewohnheiten und Finanzdisziplin. Und zweitens gibt es keine Formel, mit der man berechnen kann, wie sich die Volkswirtschaften eigentlich erholen werden, also ob es überhaupt Geld gibt, mit dem die Kredite zurückgezahlt werden können. Mit dem deutsch-französischen Vorschlag ist Berlin von seiner starren Position abgerückt, an der es in früheren Rezessionsjahren festhielt. Ein Grund dafür ist der Wunsch, das Auseinanderbrechen der Europäischen Union zu vermeiden. Doch ein Großteil der Debatten steht noch aus - zwischen den Mitgliedstaaten im Europäischen Rat. Es geht dabei um die Verteilungsformel.“
Auf dem Weg zur Fiskalunion
Der Wiederaufbaufonds treibt den europäischen Integrationsprozess voran, meint Kauppalehti:
„Das Geld muss klug verwendet werden. Hoffentlich wird es insbesondere in neue Technologien, grüne Investitionen sowie Forschung und Produktentwicklung gesteckt. … Der Wiederaufbaufonds wird auf jeden Fall die Solidarität unter den Mitgliedstaaten stärken und den EU-Haushalt merklich ansteigen lassen. Von einem Bundesstaat kann noch nicht die Rede sein, aber der Wiederaufbaufonds ist ein bedeutender Schritt auf dem Weg zu einer Fiskalunion.“
Weiterer Widerstand wäre dumm
Die Niederlande sollten sich nicht länger gegen eine gemeinsame Schuldenaufnahme sperren, rät NRC Handelsblad-Kolumnist Tom-Jan Meeus:
„Die Regierung ist in einer Widerstandsgruppe mit Dänemark, Schweden und Österreich, aber es ist unsicher, ob diese drei standhaft bleiben. Die Niederlande drohen zu einem neuen Großbritannien zu werden. ... Aber muss Premier Rutte, dem wöchentlich in den Umfragen ein enormer Corona-Kredit zugeschrieben wird, es dann nicht wagen, der eigenen Bevölkerung, den eigenen Wählern die Stirn zu bieten? Man kann auch sagen, worauf es am Ende hinauslaufen wird: Dass unser Handelsland einfach ein zu großes Interesse an der EU hat, um jeden unvermeidlichen Kompromiss als Untergrabung der Nation zu behandeln.“